Am ersten warmen Wochenende des Jahres strömten die Pariser auf Plätze und Straßen. Die Coronaregeln wurden dabei allerdings nicht immer eingehalten. Foto: AFP/ALAIN JOCARD

Die Corona-Infektionszahlen in Paris steigen. Nun erwägt die Stadtverwaltung, die Reißleine zu ziehen. Wer am Abend durch die Straßen der französischen Hauptstadt geht, wundert sich über die Sorglosigkeit.

Paris - Abends kurz vor 18 Uhr herrscht dichtes Gedränge in der Pariser Métro. Jeder möchte vor der Ausgangssperre rechtzeitig zu Hause sein. An den inzwischen zur Gewohnheit gewordenen Corona-Abstand ist nicht zu denken. In den großen Haltestellen schieben sich die Menschen dicht an dicht durch die engen Gänge.

Manche Heimkehrer erledigen bei den fliegenden Händlern, die an den Ausgängen ihre kleinen Stände aufgebaut haben, noch schnell ihre Einkäufe. Zigaretten, Obst und Gemüse wechselt dort den Besitzer. Unter der Station La Chapelle, einem der historischen Hochbahnhöfe der Linie 2, wird trotz der gerade begonnenen abendlichen Ausgangssperre noch lautstark gefeilscht, die Masken meist nachlässig bis weit unter das Kinn gezogen. Die Coronapandemie und rasant steigende Infektionszahlen erscheinen an diesem Ort wie eine weit entfernte Bedrohung.

Das Problem der Menschen ohne Zuhause

Eine Station weiter, an der Haltestelle Stalingrad, zeigt sich ein ähnliches Bild. Hier bevölkern aber weniger fliegende Händler die Straße. Vor allem junge Männer stehen in kleinen Gruppen beieinander, manche schlendern gemächlich in Richtung La Villette, einem stillgelegten Hafenbecken, das nun von Bäumen und Boule-Plätzen gesäumt wird. Abends wird diese Ecke zum Drogenumschlagplatz.

Immer wieder rückt nachts die Polizei an, um Dealer und Drogenabhängige zu vertreiben, für die das Wort Ausgangssperre keine Bedeutung zu haben scheint. Doch an diesem Ort stellt sich ein ganz besonderes Problem. Wie will man Menschen nach Hause schicken, die kein festes Zuhause haben? „Diese Leute leben auf der Straße, sie waren schon immer hier“, sagt Emmanuelle Oster, Sprecher der Pariser Polizei des 18. Arrondissements, „aber sie fallen während der Ausgangssperre einfach auf, weil niemand sonst auf der Straße ist.“

Die Sonne lockt die Menschen auf die Straße

Wesentlich mehr Sorgen bereitet den Verantwortlichen angesichts der Pandemie inzwischen aber das zunehmende öffentliche Leben am Tag. Das erste warme Wochenende lockte in Paris Hunderttausende nach draußen. Parks, Plätze und auch die Seine-Ufer waren voll mit Menschen, die die Sonnenstrahlen genossen. Angesichts dieser Menschenmassen und bisweilen ausufernder Partys in den Parkanlagen, reagierte die Polizei und sprach ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen aus.

Der Stadtverwaltung geht das allerdings nicht weit genug und hat sich nun für einen kurzen und sehr strengen Lockdown ausgesprochen. „Wir können nicht mit halben Maßnahmen leben, die uns unvermeidlich in den Lockdown treiben“, sagte der erste stellvertretende Pariser Bürgermeister, Emmanuel Grégoire, dem Sender BFMTV. Die Stadt werde mehrere Maßnahmen zur Bekämpfung der Epidemie vorschlagen, darunter ein etwa dreiwöchiger Lockdown in der Hauptstadt mit der Aussicht darauf, danach etwa Restaurants und Kulturstätten wieder öffnen zu können.

Die Kliniken sind bereits überlastet

Die Infektionszahlen in Paris geben im Moment Anlass zu größter Besorgnis. Der Inzidenzwert steigt in der Millionen Metropole seit Tagen stark an und liegt inzwischen bei deutlich über 300. Dringende Warnungen kommen von Medizinern, die darauf hinweisen, dass nicht nur immer mehr Menschen an Corona erkranken, sondern die Krankenhäuser in Paris schon jetzt fast ihre Belastungsgrenzen erreicht hätten. „Ich verstehe nicht, worauf wir warten“, sagt Philippe Juvin, Chef der Notfallabteilung eines Pariser Krankenhauses, dem Sender BFMTV und fordert einen sofortigen Lockdown.

Emmanuel Grégoire betonte nun, dass er von einem Lockdown nur am Wochenende wie etwa in Nizza wenig halte. Diese Maßnahme sei „kaum effektiv“. Die Vorschläge, einschließlich eines möglichen Lockdowns in Paris, würden an diesem Wochenende mit der örtlichen Gesundheitsbehörde und der Polizeipräfektur diskutiert, kündigte der Vize-Bürgermeister an.

Kaum war das Wort Lockdown ausgesprochen, begann in Paris das Rätselraten, wie weit die Maßnahme gehen könnte. Alle Geschäfte geschlossen? Würden auch die Schulen dicht gemacht? Alle Maßnahmen würden auf den Tisch gebracht und dann entschieden, betonte Bürgermeister Emmanuel Grégoire. Natürlich meldete sich sofort die gesamte politische Konkurrenz der sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo zu Wort. Einhellige Selbsteinschätzung der Kritiker: Sie würden bei der Bekämpfung der Pandemie ganz anders und natürlich viel besser agieren.