Eine Kugel, 37 Zahlenfelder: Was ist so faszinierend an Roulette? Temin Joguncic vom Casino Baden-Baden, der beste Croupier Deutschlands, klärt auf. Ein Besuch auf dem Parkett der Eitelkeiten.
Die Geste hat etwas Erhabenes. Lässig, aber sehr bestimmt schweift Temin Joguncic mit der flachen Hand am ausgestreckten Arm einmal rund über den Roulettetisch. Für die Spieler ist die in etwa 20 Zentimeter Höhe ausgeführte Bewegung das entscheidende Zeichen: ab jetzt Finger weg von den Jetons. Rien ne va plus. Oder wie man hier im Casino Baden-Baden sagt: Nichts geht mehr.
Der Job ist Hochleistungssport
Die Kugel, mit Geschick in den Kessel geworfen, hat schon einige Runden gedreht. Als erfahrener Croupier hört Temin Joguncic genau, dass bald Schluss sein wird. Dass es nur noch Sekunden dauert, bis sie auf den Kesselboden fällt und in einem der 37 Nummernfelder liegen bleibt. Mit einem sanften Klacken landet die Kugel auf 21, Rot.
Jetzt kommt der Dolly zum Einsatz: Die gläserne Figur markiert auf dem Filztableau, welche Zahl erfolgreich war. Vor allem hat die Bank gewonnen: Temin Joguncic schiebt jede Menge bunter Chips zusammen und lässt sie in eine Vertiefung im Tisch plumpsen. Eine Maschine sortiert alles und schickt nach Farben geordnete und akkurat aufgestapelte Türmchen zurück nach oben neben den Kessel. Dann werden die Gewinne ausgezahlt. Ein Herr hat auf „Rot“ gesetzt. Er bekommt seinen Einsatz von zwei Euro verdoppelt. Bitte das Spiel zu machen.
Eine Partie Roulette zu leiten, ist Hochleistungssport. Immer voll konzentriert, die Augen überall, der Geist hellwach. Selbst am voll besetzten Tisch den Überblick behalten, blitzschnell Gewinne ausrechnen. 45 Minuten dauert ein Einsatz, dann wird gewechselt. Pro Stunde hat jeder Croupier also 15 Minuten Pause. Damit alles mit rechten Dingen zugeht – aufseiten der Mitarbeiter und aufseiten der Kundschaft –, gibt es eine Art Schiedsrichter. Erfahrene Kollegen thronen auf erhöhten Stühlen wie am Tennisplatz. Außerdem ist jedes Spiel kameraüberwacht. Kunden, die tricksen wollen, fliegen schnell auf. Streitigkeiten können dank Bildbeweis leicht gelöst werden.
Ein Croupier muss psychologisches Talent haben
Temin Joguncic ist erst 25 Jahre alt und schon einer der Besten. Im April hat er die German Dealer Championship gewonnen. Kürzlich belegte der junge Mann aus Bühl bei der Europameisterschaft im niederländischen Venlo Platz fünf. Die Damen und Herren messen sich dabei in Disziplinen wie Fingerfertigkeit, Spielkontrolle, Übersicht, Gastlichkeit. „Es geht auch darum, ein guter Gastgeber zu sein“, sagt Temin Joguncic. Ein Croupier muss ähnlich wie ein Barkeeper psychologisches Talent haben. Man plaudert mit den Gästen, unterhält sie, hört zu, versucht zu erspüren, ob jemand reden oder in Ruhe gelassen werden möchte. Auch bei größter Sympathie ist eine professionelle Distanz zu wahren. Kein vertrauliches „Du“, keine Namen. Diskretion! Datenschutz!
Als Berufsuniform trägt ein Croupier klassisch-weißes Hemd, kleidsame Weste, elegante Fliege. Auch bei den Gästen ist ein stilvolles Auftreten erwünscht. In Baden-Baden herrscht für die Herren Sakkopflicht. Wer kein Jackett dabei hat, kann sich für zehn Euro Gebühr eines ausleihen. Doch das ehrwürdige Haus geht auch mit der Zeit. Modische weiße Sneaker sind erlaubt und oft gesehen. Viele Damen nutzen die Gelegenheit, sich schick in Schale zu werfen. Lange Abendkleider, hohe Schuhe, die gute Handtasche. Das Casino ist auch ein Ort für den gesellschaftlichen Auftritt, ein Parkett der Eitelkeiten.
