Tiere gibt es im Circus Roncalli nicht mehr: Sie wurden 2018 durch Holografie ersetzt. Foto: Circus Roncalli

Wer in Deutschland an Zirkus denkt, der kommt am Circus Roncalli nicht vorbei. Derzeit machen die Artisten auf ihrer „All For Art For All“-Tour noch bis zum 4. September in Ludwigsburg Station. Ob sich ein Besuch lohnt?

Vor vier Jahren war der Circus Roncalli mit dem Programm „Storyteller“ unterwegs – und in den Schlagzeilen, weil er als erster Zirkus Holografie in der Manege zeigte. Elefanten und Pferde waren da – und doch wieder nicht. „Das war die größte Kurs-Korrektur, die es in unserer Geschichte je gegeben hat. Was ich wollte, war, den Circus neu zu erfinden, aber Roncalli zu bleiben“, sagt Gründer und Direktor Bernhard Paul (75), der damals in einem Rutsch seinen Roncalli nicht nur tierfrei, sondern auch gleich plastikfrei machte.

Diesmal steht bei „All For Art For All“ die Kunst im Vordergrund. „Im Wort Artistik steckt auch das Wort Art, wie Kunst“, erklärt Bernhard Paul. Eine Hommage an Malerei, Musik und Mode. Und so wundert es nicht, dass zu Beginn der rund zweieinhalbstündigen Show (inkl. Pause) eine Bilderparade an diverse Maler wie Leonardo da Vinci (1452-1519), Frida Kahlo (1907-1954) oder Edvard Munch (1863-1944) erinnert – und auch danach immer wieder die Kunst in ihren zahlreichen Facetten mit den Programmpunkten verbunden wird.

Circus Roncalli: Sogar eine Clownin ist diesmal dabei

Artistisch macht die Handstand-Akrobatin Maria Sarach mit ihren Verrenkungen im Stil des Malers Piet Mondrian (1872-1944) den Auftakt. Ein echter Hingucker. Es folgt unter Anspielung auf Rene Magrittes (Der Sohn des Menschen, das Bild mit Melone und Apfel) Danil Lysenko, der als „Herr der Ringe“ einzigartige Jonglierkunst zeigt.

Den humorvollen Teil der Circus-Show füllen bei Roncalli Clown Rico, Paolo Carillon, Anatoli Akerman, erstmals „Clownin“ Krissie Illing mit ihrem witzigen Alter Ego Wilma und Gensi aus. Letzterer ist mittlerweile in seiner 16. Saison der dienstälteste Weißclown in der Roncalli-Geschichte.

Irre Quick-Change-Zauberei: „Schatz, ich zieh mich mal schnell um“

Magisch wird‘s beim Auftritt von Victor und Elena Minasov. Roncalli-Kenner werden sich erinnern, ja, die waren 2003 das erste Mal dabei. Ihre Spezialität ist der „Quick Change“. Fast schneller als ein Wimpernschlag wechselt das Ehepaar wie von Zauberhand die Kleider, reißt sie sich vom Leib und lässt das staunende Publikum ratlos die Köpfe schütteln. Seit 1999 arbeiten die beiden zusammen und geben „Schatz, ich zieh mich mal schnell um“ eine sehr einleuchtende Begründung.

Erotisch wird’s, als sich Vanessa und Sven auf einem weißen Flügel selten gesehene akrobatische Elemente der Equilibristik als Metapher einer Partnerschaft zeigen. Voller Ruhe und Kraft, die auch bei der weiblichen Luftakrobatik vom „Duo Luna“ am Ring notwendig sind. Und wer bei den Sprungeinlagen von „Jump’n’Roll“ schon dachte, es geht nicht besser, der wurde eines besseren belehrt…

Hermanos Acero: Kopf auf Kopf im Spagat – unfassbar 

Wie Charly (25) und Wuilder Acero (24) als die „Hermanos Acero“ zum Schluss des Roncalli-Spektakels mit ihren Hand- und Kopfständen für staunende und ungläubige Gesichter sorgen, ist eine großartige Show. Wie Charly freihändig seinen Bruder, der Kopf auf Kopf stehend einen Spagat macht, die Stufen eines Podests erst hinunter und dann rückwärts wieder hochbalanciert, ist einfach nur unfassbar. Vom Allerallerfeinsten. Wow!

Fazit zum Circus Roncalli: Billig ist ein Besuch im Circus Roncalli mit der Familie auf den ersten Blick nicht. Er lohnt sich aber. Zudem gibt es für Tickets bis Ende August einen 20-Prozent-Rabatt (Aktionscode „Hallo“). Das Storytelling ist typisch Bernhard Paul: ästethisch, klug durchdacht, emotional, erotisch und überraschend. Die Programmpunkte bleiben länger in Erinnerung. Und auch wer im weiteren Umfeld des Europa-Parks mit seinen Kurz-Shows wohnt, den sollte auch eine Anreise zwischen 45 und 90 Minuten nach Ludwigsburg nicht abschrecken. Aus Lörrach kommend sind zweieinhalb Stunden Fahrt vermutlich zu viel – aber in Basel war mit dem Zirkus Knie auch gerade im Juni das Schweizer Roncalli-Pendant.

Was war das Highlight der Roncalli-Show?

