Der Offenburger Unternehmer Joachim Lutz hat den Bund vor fünf Jahren mit Corona-Masken beliefert. Doch er wartet dafür heute noch auf die Bezahlung. Der 65-Jährige ist kein Einzelfall.
Joachim Lutz steht bereit mit 21 Euro-Paletten, beladen mit Kartons, darin zigtausend Corona-Masken. Es ist kurz vor dem 30. April im Jahr 2020. Der Unternehmer hat durch seine Kontakte nach China nach seinen Angaben 300 000 FFP2-Masken organisiert. Mehrere Tage habe der inzwischen 65-Jährige von 6 bis 24 Uhr in seinem Büro in Offenburg verbracht, erzählt er, um die Logistik auf die Beine zu stellen – vom chinesischen Produzenten bis zur Lieferung an die Bundesrepublik Deutschland. Lutz habe es pünktlich zum 30. April geschafft, betont er. So sei es vertraglich vereinbart gewesen.
Bezahlung sollte eigentlich innerhalb einer Woche auf dem Konto eingehen
Doch es kommt anders: Plötzlich habe es vom zuständigen Logistiker „Fiege Logistik“ der Bundesregierung geheißen: „Herr Lutz, das geht nicht, das Lager ist voll“, zitiert der 65-Jährige den Anrufer des Unternehmens, das der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für die Beschaffung und Verteilung der dringend benötigten Corona-Masken beauftragt hat.
Der Offenburger traut seinen Ohren nicht und verlangt eine schriftliche Erklärung. Darin habe man dem Unternehmer mitgeteilt: Er könne die Masken erst eine Woche später anliefern. Und wieder ist Lutz pünktlich, wie er betont – im Gegensatz zur Bezahlung durch seinen Vertragspartner, die eigentlich eine Woche nach der Masken-Anlieferung auf Lutz’ Konto hätte eingehen sollen.
„Herr Lutz, wir sind überlastet“, hieß es aus dem Gesundheitsministerium
Aber auf das Geld warte er noch heute, berichtet der Unternehmer – mehr als fünfeinhalb Jahre nach dem ersten bestätigten Corona-Fall in Deutschland. Es geht um 1,6 Millionen Euro allein für die Ware. „Aber meine Gesamtforderung an den Staat beträgt 3,8 Millionen Euro – einschließlich Schadensersatz und Verzugszinsen“, sagt Lutz.
Vom Bundesgesundheitsministerium heißt es auf Anfrage zum Fall des Offenburger Unternehmers: Man bitte „um Verständnis, dass das BMG zu laufenden Verfahren keine Stellung nimmt“. Anfangs denkt sich Lutz noch: „Dann warten wir halt noch ein paar Tage.“ Doch mit zunehmender Zahlungsverzögerung wird er unruhiger.
Schließlich ist der Unternehmer bereits in Vorleistung gegangen, indem er seine Produzenten in China für die Masken bezahlt hat. „Herr Lutz, Sie müssen sich noch gedulden, wir sind überlastet“, habe es auf Rückfrage aus dem Gesundheitsministerium geheißen, erzählt der 65-Jährige heute in seinem Büro in Offenburg, wo er sich mit seiner Firma um den Import von Waren aus China kümmert.
Landgericht Bonn spricht dem Unternehmer 1,6 Millionen Euro zu
Einen Monat später, an einem Juni-Abend 2020, erhält der 65-Jährige den Anruf einer Anwältin der Rechtsanwalts-und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die das Gesundheitsministerium damals vertreten hat: „Tut mir leid, Herr Lutz“, habe die Frau am Telefon gesagt, „aber ihre Akte ist rot“. Lutz ist verwundert. „Wie rot?“, fragt er. Mangelhaft seien die Masken des Offenburgers, habe die Anwältin erklärt. Lutz versteht die Welt nicht mehr. Denn es habe sich um dieselben Corona-Masken gehandelt, mit denen er zuvor schon das bayerische Gesundheitsministerium beliefert habe. „Da wurden die auch geprüft – und es wurde unverzüglich und anstandslos bezahlt“, berichtet er. Anders der Bund, der vom geschlossenen Vertrag zurücktritt.
Wie laut Lutz bei solchen Geschäften üblich, habe er eine Nachlieferung neuer Masken angeboten – vergeblich, auch dies wird abgelehnt. Daraufhin schaltet er die Anwaltskanzlei Partsch & Partner, die mehrere Maskenlieferanten vertritt, ein und klagt vor Gericht. Mit Erfolg: Das Landgericht in Bonn verurteilt den Bund in Lutz’ Fall zu einer Zahlung von 1,6 Millionen Euro.
Grünen-Politikerin: „Ein Milliardengrab für den deutschen Steuerzahler“
Denn selbst wenn die Masken mangelhaft gewesen seien, hätte das Gesundheitsministerium dem Unternehmer eine Möglichkeit zur Nachlieferung bieten müssen, heißt es in der Begründung. Seitdem sind weitere eineinhalb Jahre vergangen – doch Joachim Lutz wartet immer noch auf das Geld.
