Treffen im Freien spielen für das Infektionsgeschehen kaum eine Rolle. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Aerosolforscher haben untersucht, wo das Risiko einer Ansteckung mit dem Coronavirus am höchsten ist. Sie warnen Politiker vor symbolischen Coronamaßnahmen wie Ausgangssperren – und zeigen, welcher Schutz am besten die Infektionsgefahr senkt. Ein Überblick.

Berlin - Angesichts der kursierenden Mutanten des Coronavirus, die die Infektionszahlen nach oben treiben, sind sich viele unsicher: Wie kann man sich noch besser im Alltag vor den Erregern schützen? Zumindest in einem Punkt stellen führende Aerosolforscher klar: „Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir die Menschen sensibilisieren, dass DRINNEN die Gefahr lauert“, heißt es in einem Brief an die Bundesregierung und an die Landesregierungen. Zu den Unterzeichnern zählen der Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung, Christof Asbach, Generalsekretärin Birgit Wehner und der frühere Präsident der Internationalen Gesellschaft für Aerosole in der Medizin, Gerhard Scheuch. Diese kritisieren: „Leider werden bis heute wesentliche Erkenntnisse unserer Forschungsarbeit nicht in praktisches Handeln übersetzt.“ Wir beantworten wichtige Fragen zu diesen Erkenntnissen und ihrer Anwendung im Alltag.

Wie gefährlich sind Aerosole?

Neben den Tröpfchen, die beim Husten und Niesen entstehen, gibt es sogenannte Aerosole. Dabei handelt es sich um winzig kleine Tröpfchen, die eher Partikeln gleichen und so leicht sind, dass sie lange in der Luft schweben können. So können sich Aerosole über Minuten oder sogar Stunden in der Luft halten. Sind diese mit Viren infiziert, ist dann ein naher Kontakt mit einer erkrankten Person nicht mehr nötig, um sich anzustecken. Es kann reichen, die virusbelastete Luft einzuatmen. Allerdings gibt es bei der Infektionsgefahr auch Einschränkungen: Denn die winzigen Partikel können kaum Viren transportieren. Aus diesem Grund steigt das Risiko erst, wenn Gesunde viele davon einatmen. Bei Tröpfcheninfektionen verhält es sich da anders: Da reichen auch nur wenige aus, um sich anzustecken.

Wie groß ist die Ansteckungsgefahr?

Nach Erkenntnissen der Aerosolforscher werden Sars-CoV-2-Erreger fast ausnahmslos in Innenräumen übertragen. Hier werden stets größere Gruppen – sogenannte Cluster – infiziert. Auch steigt in diesem Bereich das Infektionsrisiko, wenn man sich nicht mit jemandem trifft – sich aber ein Infektiöser vorher in einem schlecht belüfteten Raum aufgehalten hat. Wie riskant ein Besuch im Supermarkt, im Friseursalon oder Fitnessstudio sein kann, haben unlängst Forscher der Technischen Universität Berlin versucht zu berechnen: Unter den dabei gegebenen Voraussetzungen ist das Risiko beim Friseur, in wenig ausgelasteten Museen, Theatern und Kinos, sowie in Supermärkten demnach vergleichsweise gering. Deutlich höher sei es in Fitnessstudios und vor allem in Oberschulen und Mehrpersonenbüros, errechnete das Team um Studienleiter Martin Kriegel.

Wie gefährlich sind Treffen im Freien?

Nach Ansicht der Forscher sind das Flanieren auf Flusspromenaden, der Aufenthalt in Biergärten, das Joggen oder Radfahren unproblematisch. Debatten über den Infektionsschutz in diesen Bereichen sind eher kontraproduktiv. So seien Maßnahmen wie die Maskenpflicht beim Joggen an Alster und Elbe in Hamburg eher symbolischer Natur und ließen „keinen nennenswerten Einfluss auf das Infektionsgeschehen erwarten“, schreiben die Experten. Außerdem dürften in den kommenden warmen Monaten draußen zusätzliche saisonale Effekte greifen: So nimmt bei höheren Temperaturen die Stabilität der Virushülle ab. Sonnenstrahlen, insbesondere UV-Strahlung, schädigen die genetische Information des Virus – der Erreger wird inaktiviert. Hinzu kommt, dass im Sommer das menschliche Abwehrsystem anders arbeitet als im Winter. Auch bildet der Körper bei mehr Sonnenlicht mehr Vitamin D, was die Immunabwehr zusätzlich stärkt. Wie stark saisonale Effekte das Infektionsgeschehen allerdings zu bremsen vermögen, ist unklar.

Wie sinnvoll sind Ausgangssperren?

Mit Ausgangsbeschränkungen will die Politik verhindern, dass sich Menschen zeitweise überhaupt treffen. Doch Maßnahmen wie diese versprechen aus Sicht der Wissenschaftler mehr, als sie halten können. „Die heimlichen Treffen in Innenräumen werden damit nicht verhindert, sondern lediglich die Motivation erhöht, sich den staatlichen Anordnungen noch mehr zu entziehen“, schreiben sie. „In der Fußgängerzone eine Maske zu tragen, um anschließend im eigenen Wohnzimmer eine Kaffeetafel ohne Maske zu veranstalten, ist nicht das, was wir als Experten unter Infektionsvermeidung verstehen“, heißt es in dem Brief.

Welche Maßnahmen können dann die Menschen besser schützen?

Grundsätzlich sollten Treffen in Innenräumen so kurz wie möglich gestaltet werden, raten die Forscher. Zudem sollte man mit häufigem Stoß- oder Querlüften Bedingungen wie im Freien zu schaffen. Effektiv ist es auch, grundsätzlich Masken in Innenräumen zu tragen sowie Raumluftreiniger und Filter überall dort zu installieren, wo Menschen sich länger in geschlossenen Räumen aufhalten müssen – etwa in Pflegeheimen, Büros und Schulen. „Die Kombination dieser Maßnahmen führt zum Erfolg“, heißt es weiter. „Wird das entsprechend kommuniziert, gewinnen damit die Menschen in dieser schweren Zeit zugleich ein Stück ihrer Bewegungsfreiheit zurück.“