Spielteilnahme ab 21 Jahren
„Ich habe hier mit 18 Jahren als studentische Aushilfe angefangen und mich dann in den Job verliebt“, sagt Joguncic, dessen Stiefmutter die Mitarbeiterkantine des Casinos leitet. Merke: Arbeiten darf man hier schon mit 18 Jahren, spielen aber erst nach dem 21. Geburtstag. Dieses Mindestalter gilt aber nur in Baden-Württemberg und Bayern, in allen anderen Bundesländern reicht die Volljährigkeit.
Über ganz Deutschland verteilt gibt es 63 Spielbanken, viele liegen in einem Ort mit „Bad“ im Namen, denn das Spiel um Geld ist traditionell ein beliebtes Vergnügen in klassischen Seebädern oder Kurorten. Die längste Tradition hierzulande hat die Spielbank Bad Ems, gegründet 1720. Allerdings war das Etablissement an der Lahn zwischendurch auch mehr als 100 Jahre geschlossen. Das Casino Baden-Baden bringt es auf mehr als 200 Jahre: 1801 konzessioniert Markgraf Karl Friedrich von Baden das öffentliche Spiel in einigen Gasthöfen an der Oos, daraus entwickelt sich die Spielbank. 1824 zieht das Casino in den Seitenflügel des Kurhauses, das damals noch Konversationshaus heißt.
Die Ausbildung zum Croupier dauert nur knapp zwei Monate, geschult werden verschiedene Spiele: Roulette, Black Jack und Poker. Das durchschnittliche Monatsgehalt beträgt 3500 Euro im Monat plus Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge plus Trinkgeld. Die milden Gaben der Gäste werden brüderlich-schwesterlich geteilt. Tronc – französisch für Opferstock – nennt man die kleine Kasse an jedem Spieltisch. Jeder Chip, der dem Croupier von glücklichen Gewinnern geschenkt wird, muss da rein. Einfach einstecken wäre ein Kündigungsgrund.
Viele Kunden kommen schon nachmittags, um zu spielen
Neben dem guten Verdienst gefällt Temin Joguncic, dass hier „kein Tag wie der andere“ sei. Wer sich über den Begriff Tag wundert: Das Casino öffnet um 15 Uhr. Die Mitarbeiter haben entweder Frühdienst bis 19.30 Uhr oder Spätschicht von 19.30 bis 2 Uhr nachts. Von der ersten Minute an herrscht in den üppig dekorierten Sälen des 200 Jahre alten Casinos Hochbetrieb. Viele Kunden kommen schon nachmittags.
Ist das nicht bedenklich? „Wenn es uns nicht gäbe, würden die Leute ihr Geld im Internet oder in irgendeinem Hinterzimmer verzocken, ohne Spielerschutz“, sagt Tobias Wald. Seit Dezember 2023 ist der ehemalige Landtagsabgeordnete Geschäftsführer der Baden-Württembergischen Spielbanken. Als staatlich konzessionierter, legaler Anbieter von Glücksspiel haben die Häuser einen „ordnungspolitischen Auftrag“, wie Wald betont. Man darf hier gerne etwas Geld verlieren, aber sich bitte nicht finanziell ruinieren. So gehört es zu den Aufgaben der Saalchefs, auffällige Spieler unauffällig zur Seite zu nehmen. Wer drauf und dran ist, sich um Haus und Hof zu bringen, wird diskret angesprochen. „Die meisten sind dankbar und lassen sich freiwillig sperren“, sagt Tobias Wald. Wer sich nicht selbst aus dem Spiel nimmt, kann auch von der Spielbank ausgeschlossen werden. „Sperren gibt es praktisch jeden Tag“, sagt Wald und erzählt, dass die Firma mit der Suchtberatung der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart zusammenarbeitet.
106 Millionen Steuern und Abgaben im Jahr 2023
Bei aller Nächstenliebe sind die Spielbanken natürlich auch Wirtschaftsunternehmen. Die drei Häuser haben 555 Mitarbeiter – 188 in Baden-Baden, 115 in Konstanz, 252 in Stuttgart. Die baden-württembergischen Casinos wiesen im Jahr 2023 ein Bruttospielergebnis von 145 Millionen Euro aus, mehr als 106 Millionen Euro wurden an Steuern und Abgaben entrichtet. Bitte das Spiel zu machen.