Das lässt sich nicht so einfach sagen. Alle Artisten und Künstlern sorgten für besondere Momente. Dramaturgisch sicher nicht von ungefähr zeigten die „Hermanos Acero“ ihr Können als letzter großer Akt. Charly und Wuilder sind Brüder, kommen aus Kolumbien und sind in einer Artistenfamilie groß geworden. Die Mutter war Luftakrobatin, der Vater Hochseilartist. Den Durchbruch schafften die beiden Brüder 2016 in Japan, als sie für den „Pop-Circus“ auftraten. Dort entstand auch die irre Kopfstandnummer, die ursprünglich mal mit einem Ring zwischen den Köpfen stattfand. Als der jedoch gestohlen wurde, nicht so schnell Ersatz aufzutreiben war... „Die Basis sind Handstand, Dehnbarkeit und Kraft“, erklärt Charly (81 Kilo schwer) bei ksta.de, der im Vergleich zu Wuilder (64 Kilo) den einfacheren Part hat.

Wie viele Zuschauer passen in das Zirkuszelt von Roncalli?

1316 Zuschauer sind pro Vorstellung zugelassen. Es gibt drei verschiedene Ränge (A. B, C), Sitze im Parkett sowie Logen-Plätze im Parkett und der Galerie.

Dauer der Vorstellung: Wie viel Zeit muss ich für einen Besuch beim Circus Roncalli einplanen?

Die Show „All For Art For All“ dauert rund zwei Stunden und 30 Minuten, inklusive Pause.

Was gibt es im Circus Roncalli zu essen?

An den Countern gibt es diverse Snacks. Popcorn gibt es zum Beispiel für fünf Euro, Zuckerwatte für drei Euro. Eine Bio-Bratwurst (weiß oder rot) kostet 4,50 Euro. Es gibt zudem vegane Gerichte.

Wo macht Circus Roncalli überall Station?

Zum Auftakt war der Circus Roncalli dort, wo er zu Corona-Hochzeit zwar spielbereit gewesen ist, aber nicht mehr auftreten durfte: in Recklinghausen (10. März – 3. April 2022). Danach folgte das „Heimspiel“ in Köln (7. April – 22. Mai) und die Station in Düsseldorf (27. Mai – 26. Juni). Nach einer kurzen Sommerpause kehrt der Circus Roncalli ins Blühende Barock nach Ludwigsburg (10. August – 4. September) zurück. Weitere Stationen sind Wien (14. September – 9. Oktober), Frankfurt (15. Oktober – 13. November) und Bremen (18. November – 3. Dezember).

Wie teuer sind die Tickets für den Circus Roncalli?

Karten gibt es zwischen 12 und 66 Euro. Am günstigsten sind Vorstellungen in der Regel am Mittwoch und Donnerstag. Freitag bis Sonntag ist es teurer. Ein Erlebnis ist es sicherlich, ganz vorne an der Manege zu sitzen. Die „Premium Parkett Loge“ kostet am Wochenende 66 Euro. Für Familien (ab vier Personen) gibt es etwas vergünstigte Ticket-Pakete in der Galerie-Loge, im Rang A und Rang C. Karten gibt es online unter www.roncalli.de oder telefonisch unter der Roncalli-Hotline 07141 / 1429010

Sind die Tickets für den Circus Roncalli nicht ein wenig teuer?

Roncalli-Gründer und Direktor Bernhard Paul hält die Preise für gerechtfertigt. „Man muss sich überlegen, für was sonst Geld ausgegeben wird – oder was eine Maß Bier auf einem Volksfest kostet“, sagt er. Die Preise haben sich seit der „Storyteller“-Tournee 2019 nicht erhöht.

Wie viele Mitarbeiter hat der Circus Roncalli?

In der Summe sind es 120 Artisten, Musiker, Künstler und Mitarbeiter. Wenn der Circus Roncalli auf Tournee geht, dann reist er mit 80 historischen Wagen, die mit der Bahn transportiert werden.

Wer ist der Gründer und Direktor vom Circus Roncalli?

Bernhard Paul (75) hat den Circus 1975 gemeinsam mit André Heller gegründet, ihn 1976 übernommen und ihn seitdem immer wieder weiterentwickelt. 2018 durch den Verzicht von Tieren in der Manege, der Einführung von Holografie sogar komplett neu erfunden. Als Arbeiterkind in Niederösterreich aufgewachsen, studierte Bernhard Paul zunächst Hoch- und Tiefbau, später Grafik.

Ans Aufhören denkt er übrigens noch nicht: „Ich bin einer von den Unkaputtbaren“, sagt Paul. „Kreativität und Kunst kennen kein Alter. Picasso malte noch mit 90 Jahren, Charlie Chaplin machte noch mit weit über 80 Jahren Filme. Udo Lindenberg und Rolling-Stones-Gitarrist Ron Wood sind so alt wie ich und auch noch schwer aktiv. Uns alle beflügelt dieser Rock’n’Roll des Lebens.“ 

2021 wurde die Kino-Dokumentation „Ein Clown – ein Leben“ veröffentlicht.

Circus Roncalli: Wer sind die Töchter und der Sohn von Bernhard Paul?

Die Kinder, also Adrian, Vivi und Lili haben den Zirkus mit der Muttermilch aufgesaugt. Alle drei wollen den Circus Roncalli irgendwann weiterführen. Lilli Paul, Gewinnerin von „Let’s Dance“ (2020), modelt erfolgreich, sitzt zudem beim ORF in der Show „Starmania“ in der Jury. Sie ist mit dem österreichischen Tennisprofi Dominik Thiem liiert. Adrian Paul ist künstlerischer Leiter im Apollo-Theater in Düsseldorf. Vivi Paul ist für das Casting und Buchen von neuen Roncalli-Stars zuständig.