Physisch können sie aufgrund der Corona-Regeln nicht näher zusammenrücken, in ihrem Handeln machen sie aber genau das: Die Vorsitzenden der Gewerbevereine aus dem Kreis Calw suchen einen Schulterschluss, der historisch ist. Foto: Selent-Witowski

Es ist ein historischer Moment: Zum ersten Mal haben sich die Gewerbevereine aus dem Kreis Calw zusammengeschlossen. Sie werben gemeinsam für die Luca-App, unterstreichen die Effizienz ihrer Hygienekonzepte – und wollen endlich eine klare Perspektive haben. Sie sehen die Gefahr, dass etwas zerstört wird, was nicht mehr aufgebaut werden könne.

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Kreis Calw - "Die Stimmung ist inzwischen schlecht bis katastrophal", sagt Jürgen Ott, einer der beiden Vorsitzenden des Gewerbevereins Calw, bei der ersten gemeinsamen Pressekonferenz – natürlich in digitaler Form – der Gewerbevereine des Landkreises Calw. Er schüttelt mit dem Kopf: "Ich hätte mich noch vor ein bis zwei Wochen anders geäußert als jetzt. Bei mir ist jetzt jegliches Verständnis davon. Was unsere Bundes- und Landespolitik macht, ist einfach nur noch verwirrend und unverständlich."

Konkurrenten von einst

Was Ott gleich zu Beginn dieser Pressekonferenz mit sehr drastischen Worten sagt, werden seine Mitstreiter vom Gewerbeverein Nagold, Werbering Altensteig, Gewerbe- und Handeslverein Althengstett und Tourismus-, Handels- und Gewerbeverein Schömberg so bestätigen. Schon allein die Tatsache, dass man sich zusammengeschlossen hat, macht deutlich, wie ernst die Lage ist. Die Konkurrenten von einst suchen den Schulterschluss. Christoph Eck vom THG Schömberg betont: "Ich bin froh über diesen Schulterschluss. Die Konkurrenz sitzt heutzutage ganz woanders." Auch Uwe Seeger vom Werbering Altensteig sagt: "Ich spreche lieber von Mitbewerbern. Unsere Konkurrenten sind online." Roland Leyhr vom GHV Altehengstett spricht sogar von einem "gemeinsamen Wirtschaftsraum", den man bilde.

Noch mehr als auf die Online-Konkurrenz schielt man bei dieser Pressekonferenz jedoch auf jene im Kreis Calw, die ihre Ladentüren nie schließen mussten. Dass jüngst ein Discounter einen 40-seitigen Katalog verteilt habe, in dem hauptsächlich Non-Food-Ware abgebildet war, kann Leyhr nicht nachvollziehen. Denn im Fachhandel, so sagt er, könne man die Kundenströme doch "viel besser steuern". Ott wirft einen Blick auf seine Nachbargemeinde Althengstett: Dort habe ein Supermarkt geöffnet, während ein Möbelhaus mit 4000 Quadratmetern Verkaufsfläche schließen müsse. "Wenn in dem Möbelhaus fünf Kunden sind, dann sehen die sich nicht mal", verdeutlicht der Vorsitzende des Gewerbevereins Calw und schimpft: "Für so etwas haben wir kein Verständnis mehr. Man muss uns ein bisschen Luft zum Atmen lassen."

Seeger, Chef vom Werbering Altensteig, verweist dabei auf die Hygienekonzepte der Gewerbetreibenden im Kreis Calw. Diese seien sehr ausgeklügelt, die Abstände in den Geschäften könnten problemlos eingehalten werden. Viel sei etwa in Trennscheibensysteme und Luftfilter investiert worden. Seeger: "Wir tun, was von uns verlangt wird. Wir tun sogar noch ein bisschen mehr. Bei uns ist aber der Punkt erreicht, an dem wir sagen: Was sollen wir denn noch tun, damit wir eine Perspektive haben?"

