Sich mit der eigenen Psyche zu beschäftigen ist ein Riesentrend – und der Markt für Coaches und Psycho-Influencer wird immer größer. Manche Anbieter verfügen jedoch über keine psychologische Ausbildung und verkaufen für viel Geld oft einfache Weisheiten.
Die Großen der Coaching-Szene locken die Massen an. Zum Beispiel Laura Malina Seiler, 37 Jahre alt, die sich auf ihrer Website „spirituelle Coachin“ nennt. Ihre Bücher sind trotz der simplen Titel Bestseller („Schön, dass es dich gibt“), ihre Podcasts werden millionenfach abgerufen, und die Wartelisten für ihre Kurse scheinen lang zu sein.
Dabei ist ihr Mantra einfach: Ändere deine Haltung zum Leben und deine Gedanken, dann wird alles gut! Das funktioniert mittels Manifestieren, also der bloßen Vorstellung von gewünschten Zielen, oder Meditation. Ihre Ausbildung in dem Bereich: Coaching-Kurse.
Coaches, Heiler, Esoteriker – das Angebot ist riesig
Bei den Preisen für ihre Kurse, die es benötigt, „um das eigene Licht zu entzünden“, beschleicht einen kurz der Verdacht, sie könnte eventuell eher ihren eigenen Geldbeutel zum Strahlen bringen wollen. Aber vielleicht sind das nur die simplen Ansichten von unerleuchteten Seelen, die noch nicht genug über Reichtum manifestiert haben.
Spirituelle Coaches, Beziehungs- und Singleberater, energetische Heiler oder Tarot-Kartenlegerinnen – der Markt für Coaches und Esoteriker ist in den letzten Jahren riesig geworden. Branchenerhebungen zufolge sind geschätzt etwa um die 40 000 Life-Coaches in Deutschland tätig. Hypeauditor, eine Analyseplattform für soziale Medien, listet zudem für das Jahr 2024 rund 260 000 Influencer, die zum Thema Psychologie posten. Unter den zehn größten Accounts wird „Psycholog y Facts“ gelistet, auf dem sich unwahre Sprüche finden wie: „Psychologie sagt, wenn jemand in deinen Träumen erscheint, bedeutet dies, dass die Person dich vermisst.“
Ein Bedürfnis nach gnadenloser Selbstoptimierung
Viele dieser Coaches und Psycho-Influencer versuchen das ungezügelte Bedürfnis einer Gesellschaft, in der sich viele gnadenlos selbstoptimieren wollen, zu stillen. Und sie geben ihren Anhängern ein subtiles Versprechen: Psychisch gesund zu sein oder reich werden – es geht ganz einfach, du musst es nur wollen. Ich manifestiere, also bin ich.
Eine Psychologin, die immer wieder Opfer von namhaften Coaches im Nachhinein behandelt und deshalb anonym bleiben möchte, sagt, die interessanteste Frage für sie sei immer noch, warum „erwachsene Menschen in Massen solche Führungsfiguren benötigen, die sie idealisieren und anhimmeln können“.
Inzwischen findet sich für jedes Problemchen, der passende Coach. Wer keinen Partner hat, sollte sich dringend mit seinem Bindungsstil beschäftigen. Für 289 Euro kann man dies bei der Psychologin Stefanie Stahl tun, kündigt sie in ihrem Newsletter an. Mit ihrem Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“ gilt sie quasi als eine der Begründerinnen der deutschen Psycho-Influencer-Szene – immerhin hat sie ein abgeschlossenes Psychologiestudium. „Normalgestörte“ hat sie ihre Zielgruppe genannt – auch die die sollen offenbar nicht einfach untherapiert vor sich hinvegetieren.
Wer nicht so viel Zeit und Geld in sich selbst investieren will, der kann aber natürlich einfach das Buch der amerikanischen Psycho-Influencerin Brianna Wiest „The Truth about Everything“ zur Hand nehmen – damit hat man selbstheilungsmäßig quasi mit einem Werk alles erledigt – sie schreibt schließlich nichts weniger als „die Wahrheit über alles“.
Viele Menschen informieren sich am liebsten in sozialen Netzwerken
Die Flut an Angeboten ist auch deshalb so groß, weil sich mit der eigenen Psyche zu beschäftigen ein Riesentrend ist. Laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,Psychosomatik und Nervenheilkunde sind zudem 27,8 Prozent der Erwachsenen von einer psychischen Erkrankungen betroffen. Die Psychotherapeutin Franca Cerutti aus dem Ruhrgebiet sieht in dem Bedürfnis, die eigene Psyche zu verstehen, eine sehr positive Entwicklung. „Viele junge Menschen können wir aus unserer Praxis heraus nicht erreichen“, sagt sie. Über soziale Netzwerke hätten viele die Möglichkeit, sich zu informieren. „Der offene Umgang mit psychischen Krankheiten hilft, sie zu enttabuisieren.“ Sie ist auf Instagram, betreibt den wissenschaftlich fundierten Podcast „Psychologie to go“ , schreibt Fachbücher und gibt Gruppenkurse.
Was sie äußerst kritisch sieht, ist, dass viele „Nichtexperten“ glauben, über psychische Krankheiten informieren zu können. „Also diese Sachen wie ‚Hier fünf Punkte, ob du ADHS hast‘ – das finde ich völlig daneben“, sagt sie. Da brauche es von Nutzerinnen und Nutzern mehr Bewusstsein, welche Seiten und Coaches qualitativ gut seien.
Ihr Eindruck sei, dass es gerade in der Life-Coaching-Szene viele gebe, die unbedingt an die Öffentlichkeit wollten – und deshalb immer wieder auf Themenfelder setzten, die angesagt seien und hohe Preise verlangten. „Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen Coaches, aber viele verkaufen fertige Lösungen, denken sich ein komplett eigenes Vokabular aus oder weisen nicht darauf hin, dass es sich um keine Therapie handelt“, betont Cerutti.
