Er ist das klimapolitische Gesicht der CDU. CDU-Vize Andreas Jung weiß um die Bedeutung seiner Mission – und um die Widerstände. Unser Berlin-Korrespondent Norbert Wallet hat ihn einen Tag in seinem Wahlkreis begleitet.
Der See hat schlechte Laune an diesem Montag der vergangenen Woche. In der Nacht schon kamen Wolken von Konstanz her, und jetzt, wo es hell geworden ist, schimmert das Wasser abweisend grau. Es donnert, es blitzt, und über Radolfzell beginnt es gleich zu schütten, dass man keinen Hund, erst recht keine Menschenseele vor die Tür schicken mag.
Aber was kümmern den Bodensee die Nöte eines Bundestagsabgeordneten. Es ist der Wahlkreis von Andreas Jung, dem stellvertretenden CDU-Vorsitzenden und Klimaexperten seiner Partei. Um acht Uhr beginnt die Kette an Terminen. Das Hecker-Gymnasium in Radolfzell übergibt dem Politiker 531 „rote Hände“, farbige Handabdrücke von Schülern, die mit ihrer Aktion gegen die Rekrutierung von Kindern in Kriegen protestieren.
Im Foyer der Schule gibt es eine improvisierte Talk-Show. Harte Fragen. Ob Abgeordnete zu viel verdienen? Nein, sagt Jung. Aber er lege Wert darauf, keinerlei Nebeneinkünfte zu haben. Er ist Rechtsanwalt, aber er übt den Beruf nicht mehr aus. Ob nicht auch die CDU mitunter der Versuchung des Populismus unterliegt? Jung widerspricht nicht. Ein Parteifreund hatte im Zusammenhang mit dem Heizungsgesetz der Bundesregierung von „Heizungs-Stasi“ gesprochen. Jung berichtet, wie er gegen die Formulierung im Präsidium seiner Partei protestiert habe. Das könne „niemals die Wortwahl der CDU sein“.
Andreas Jung ist das Klima-Gesicht der CDU
Zum Schluss fragt der 17-jährige Paul Becker nach Jungs persönlichen Zielen. Jung lässt sich Zeit mit seiner Antwort, denkt nach. „Ich will nachhaltig leben“, sagt er dann. „Ich will heute so leben, dass nachfolgende Generationen hier auch noch gut leben können.“
Nachhaltig leben. So kurz und kompakt lässt sich seine Agenda zusammenfassen. Der 48-Jährige ist das Gesicht der CDU, wenn es um das Thema Klimaschutz geht. Manche sagen: das einzige Gesicht. Und er muss klarmachen, dass das Thema für die Partei kein Anhängsel ist, kein „Gedöns“ wie Gerhard Schröder einmal die Themen nannte, die er für Kleinkram hielt. Die Wichtigkeit seines Anliegens versucht Jung bei jeder Gelegenheit seiner Partei klarzumachen.
Neulich traf sich die CDU in Berlin zu einem Grundsatz-Konvent. Eine Etappe auf dem Weg zum neuen Parteiprogramm, für dessen klimapolitischen Teil er verantwortlich ist. Als sich Jungs Arbeitsgruppe trifft, macht er in seiner Eröffnungsrede gleich klar, welche strategische Bedeutung die Aufgabe für die Union hat. „Ohne Glaubwürdigkeit beim Klimaschutz können wir bei der nächsten Wahl einpacken, wir brauchen dann erst gar nicht antreten.“ Klimaschutz ist wahlentscheidend. So sieht es Jung. Wahlentscheidend. Wer so denkt, lädt sich viel Druck auf. Jung versteht gar nicht, warum manche in der Partei mit dem Thema noch fremdeln. „Bewahren gehört zur DNA der CDU, aber Erneuern und Verbessern eben auch.“
Bei Andreas Jung jagt ein Termin den nächsten
Da sieht jemand in seinem Themenfeld den Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit seiner CDU. Aber er sieht auch, dass die Partei noch längst nicht da ist, wo sie sein sollte. Das macht ungeduldig. „Klimaschutz muss nicht nur ins Programm, sondern auch ins Herz der Partei. Wir müssen das als CDU mit noch mehr Leidenschaft vertreten.“ Manchmal kann diese Spannung schwer auszuhalten sein. „Wer bei uns über Sicherheit, Wirtschaft oder Finanzen spricht, wird nie gefragt: Bist Du eigentlich ein echter Schwarzer oder warum interessierst Du dich dafür? Beim Klimaschutz ist das anders. Man muss das zuweilen erklären und dafür kämpfen.“
Deshalb der dicht gedrängte Terminplan. Nach den Schülern kommen die Stadtwerke Radolfzell. Die gesamte Spitze der Stadtwerke ist vertreten. Man will dem Abgeordneten aus Berlin zeigen, welche Belastung es vor Ort bedeutet, wenn energiepolitische Entscheidungen, von der Gaspreisbremse bis zum Heizungsgesetz, im Blitztempo umgesetzt werden sollen. Noch nie habe man bei Kunden eine solche Verunsicherung, ja Angst gespürt. Also langsamer, mit Bedacht vorgehen. Nach den Stadtwerken stellt eine private Firma ein Projekt vor. Ein ganzes Industriegebiet soll mit Erdwärme versorgt werden. Zu sehen ist ein Acker, sonst nichts. Die Firmenvertreter sprühen vor Optimismus. Erneuerbare Energie – ein Wachstumsmarkt. Also schneller, mit Mut vorgehen.