Nicht nur weil der Bund Berufung gegen das Urteil eingelegt hat, sondern auch der Unternehmer selbst: Wegen der Zinsen für das fünf Jahre fehlende Geld sowie die hohen Anwaltskosten beschäftigt nun das Oberlandesgericht in Köln der Fall.
Um rund 100 weitere ähnlich gelagerte Fälle von nicht bezahlten Masken-Lieferanten kümmern sich deutsche Gerichte. Es geht um eine mögliche Gesamt-Schadenssumme in Höhe von 2,3 Milliarden Euro zuzüglich Zinsen – womit die Masken-Affäre als einer der größten Steuerverschwendungsskandale in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eingehen könnte. „Jens Spahns Masken-Desaster ist ein Milliardengrab für den deutschen Steuerzahler“, schimpft die Grünen-Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta, die sich im Haushaltsausschuss immer wieder mit den Folgen der Maskengeschäfte beschäftigt.
Bundesrechnungshof rügt eine „massive Überbeschaffung“
„Wir müssen verhindern, dass der deutsche Steuerzahler noch tiefer in die Tasche greifen muss für einen ehemaligen Minister, der mindestens unverantwortlich und kopflos Maskenhändlerprozesse gegen Deutschland in Milliardenhöhe auslöste“, sagt sie und fordert eine lückenlose Aufarbeitung durch einen Untersuchungsausschuss.
„Mit dem Wissen von heute würde ich viele Entscheidungen anders treffen“, hatte Spahn zur Maskenbeschaffung gesagt – und: „Ich habe ein reines Gewissen.“ Der damalige Gesundheitsminister beschloss, Masken in einem sogenannten Open-House-Verfahren zu beschaffen: Der Bund machte also Verträge mit allen interessierten Lieferanten, auch mit Joachim Lutz. Doch am Ende wurde das Ministerium von Angeboten regelrecht überschüttet und hat bis 2024 fast sechs Milliarden Euro für Masken ausgegeben – 4,50 Euro je FFP2-Maske sowie 60 Cent je OP-Maske. Aber nur 1,7 Milliarden Masken wurden dann tatsächlich verteilt, unzählige mussten vernichtet werden. Eine „massive Überbeschaffung“ laut Bundesrechnungshof.
Der Offenburger hätte gerne auf den jahrelangen Rechtsstreit verzichtet
Das OLG Köln beschäftigt sich mit Lutz’ Fall, wird vermutlich aber eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe in vergleichbaren Fällen abwarten. Damit könnten in Kürze die ersten Klagen gegen den Bund rechtskräftig entschieden werden – mit Signalwirkung für die weiteren Fälle wie jenen von Joachim Lutz.
Der Offenburger Unternehmer hätte gerne auf diesen jahrelangen Kampf verzichtet, er zeigt sich enttäuscht über das Verhalten des Bundes: „Man kann sich auch ohne Gericht einigen“, sagt er, „aber da war null Einsatz da, die Fehler zu beheben oder sie sich einzugestehen.“ Dass auch der damalige Gesundheitsminister Spahn keine Verantwortung übernimmt, stört ihn besonders: „Er sollte zugeben, dass er Fehler gemacht hat, denn die können ja passieren. Aber dann soll er sie auch wieder gut machen.“
Fehlendes Geld hat Folgen für das Unternehmen von Joachim Lutz
Stattdessen hat der Bund allein für die Rechtsstreitigkeiten mit den Maskenlieferanten fast 100 Millionen Euro ausgegeben. Auch im Bericht von Margaretha Sudhof (SPD), der Chefermittlerin in der Maskenaffäre, wurde kritisiert: „Dabei entwickelte sich ein eigenes Betätigungsfeld für die mandatierten Kanzleien und die Beratungsgesellschaften.“ Und die jetzige Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD „deckt Jens Spahn“, sagt Lutz: „Das ist ein Skandal.“
Für ihn und sein Unternehmen hat das jahrelang fehlende Kapital Folgen. „Wir haben zwar ein gutes Polster gehabt, aber das ist mittlerweile aufgebraucht“, sagt er. Wie zuvor Waren im großen Stil zu importieren, sei nicht mehr möglich: „Um Waren einzukaufen, fehlt das Geld vom Bund“, sagt Lutz. Und auch der enorme Zeitaufwand blieb nicht ohne Konsequenzen: „Ich konnte mich nicht mehr um das tägliche Geschäft kümmern“, sagt er. Die gerichtliche Auseinandersetzung, die Abstimmung mit den Anwälten, „das hat in den letzten Jahren viel Zeit in Anspruch genommen“, so Lutz.
Von seinem Geschäftspartner, der Bundesrepublik Deutschland, kann der Unternehmer nur abraten: „Ich würde jedem empfehlen, mit dem deutschen Staat keine Geschäfte zu machen.“ Jetzt setzt Lutz seine volle Hoffnung auf die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs. Und wenn das Geld eines Tages doch noch auf seinem Konto eingehen sollte? „Dann“, sagt der 65-Jährige, „kann ich endlich in Rente gehen.“