"Mutige Entscheidung"

Mit in diesem Boot der Gewerbevereine sitzt auch das Landratsamt. "Der Landkreis steht hinter den Gewerbetreibenden", unterstreicht Ott. Mit Blick auf die Darstellung des Inzidenzwertes in "bereinigter Form", womit das Landratsamt vergangene Woche bundesweit für Schlagzeilen gesorgt hatte, sagt der Chef der Calwer Gewerbetreibenden: "Das war eine sehr mutige Entscheidung, die sehr, sehr gut war."

Tobias Haußmann, Leiter der Abteilung zentrale Steuerung am Landratsamt, nimmt ebenfalls an der Pressekonferenz teil. Er zeigt auf, dass es "ein großes Anliegen" sei, die Gewerbetreibenden zu unterstützen, man aber auch an die Entscheidungen von Bund und Land gebunden sei. "Man steht manchmal etwas machtlos da", bedauert Haußmann, macht aber auch klar: "Unser kleinteiliger Einzelhandel ist kein Infektionstreiber." Dass Discounter geöffnet haben dürfen, der Fachhandel aber nicht oder nur eingeschränkt, ist für den Abteilungsleiter "definitiv eine Ungleichbehandlung". Haußmann verspricht den Gewerbetreibenden die "bestmögliche Unterstützung durch die Wirtschaftsförderung" des Landkreises und verweist darauf, dass Öffnungsstrategien mit der Luca-App, Testungen und Impfungen verbunden werden müssen. Dabei verkündet Haußmann auch, dass ab Montag wieder der Impfstoff Astra-Zeneca im Impfzentrum des Landkreises Calw zum Einsatz komme. Trotz des vorübergehenden Stopps durch den Bund habe man keine Impfdosen von Astra-Zeneca entsorgen müssen und könne sie nun wieder verimpfen.

Drei Vorteile

Ausdrücklich Werbung für die Luca-App macht auch Ralf Benz, Vorsitzender des Gewerbevereins Nagold: "Je größer die Akzeptanz desto mehr Erfolg haben wir." Die App habe drei große Vorteile: Sie funktioniere kontaktlos, sei einfach zu handhaben und datenschutzkonform. Leyhr vom GHV Althengstett gibt aber auch zu bedenken: "Es nutzt keine Luca-App, wenn unsere Geschäfte geschlossen haben. Es kann nicht sein, dass wir unsere Vorgaben umsetzen und schließen müssen, die Discounter aber nicht."

Schäden nicht reparabel

Vorbild für die Gewerbevereine im Kreis Calw ist die Stadt Tübingen. "Da sieht man, dass durch vieles Testen die nicht vorhandenen Impfungen kompensiert werden können", vergleicht Eck vom THG Schömberg. Leyhr vom GHV Althengstett ist sich sicher: "Wir können das genauso wie Tübingen. In unseren Gemeinden gibt es noch andere Lisa Federles." Und Benz vom Gewerbeverein Nagold zeigt auf: "Wir schauen ganz genau hin, wie Tübingen das macht. Das ist der richtige Weg." Denn die Gefahr bestehe, warnt Benz, dass jetzt im Einzelhandel und in der Gastronomie Kollateralschäden entstehen, die man nicht mehr reparieren könne. Seeger vom Werbering Altensteig sieht das genauso: "Was jetzt wegbricht, wird nie mehr zurückkommen."

Vereine reaktivieren

Immerhin: Einen positiven Aspekt hat die Situation dann doch. Denn ohne Corona hätte es diesen historischen Schulterschluss wohl nie gegeben. Man wolle auch nach der Pandemie verstärkt zusammenarbeiten. Mehr noch: Eingeschlafene Gewerbevereine im Kreis Calw sollen reaktiviert werden, in Kommunen ohne Gewerbeverein wolle man Gründungen unterstützen. Bad Liebenzell, Dobel und Haiterbach nennt Ott als Beispiele. Seeger vom Werbering Altensteig bringt das neue Miteinander auf den Punkt: "Ich hoffe, dass wir eines Tages mal alle zusammen im Biergarten sitzen können."