Nach Conchita Wursts Triumph in Kopenhagen kehrt die Türkei dem Eurovision Song Contest wohl endgültig den Rücken. Die Konservativen sehen Anstand und Sitte verletzt.
Istanbul - Noch vor nicht allzu langer Zeit war die Türkei sehr stolz auf ihre Teilnahme am Eurovision Song Contest (ESC): 2003 gewann das Land den Wettbewerb, danach folgten einige respektable Platzierungen. Doch seit 2012 nimmt die Türkei nicht mehr teil, und der Staatssender TRT strahlt die Wettbewerbe seitdem auch nicht mehr aus. Offiziell begründet wird der Boykott mit einem Protest gegen das Wertungssystem, tatsächlich geht es um Sitte und Anstand.
Auftritte voller sexueller Anspielungen, leichter Bekleidung sowie die Triumphe von homosexuellen Künstlern hatten die islamisch-konservative Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und TRT verärgert. Solche Bilder wollte man dem türkischen Publikum wohl nicht mehr zumuten. Der Sieg von Conchita Wurst in Kopenhagen hat nun das Feindbild zementiert. „Gut, dass wir da nicht mehr mitmachen“, kommentierte Erdogans Parteifreund Volkan Bozkir, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Parlament.
So wie Bozkir denken viele Anhänger der Erdogan-Partei AKP. Regierungsnahe Zeitungen zeigten sich empört über den Ausgang des ESC. Auf Twitter erhielt der Politiker viel Zuspruch für seine Kritik an dem Erfolg für Wurst. Nach einer Umfrage aus dem Jahr 2012 wollen fast neun von zehn Türken keinen Homosexuellen als Nachbarn haben. Allerdings meldeten sich auch zahlreiche Kritiker zu Wort. Ein Blogger in der Zeitung „Radikal“ betonte, er freue sich darüber, dass die ESC-Siegerin konservative Kreise so in Rage bringe. Auf Twitter wurde Bozkir eine homophobe Haltung vorgeworfen.
Der Anwalt Firat Söyle, der unter anderem für den Homosexuellenverband Lambda arbeitet, beschuldigte Bozkir, er habe strafwürdige Hassparolen benutzt. Rasch löschte der AKP-Parlamentarier daraufhin seinen Twitter-Kommentar zu Wurst wieder. Dennoch steht für Beobachter fest, dass der Erfolg der bärtigen Diva den Rückzug der Türkei aus dem Wettbewerb und den Boykott durch den Staatssender endgültig besiegelt hat.
„Stellen Sie sich mal vor: Bei einer Teilnahme der Türkei am Wettbewerb hätte der Auftritt der ‚bärtigen Dame‘ ausgestrahlt werden müssen“, schrieb der Kolumnist Cengiz Semercioglu in der Zeitung „Hürriyet“ nach der Show: „Für uns ist die Eurovision ein für alle Mal erledigt.“