Bernhard Paul (75) ist Gründer und Direktor vom Circus Roncalli. Bald will er auch wieder als Clown Zippo in der Manege stehen. Foto: Circus Roncalli

Eigentlich wollte Bernhard Paul nur als Clown in der Manege auftreten. Doch er wurde erfolgreicher Direktor des Circus’ Roncalli.

Im Interview spricht der 75-Jährige, der in drei Jahren mit Roncalli 50-jähriges Jubiläum feiert, über Scheinwelten, Karl Lauterbach und Rücktrittsgedanken - und er verrät, wann er als Clown Zippo zurückkehrt.

Herr Paul, anstatt das Interview via „Teams“ zu führen, telefonieren wir miteinander. Sind Smartphones für Sie Segen oder Fluch?
Bernhard Paul: Zu einem höheren Prozentsatz Segen. Wenn wir mit dem Circus Roncalli früher unterwegs gewesen sind, musste man zum Telefonieren in eine Telefonzelle, immer Münzen dabeihaben und nachwerfen. Oft musste man mitten im Gespräch aufhören. Allein das Handy zum Telefonieren ist eine Erleichterung. Das Leben ist dadurch aber auch hektischer geworden. Die ständige Erreichbarkeit stört.

Im Circus Roncalli ist Kartenzahlung beim Würstchen- oder Popcorn-Kauf nicht möglich. Wieso?
Bernhard Paul: Das Bargeld ist die Zukunft. Wenn ich höre, dass man das eventuell abschaffen will, dann wird mir schlecht. Ich warte nur darauf...

Daran glaube ich nicht, Bargeld wird es immer geben. Aber zurück zum Circus Roncalli: Wie haben Sie damals im März 2020 das kurzzeitige Pandemie-Aus erlebt?
Bernhard Paul: Das war schon verrückt, eigentlich unvorstellbar: Wir waren mit einem ganz neuen Programm unterwegs, haben uns zwei Jahre vorbereitet, hatten noch am Vorabend Generalprobe – gegen Mitternacht kam dann der Oberbürgermeister und hat uns informiert, dass wir nicht spielen dürfen.

Haben Sie damals realisiert, was passiert?
Bernhard Paul: Ehrlicherweise nicht. Wir haben gedacht, gut, dann geht es in drei Wochen eben erst in Köln mit unserer Tournee los. Aber auch das ging nicht. Mir war recht schnell klar, dass wir erst mal kein Geld verdienen werden.

Wie ist der Circus Roncalli wirtschaftlich über die Runden gekommen?
Bernhard Paul: Kurzarbeit und auch die Wirtschaftsförderung haben uns gerettet – sonst gäbe es uns nicht mehr. Aber dadurch mussten wir niemanden von unseren 150 Mitarbeitern entlassen. Aber wissen Sie, was am schlimmsten gewesen ist?

Nein.
Bernhard Paul: Die Warterei. Das war wie ein Hängen am Seil an der Eiger-Nordwand – ohne zu wissen, wann man wieder runter darf. Wie in einem Wartesaal, aus dem die Anzeigetafel geklaut worden ist. Schrecklich. Nervenzerreißend. Für die Macher und auch den Herrn Direktor. Niemand wusste irgendwas. Zwei Jahre durften wir nicht spielen, das hatten wir noch nie zuvor erlebt. Und wir mussten den Zirkus irgendwie am Leben erhalten.

Wie haben Sie das gemacht?
Bernhard Paul: Wir haben die Technik in unserem Zelt optimiert. Neue Klimaanlagen und Heizungen installiert. Aerosole werden bei uns auch direkt aus der Luft gefiltert, so dass wir eine potentielle Ansteckungsgefahr auf ein Minimum reduziert haben. Aber lassen Sie uns nicht mehr zurückblicken: Roncalli ist wieder da. Das ist es, was zählt!

