Hacken, was das Zeug hält: die Protagonisten von „Watch Dogs 2“ nutzen alle Möglichkeiten einer total vernetzten Welt. Foto: Ubisoft

Im Computerspiel „Watch Dogs 2“ reist man in ein volldigitalisiertes San Francisco und wird selbst zum Hacker. Ein Gespräch mit den Entwicklern.

Stuttgart - Eine Welt voller Kameras und Abhörgeräte. Ein alle Lebensbereiche umfassendes „Internet der Dinge“, verbunden mit einem globalen Netzwerk. Gläserne Bürger, die über ihre Handys freiwillig auch noch die letzten persönlichen Informationen preisgeben. Was noch vor Kurzem klang wie eine krude Science-Fiction-Fantasie, ist heute längst Realität. Doch was wäre, wenn man sich auf all das Zugriff verschaffen und den Datenstrom zum eigenen Vorteil manipulieren könnte? Aufgrund dieser vor acht Jahren geborenen Idee schufen Creative Director Jonathan Morin und sein Team von Ubisoft Montreal die Videospielserie „Watch Dogs“, deren zweiter Teil jetzt erschienen ist.

Diente im ersten Teil Chicago als Paradebeispiel der totalen Überwachung, geht es diesmal nach San Francisco. Dort standen die Schöpfer Rede und Antwort zu ihrem Werk. Den Umzug in die Stadt an der Westküste, die man eher mit Laisser-faire, Street-Art und Blumenkindern als mit totaler Überwachung assoziiert, begründet Brand Content Director Thomas Geffroyd damit, dass der Touristenmagnet San Francisco auch eine traditionelle Hochburg der Hacker ist. Sie bilden den Gegenpol zu den großen Konzernen des nahe gelegenen Silicon Valley, das neben der Bay Area, Oakland und Marin ebenfalls zur riesigen Spielwelt von „Watch Dogs 2“ gehört. Wie aber stellt man eine Stadt dar, die jeder bereits aus unzähligen TV-Serien und Filmen kennt? Vom Foto zur digitalen Stadt

Selbstverständlich nicht ohne die Golden Gate Bridge. Auch die legendäre Gefängnisinsel Alcatraz, das quirlige Hafenviertel Fisherman’s Wharf und die Straßen von Chinatown wurden in akribischer Detailarbeit nachgebaut. Mehr als 40 Distrikte wurden im Vorfeld digital erfasst. 40 000 Fotos wurden geschossen und 200 Videos von Gebäuden gedreht. „Aber jedes Viertel hat auch seinen unverkennbaren Sound“, erklärt Senior Producer Dominic Guay. Deshalb machten die Entwickler an zentralen Punkten der Stadt Audioaufnahmen, um eine authentische Atmosphäre zu schaffen. Auch die computergesteuerten Charaktere, die das Spiel bevölkern, orientieren sich an Vorbildern aus dem echten Leben. „Jede Figur, die im Spiel zu sehen ist, hat ein lebendes Vorbild in der Realität“, versichert Guay.

„Wir wollten kein Touristen-San-Francisco, aber auch keine Karikatur“, sagt World Director Falko Poiker. In gewisser Weise sei die Stadt ein Mix aus der echten Heimat der Cable Cars, ihrer Geschichte und dem von der Popkultur geprägten Mythos. Kurz gesagt: Das digitale San Francisco ist selbst ein Kunstwerk, allerdings eines, das stets seiner Bestimmung als virtueller Abenteuerspielplatz verpflichtet bleibt. So eignen sich die halsbrecherischen Straßenzüge bestens für wilde Verfolgungsjagden, die Wolkenkratzer der Geschäftsviertel laden zum Manipulieren der Hauselektronik ein, über die man sich unbemerkt Zugang zu verbotenen Bereichen verschaffen kann. Das Smartphone als wichtigste Waffe

In der Rolle des jungen Farbigen Marcus Holloway schließt sich der Spieler einer Hackertruppe namens DedSec an. Obwohl „Watch Dogs 2“ primär ein Actionspiel ist, kann man es laut den Entwicklern komplett bewältigen, ohne einen einzigen Schuss abzufeuern. Die wichtigste Waffe des Helden ist sein Smartphone. Mittels Umgebungs-Hacks manipuliert man Ampeln, hetzt Gegnern mittels falscher Anschuldigungen die Polizei auf den Hals oder macht mithilfe gezielt überlasteter Leitungen ganze Straßenabschnitte unpassierbar. Der Kick liegt vor allem darin, die Möglichkeiten zu entdecken, die die im Vergleich zum Vorgänger doppelt so große Spielwelt bietet.

Dank des „nahtlosen Mehrspielermodus“ trifft man dabei immer wieder auf andere Spieler. Bei der „Hacking Invasion“ geht es darum, die Daten einer Zielperson herunterzuladen, ohne dabei entdeckt zu werden. Die Botschaft: Statt den Gegner physisch außer Gefecht zu setzen, ist es heute viel effektiver, seine Identität zu rauben. Neu ist ein Online-Koop-Modus, bei dem sich Spieler zusammenschließen können, um die Umgebung zu erkunden und Missionen im Team zu absolvieren. „Der Spieler soll sich selbst verwirklichen können“, fasst Thomas Geffroyd die zentrale Maxime zusammen. Realistisches Bedrohungsszenario

„Watch Dogs 2“ ist ein Spiel, das Fragen aufwirft. Was bleibt übrig, wenn man nicht mehr Herr seiner Daten, seiner Geschichte, seiner Persönlichkeit ist? Sicher kann nicht jeder als digitaler Outlaw durch die Welt ziehen und für die informationelle Selbstbestimmung kämpfen. Doch die Macher sind überzeugt, dass ein Computerspiel das Bewusstsein schärfen kann für die Gefahren, die in einer digitalisierten Welt überall lauern. Violet Blue, Buchautorin und selbst Teil der Hackerszene von San Francisco, glaubt, dass das Spiel zur Auseinandersetzung mit der Cyberkriminalität anregt.

„Hacking ist ein Instrument, das gleichermaßen dem Verbrechen wie der Aufklärung dienen kann“, so die Expertin. Die Grenze zwischen „guten“ und „bösen“ Hackern sei fließend. Blue hält die Charaktere im Spiel für „erstaunlich authentisch“, das Bedrohungsszenario sei durchaus realistisch. „Die Konzerne haben kein Interesse daran, den Leuten zu sagen, was mit ihren persönlichen Daten passiert. Wir stehen momentan an einem Wendepunkt, an dem man deutlich machen muss, welche Auswirkungen die systematische Verletzung der Privatsphäre letztlich haben kann.“ Es ist dieses Ziel, in dem sich die Absichten der echten Hacker sowie ihrer Abbilder mit denen der Spielentwickler am deutlichsten überschneiden.