Am Abend dann noch ein Termin in Heidelberg. Drei Stunden im Auto, wenn alles gut geht. Da muss die Logistik stimmen. Jung braucht funktionierende Ladesäulen für seinen E-Mercedes. Auch das gehört zum nachhaltigen Leben. Es geht nicht alles gut. Stau vor Stuttgart. Es kommt Stress auf, denn ein Fernseh-Team wollte Jung vor der Veranstaltung noch kurz interviewen. Es ist eine Liveschaltung. Also muss das TV-Team entgegenkommen. Man trifft sich auf irgendeinem Rastplatz am Rande der Autobahn. Das ist nicht die einzige Störung. Das ZDF ruft an. Der Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel hat in einem Tweet den menschengemachten Klimawandel angezweifelt. Jung muss sich dazu verhalten. Ob er sich davon distanziert, wird er gefragt. „Wieso ich?“, fragt Jung zurück. „Rüddel distanziert sich doch von der Position der Partei.“
Jung kennt diese Störfeuer, auch wenn Rüddel ein besonders krasser Fall ist. Aber der Wirtschaftsrat der CDU oder die Mittelstandsvereinigung – es mangelt nie an Mahnungen, es mit dem Klimaschutz nicht zu übertreiben. „Ich fühle mich zu Hause in der Mitte der CDU“, beharrt Jung. Mit 16 Jahren habe ich zum ersten Mal Wahlkampf gemacht und seitdem immer. Da brauche ich mich nicht zu rechtfertigen.“
Zu Merz hat Andreas Jung eine gewisse Distanz
Er ist in der südbadischen CDU verwurzelt. Sein Geburtsort Stockach liegt in seinem Wahlkreis. Heute lebt er auf der Bodensee-Insel Reichenau. Der Bezirksverband hatte schon immer eine Vorreiterrolle bei Themen der Ökologie ausgefüllt. Vielleicht liegt das an der Landschaft, an der Nähe des Bodensees. 1984 gab es schon die ‚Grüne Charta der CDU Südbaden‘. Die Südbaden-CDU ist auch sonst ein bisschen anders. „Es gibt hier eine tief verwurzelte Liberalität“, beschreibt Jung und nennt ein Beispiel. „1992 gab es im Landtagswahlkampf das Plakat ‚Asylproblem lösen, CDU wählen“. Ich habe das als Ortsvorsitzender in Stockach nicht aufgehängt, das war zu platt.“
Wer so denkt, hat es nicht immer leicht in der CDU eines Friedrich Merz. Jung ist solidarisch, aber auch kritisch. Einerseits lobt er Merz: „Er hat das Ausschlussverfahren gegen Maaßen eingeleitet. Er grenzt uns glasklar von der AfD ab.“ Andererseits warnt Jung eindringlich vor zu dröhnendem Auftreten: „Wer Kulturkämpfe betreibt, bestellt das Feld, auf dem die AfD die Ernte einfährt. Schriller Populismus wäre für die CDU der Weg ins Verderben.“ Das sind schon sehr klare Worte für Jung, der im Berliner Politzirkus ob seiner immer höflichen und korrekten Art über Parteigrenzen hinaus beliebt ist.
Irgendwann erreicht er dann doch Heidelberg. Hier lädt sein Fraktionskollege Alexander Föhr zum „Wärmedialog“. Rund 60 Gäste haben tapfer ausgehalten. Sie alle treibt die Sorge um, welche Kosten das Heizungsgesetz verursachen wird. Ein Heimspiel. Leichte Punktegewinne liegen in der Luft. Aber so einfach macht es sich Jung nicht. Seine Botschaft ist differenziert. „Wir haben das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 beschlossen, dabei bleibt es“, sagt er. Und: „Wer bei Öl und Gas bleibt, muss wissen: Das wird teuer.“ Aber die Politik müsse alle mitnehmen. Was auf dem Tisch liege, gehe so nicht. „Wir sollten einen neuen Anlauf wagen und aufeinander zugehen.“ Ein ziemlich typischer Satz für Jungs Politikstil.