„Mich schaut mit schreckgeweiteten Augen Herr Lauterbach an“

Roncalli ist zurück – die Zeiten sind jedoch weiter angespannt.
Bernhard Paul: In der Tat. Die Welt ist eine andere als noch vor zweieinhalb Jahren. Die Menschen erleben genug schlechte Sachen, geraten schon beim Lebensmittelkauf in eine negative Stimmung. Vor meinem geistigen Auge schaut mich gerade mit schreckgeweiteten Augen Herr Lauterbach an. Oder Olaf Scholz! Welches Bild er als Bundeskanzler abgibt, gerade jetzt schon wieder mit den fehlenden Masken auf der Kanada-Reise: da fühle ich mich nicht gut repräsentiert. Beim Circus Roncalli sind wir aber nicht dafür da, um schlechte Nachrichten zu erzählen. Sondern die Menschen aufzurichten, ihnen Freude, Entspannung, Spaß und Vergnügen zu schenken.

Inwiefern merken Sie, dass es die Menschen in diese temporäre Scheinwelt zieht?
Bernhard Paul: Sehr einfach an den Besucherzahlen. Wir waren in Köln und Düsseldorf so gut wie immer ausverkauft. In Ludwigsburg – eine schönere Location im Schlosspark zwischen Blumen und Palmen kann es kaum geben – können wir uns über mangelnden Zuspruch ebenfalls nicht beschweren. Und von dort geht es nach Wien auf den Rathausplatz. Das wird toll. Wien ist etwas Besonderes.

Paul: „Die Gesamt-Komposition ist wichtig“

Ihr aktuelles Roncalli-Programm heißt „All For Art For All“. Wie entwickeln Sie das Storytelling?
Bernhard Paul:
Ich setze mich hin und bespreche mit mir, was mir am Herzen liegt. In diesem Fall gibt es die Verbindung zu meinem Studium: Ich habe Kunst studiert, das interessiert mich. Mondrian, van Gogh – ich liebe die Kunst.

Welche Darbietung der Show erstaunt Sie am meisten?
Bernhard Paul:
Da will ich niemanden hervorheben. Für mich ist die Gesamt-Komposition wichtig.

Bernhard Paul: „Bin die personifizierte Qualitätskontrolle“

Sitzen Sie auch selbst regelmäßig im Roncalli-Publikum?
Bernhard Paul:
Unbedingt. Ich muss das Programm regelmäßig sehen, um zu schauen, ob die Nummern gleich gut gewesen sind. Ich unterhalte als Direktor bis zum Tournee-Ende eine Baustelle. Ich bin die personifizierte Qualitätskontrolle. Ich habe mal eine Woche vor Saisonschluss noch mal was am Programm geändert, das haben nicht alle verstanden, aber die Spannung muss bis zum Schluss hoch sein.

Konkurrieren Sie mit anderen Zirkussen?
Bernhard Paul: In gewisser Weise ja, weil wir alle der Unterhaltung dienen. Aber wir haben andere Konzepte. Wir sind nicht verfeindet und schaden uns auch nicht.

Empfinden Sie Ihre Eintrittspreise als teuer?
Bernhard Paul: Nein. Die Preise sind erschwinglich, zudem haben wir auch hin und wieder Rabattaktionen. Seit vier Jahren haben wir die Preise nicht angepasst. Das kann kaum einer mehr in der heutigen Zeit behaupten.

„Schon als kleiner Bub Plastik gehasst“

Roncalli ist nicht nur tier-, sondern auch plastikfrei. Wie kam es dazu?
Bernhard Paul: Ich habe mal in Indien eine Welle im Meer gesehen, die bestand gefühlt nur aus Plastik. Schon als kleiner Bub habe ich Plastik gehasst – selbst Legosteine. Ich kann zwar die Welt nicht von heute auf morgen verändern, aber ich habe das Plastik so gut es geht verbannt.

