Alles, was Michael Jerry macht, muss er am Computer dokumentieren – auch daran hat er Freude. Fotos: Rousek Foto: Schwarzwälder Bote

Erfolgsgeschichte: Michael Jerry aus Nigeria ist als Altenpflege-Azubi im Haus Nagoldtal beinahe unersetzlich

Eine Geschichte, mit der so wohl keiner gerechnet hätte: Michael Jerry kam 2015 aus Nigeria. Ohne Deutschkenntnisse. Mittlerweile gehört er nicht nur zu den Klassenbesten in der Berufsfachschule für Altenpflege, sondern ist auch bei den Senioren äußerst beliebt.

Calw. "Mikey nennen mich die Bewohner", verrät der Altenpflege-Azubi lächelnd. Seit zwei Jahren ist er im Haus Nagoldtal als erster Auszubildende mit dunkler Hautfarbe tätig. Und die Resonanz könnte kaum positiver sein.

Doch von vorne: Nachdem Jerry aus seinem Heimatland Nigeria geflohen war, kam er über den Niger, Libyen und Italien 2015 nach Deutschland (wir berichteten). Während sein Halbbruder Theophilus in der Asylunterkunft auf dem Wimberg unterkam, wurde Jerry der Gemeinde Altshausen (Kreis Ravensburg) zugeteilt.

Dass der heute 27-Jährige schließlich auch nach Calw kam, hat er vor allem Pfarrer Sebastian Steinbach zu verdanken. Dieser wollte für einen Gottesdienst mit Flüchtlingen gemeinsam musizieren und erfuhr über Theophilus, dass sein Halbbruder ein guter Musiker sei. Steinbach lud Jerry ein. Einmal, dann immer öfter. Bis er bei den Behörden alles daransetzte, den jungen Nigerianer in den Kreis Calw zu holen. Denn hier lockte eine echte Zukunftsperspektive: Praktikums- und Ausbildungsplätze zum Altenpfleger.

"Ich wusste damals nicht, was Pflege bedeutet", erinnert sich Jerry. "In Nigeria gibt es das nicht in dieser Form." Klar, dass der junge Mann am Anfang Angst hatte. "Aber mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt." Neben den anfänglichen Unsicherheiten in der Praxis gab es aber noch ein weiteres, wesentlich größeres Hindernis zu überwinden: die Sprachbarriere.

"Ich war anfangs wirklich skeptisch, ob er das hinkriegt", gesteht Annette Scheer, Schulleiterin der Berufsfachschule für Altenpflege des Diakonischen Instituts in Calw. Zumal man normalerweise einen Abschluss im Sprachlevel B2 haben muss, um überhaupt eine Ausbildung beginnen zu können. Davon war Jerry damals meilenweit entfernt. Weil Scheer aber wusste, dass er im Haus Nagoldtal und bei seiner damaligen Gastfamilie Heiliger gut aufgehoben war, gab sie ihm die Chance. Und hat es nicht bereut.

"Es ging dann ziemlich schnell in eine gute Richtung", erzählt die Schulleiterin. Jerry besuchte an freien Tagen und während seines Urlaubs eine Sprachschule in Stuttgart. Nebenbei musste er aber natürlich auch den Unterrichtsstoff der Berufsschule büffeln. Beziehungsweise erst einmal ins Englische übersetzen, Unklares mit der Gastfamilie besprechen und dann büffeln. Ein stattliches Pensum.

"Am Anfang war es schwer für mich", sagt Jerry. Weil er aber ein von Grund auf positiver Mensch sei, habe er das Aufgeben nie in Betracht gezogen. "Aber natürlich gab es graue Tage", sagt Guido Richert, Heimleiter des Hauses Nagoldtal. Noch heute ist es für den jungen Mann jeden Tag aufs Neue eine Aufgabe am Limit. Auch wenn es mit der Zeit einfacher wird. "Ich brauche nur noch wenige Übersetzungen.

Fröhliche und unkomplizierte Art

Und etwa 70 Prozent der Unterlagen verstehe ich selbst", sagt er stolz. Seine Noten an der Berufsschule sind tadellos. "Erst im vergangenen Lernblock hat er die beste Arbeit der ganzen Klasse geschrieben", sagt Scheer. Inzwischen hat Jerry sogar eine eigene kleine Wohnung. Und auch das Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten ist für den 27-Jährigen kein Problem. "Das wäre am Anfang undenkbar gewesen", sind sich alle einig.

Ebenso herrschte zu Beginn eine große Unsicherheit, ja geradezu Sorge darüber, wie die Bewohner des Seniorenzentrums wohl auf den dunkelhäutigen Pfleger reagieren würden. "Aber wir wurden eines Besseren belehrt", freut sich Pflegedienstleiterin Gertrud Alberts: "Er wurde von Anfang an akzeptiert."

Das habe zum einen mit seiner fröhlichen und unkomplizierten Art zu tun, erklärt Alberts. Aber auch mit seinem Fleiß. "Michael hat seine Arbeit immer gut gemacht. Wir sind wirklich froh, ihn zu haben."

Am 30. September 2019 wird Michael Jerry mit seiner Ausbildung zum Altenpfleger fertig sein. Wenn alles gut läuft. "Da haben wir keine Bedenken", winkt Alberts ab. Und danach? "Ich habe immer im Kopf: weiterlernen, immer weiter", beschreibt Jerry seine Gedanken. Vielleicht werde er irgendwann Mentor oder Pflegedienstleiter.

"Oh, Konkurrenz", sagt Alberts lachend. Der Stolz, der ihr in diesem Moment ins Gesicht geschrieben steht, spricht Bände.