Die digitale beste Freundin ist oft sehr teuer
„Ich bin deine digitale beste Freundin“ – das liest man bei Psycho-Influencerinnen häufig in ihrer Instagram-Biografie. Die Gefahr dabei: „Viele Betroffene von psychischen Krankheiten werden durch diese kumpelartige und pseudofreundschaftliche Ansprache ausgenutzt“, betont die Psychologin. Denn damit die Menschen treue Anhänger werden, geben viele Coaches in sozialen Netzwerken ihr halbes Leben preis, um eine vermeintliche Nähe herzustellen. Singend und tanzend vermitteln sie in kleinen Videos ihre Weisheiten. „Manche glauben ja wirklich, dass sie das Gute in die Welt bringen, aber es fehlt ihnen schlicht an psychologischem Fachwissen“, sagt Cerutti. „Gerade deshalb müssen Psychotherapeuten selbst guten Content anbieten, um ein Gegengewicht zu dieser selbst ernannten Heilerszene zu schaffen.“
Viele Psychologen versuchen dies bereits – sie räumen quasi hinter den Coaches auf. Einige wie die englische Psychologin Seerut K. Chawla haben bereits eigene Rubriken dafür: „Was Pop-Psychologie dir nicht sagen wird“.
Inzwischen gebe es sogar Versuche von Plattform-Betreibern, die Flut an Falschnachrichten einzudämmen, sagt Franca Cerutti. So plane Youtube derzeit Experten-Accounts, bei denen die Betreiber der Kanäle nachweisen müssen, dass sie eine medizinische oder psychologische Ausbildung haben. Dafür sollen sie mit einer höheren Reichweite belohnt werden.
Ein Problem ist der unübersichtliche Markt auch für diejenigen Coaches mit einer fundierten Ausbildung. So wie für Jennifer Rauchfuß (34) aus Baden-Württemberg. Sie hat ein duales Studium in Sozialwirtschaft absolviert, einen Master in Personalentwicklung sowie eine mehrjährige Ausbildung zum Business Coach an einer Hochschule absolviert. Derzeit setzt sie noch eine dreijährige Ausbildung zur Supervisorin obendrauf. „Trotzdem schäme ich mich oft, wenn ich anderen erzähle, dass ich Coach bin“, sagt sie. „Man wird gleich in eine Richtung abgestempelt, weil viele diesen Beruf negativ beschmutzen.“ Sie frustriere es, dass sich in ihrem eigenen Feld so viel tummelten, deren eigene Expertise „Lebenserfahrung“ sei. „Wenn ich drei Youtube-Videos anschaue, wie man ein Auto repariert, bin ich doch auch noch kein KfZ-Mechaniker“, sagt Rauchfuß.
Sie fände es deshalb wichtig, wenn der Beruf Coach strenger definiert wäre, es offizielle Ausbildungen und Zertifikate gebe – gerade weil sie immer wieder höre, dass Coaches die eigenen Grenzen, aber auch die der Klienten nicht kennen. „Viele haben mit eigenen Themen stark zu kämpfen – normalerweise arbeitet man die eigentlich in der Selbsterfahrung während der Ausbildung auf“, sagt Rauchfuß.
Systemische Therapeuten wünschen sich geschützte Berufsbezeichnung
Für problematisch hält sie, dass Social Media schlicht nicht kontrollierbar ist. „Jeder kann da erzählen, was er will“, sagt sie. Auch auf die Marketing-Maschen vieler Coaches würden viele hereinfallen. „Die machen dann paar witzige Sachen und sagen: ‚Ach mir hat das geholfen‘, und die Leute glauben das dann.“
Eine Sprecherin des Bundesministeriums für Gesundheit äußert sich zu dem ungezügelten Coaching-Markt auf Nachfrage nicht konkret. Sie betont aber, es sei ein Anliegen des Ministeriums, dass Bürger auf seriöse Informationen zu Gesundheitsthemen im Internet zurückgreifen können, deshalb biete das Ministerium seit 2020 das Nationale Gesundheitsportal an. Sie ergänzt: „Dass Social Media eine Therapie beziehungsweise persönliche psychologische Hilfe nicht ersetzen kann, sollte klar sein. Allein schon deswegen nicht, weil viele Social-Media-Plattformen datenschutzrechtlich bedenklich sind“, sagt eine Sprecherin.
Das Gesundheitsministerium plant die Schaffung von mehr Therapieplätzen
Mit dem geplanten Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) will man aber zumindest die Versorgung von Menschen, die eine Psychotherapie benötigen, verbessern.
Gesundheitsportale, die seriös über psychische Krankheiten aufklären
Bund
Seit 2020 stellt das BMG auf www.gesund.bund.de verlässliche, neutrale and zugleich verständliche Informationen zu Gesundheitsthemen, häufigen Krankheitsbildern sowie Behandlungsmöglichkeiten bereit, darunter auch häufige psychische Erkrankungen, ihre Symptome und Behandlungsmöglichkeiten sowie der Umgang mit psychischen Krisen.
Krankenkassen
Fast alle Krankenkassen bieten auf ihren Websites inzwischen umfangreiche Informationen zu psychischen Krankheiten und Mental Health an. Eine erste Anlaufstelle bei psychischen Erkrankungen ist immer der Hausarzt, der dann unter Umständen zu Fachärzten überweist.
Notfall
Für Menschen in Krisensituationen bietet die Telefonseelsorge rund um die Uhr Beratung und Hilfe per Telefon (08 00 111 01 11), Chat und E-Mail an. (nay)