Es gibt Glas- statt Plastikflaschen: Ist nachhaltig zu arbeiten, wirtschaftlich?
Bernhard Paul: Das Thema Nachhaltigkeit hat mich schon ganz schön Nerven gekostet – und Geld. Wenn ich mich daran erinnere, wie ich unsere gesamte Beleuchtung auf LED umgestellt habe, das war eine eigene Wissenschaft. Ich kann in einer Jugendstillampe schließlich kein Neonlicht einbauen. Aber es ist richtig, nachhaltig zu arbeiten.

Arbeiten Sie CO2-frei?
Bernhard Paul: Das nicht, aber wir vermeiden CO2 wo es geht. Unsere Tournee erstreckt sich zum Beispiel nur über sechs Orte, andere reisen viel häufiger durchs Land. Und unser Equipment transportieren wir in unseren 100-jährigen Wagen seit mehr als 40 Jahren über die Schiene.

Können Sie am Publikum ablesen, in welche Region Sie gerade auftreten?
Bernhard Paul: Ja, das ist möglich. In Köln ist das Publikum sehr spontan, da geht man in die Manege und die Menschen klatschen schon. Das Wiener Publikum ist eher wie in einem Theater. Die Besucher dort wollen erst mal überzeugt werden, dann klatschen sie aber auch. Es gibt immer Unterschiede in der Reaktion, Herzlichkeit und Intensivität.

Und wie ist das Publikum in Ludwigsburg?
Bernhard Paul: In fast jeder Vorstellung gibt es Standing Ovations – das sagt alles.

Sie sind im Mai dieses Jahres 75 Jahre jung geworden. Denken Sie mal daran, kürzer zu treten?
Bernhard Paul: Nein. Ich bin einer von den Unkaputtbaren, habe noch so viele Ideen und Pläne. Ich hoffe, dass ich überhaupt noch alles schaffe… Kreativität und Kunst kennen außerdem kein Alter. Nehmen Sie Udo Lindenberg oder auch Ron Wood von den Rolling Stones – uns alle beflügelt der Rock’n’Roll des Lebens.

Wann stehen Sie selbst wieder als Clown Zippo in der Manege?
Bernhard Paul: Das wird noch ein wenig dauern. Wenn ich die Clown-Nummer mache, dann ist für mich der Tag komplett weg, dann würden so viele andere Projekte ins Stocken geraten. Und das will ich nicht. Aber spätestens beim 50-jährigen Roncalli-Jubiläum bin ich wieder Zippo. Versprochen. Das wäre 2026 und das erste Mal, dass ein Zirkus-Direktor auch noch 50 Jahre später in der Verantwortung steht.

Was sind Ihre Pläne bis dahin?
Bernhard Paul: Derzeit schreibe ich ein Buch über die Geschichte Roncallis. Das wird ein Riesenprachtband. Wir denken zudem über eine Fair-Trade-Mode-Kollektion nach, digitalisieren zudem unser Archiv. Das Gehirn des Circus‘ muss aufbewahrt werden. Ich staune manchmal selbst, mit welchen Persönlichkeiten es bereits Berührungspunkte gab.

Zur Person Bernhard Paul

  • Bernhard Paul, geboren am 20. Mai 1947 im österreichischen Lilienfeld, studierte zunächst Hoch- und Tiefbau und dann Grafik.
  • Um seinen Traum vom eigenen Zirkus zu verwirklichen, kündigte er seinen gut bezahlten Job als Art Director bei einem großen Wiener Magazin und baute seit 1975 den Circus und das Unternehmen Roncalli auf.
  • Mit seiner Frau Eliana hat er drei Kinder: Vivian, Adrian und Lili. Letztere wird als Artistin in Wien mit dabei sein.

Circus Roncalli in Ludwigsburg

Circus Roncalli gastiert noch bis zum 4. September in Ludwigsburg. Zehn Tage später geht es weiter in Wien. Tickets gibt es ab 24 Euro unter www.roncalli.de oder vor Ort.