Der Schweizer Sinologe Jean-Pierre Voiret möchte noch weitere Bücher veröffentlichen. Foto: Fritsch

Der Schweizer Sinologe Jean-Pierre Voiret hat sein erstes Buch veröffentlicht – mit 85 Jahren. Es handelt von der Rolle der Astronomie in der Urgeschichte Chinas.

Calw-Alzenberg - Es hat ihn noch mal richtig gepackt. Und das mit 85 Jahren. Obwohl der Schweizer Sinologe Jean-Pierre Voiret, den es wenige Jahre nach seine Pensionierung 2001 nach Alzenberg verschlagen hat, im Laufe seines Forscherlebens immer wieder wissenschaftliche Artikel in Fachzeitschriften veröffentlicht hatte, kommt erst jetzt sein erstes Buch heraus. Es trägt den Titel "Der Himmel über China" und beschäftigt sich mit der Rolle die Astronomie in der Urgeschichte Chinas.

Angeregt hat ihn dazu sein Freund Paul Widmer, Vizepräsident des Bodenseeinstituts für Interkulturelle Bildung und Zusammenarbeit. "Er kannte meine Artikel und hat mich ermuntert, ein eigenes Buch zu schreiben", erzählt Voiret im Gespräch mit unserer Redaktion. "Das hat mir in meinem Alter einen richtigen Motivationsschub gegeben."

Die Astronomie spielt in der jahrtausendealten chinesischen Kultur eine große Rolle. Voiret kommt zu der Erkenntnis, dass der aus den Beobachtungen des Himmels entstandene Kalender zur Entwicklung einer Hochkultur und schließlich zum Träger von Macht wird. Das mag zunächst befremdlich klingen. Voiret macht deutlich, dass in diese Kalender Beobachtungen zu den Jahreszeiten, dem Wetter, zur Zoologie und Botanik einfließen. "In den uralten chinesischen Texten, die ich an der Universität untersucht habe, werden Sonne, Mond, Planeten und Sterne immer wieder genannt, ihre Wichtigkeit für den Menschen [...] betont. Das reiche von den Himmelsgesetzen bis zum Keimen der Pflanzen, von der Nahrung bis zur Religion. Deshalb steht der phänologische Kalender (auch ›Bauernkalender‹ genannt, Anm. d. Red.) mit Recht am Anfang der Hochkultur."

Eigene Kalender entwickelt

Mit der Zeit, so Voiret, stieg die Effizienz in der Landwirtschaft, die einstmaligen Jäger und Sammler wurden zu Bauern. Die Ernährung wurde einfacher und besser, die Bevölkerung wuchs. Die Arbeitsteilung entstand. Die Menschen beschäftigten sich zunehmend mit handwerklichen und künstlerischen Tätigkeiten. Voiret: "Das Land wurde aber durch den Bevölkerungsdruck knapper und die Sippen fingen an, ihre Gebiete abzugrenzen, es entstanden auch Konflikte: Alles Tatsachen, die in alten Texten [...] überliefert sind. Wenn Konflikte da sind, da bekommen die Jäger, da in der Nutzung der Waffen geübt, eine neue Rolle als kriegführende Häuptlinge: Es entstehen Hierarchien."

Der phänologische Kalender der Jungsteinzeit, die etwa 2000 v. Chr. endete, stellt laut Voiret "einen wunderbaren Beweis frühen abstrakten Denkens dar." In der Folge hat jede Dynastie in China, bis in das 20. Jahrhundert hinein, Astronomen beschäftigt, die eigene Kalender entwickelt haben.

Im Laufe des Sommers ist ein zweites Buch von Voiret zu erwarten. Dann erscheint "Ex Oriente Lux ?", in der er seine Studien über das moderne China aus den Jahren 1976 bis 2016 zusammenfasst. Zudem arbeitet er an der französischen Übersetzung beider Bücher.

Zur Sinologie fand Voiret erst spät. Auf Rat des Vaters studierte er zunächst Metallurgie und Chemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, schloss 1964 als Diplom-Ingenieur ab und promovierte vier Jahre später. Er war als selbständiger technischer Übersetzer tätig und begann mit dem Studium der Sinologie im Alter von 37 Jahren.