Die Sperrung am Adlereck und die Teilung der Stadt macht den Gewerbetreibenden schwer zu schaffen. Foto: Buck

Schadenersatzklage wird geprüft. Sperrung bis zur Existenzgefährdung?

Calw - Seit zwei Wochen ist wegen der einsturzgefährdeten Bahnbrücke kein Durchkommen am Calwer Adlereck. Für Händler, Gastronomen und Dienstleister eine Katastrophe. Das berichten Betroffene einhellig im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Deutsche Bahn äußert sich indes zurückhaltend zur Frage, wie lange die Sperrung noch anhält.

Fernbleibende Kunden und Gäste, massive Umsatzeinbußen und sogar echte Existenzängste machen den Calwer Gewerbetreibenden und Gastronomen derzeit zu schaffen. Der Grund: die anhaltende Zweiteilung der Stadt wegen der Sperrung des Calwer Adlerecks.

Nicolai Stotz und Jürgen Ott, Vorsitzende des städtischen Gewerbevereins, sowie Thomas Peter, Ortsverbandsvorsitzender des Dehoga in Calw, und Frank Steinbrenner, Betreiber des Le petit Bistro und der Braubar DV in Calw, geben einen Überblick über die Situation. Händler und Dienstleister "Es wäre übertrieben zu behaupten, bei Herrn Ott und mir stehe seit annähernd zwei Wochen das Telefon nicht mehr still – aber es kommt dem schon sehr nahe", berichtet Stotz auf Anfrage unserer Zeitung. Die Stimmung bei vielen Unternehmen sei sehr angespannt; Calw habe in der jüngsten Vergangenheit mehrfach unter größeren Baustellen und Behinderungen zu leiden. Die aktuelle Sperrung sei bei vielen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe. "Dabei fehlt es den Unternehmern nicht an Verständnis für die Situation", so Stotz; die Notwendigkeit der Maßnahmen werde erkannt.

Die Einschränkungen der vergangenen Jahre hätten einige Betriebe jedoch durchaus an einen Punkt gebracht, bei dem Existenzängste aufkommen können. Da überwiege bei allem Verständnis oft der Frust – und es kämen Fragen nach den Verantwortlichen auf. Ebenso vermissten viele ein Signal das zeige, dass man sie nicht vergessen habe. Einige würden erwarten, dass die Bahn als Verantwortlicher auf sie zugehe, um eine Lösung für die Misere anzubieten. In diesem Zusammenhang werde auch immer wieder hinterfragt, wie es überhaupt soweit kommen konnte. Oft werde der Bahn fahrlässiges Handeln unterstellt oder zumindest, dass frühere Probleme an der Brücke nicht ernst genug genommen wurden.

Die Vorsitzenden des Gewerbevereins prüften derzeit fieberhaft, was sie überhaupt tun könnten, um die Situation zu verbessern. Mit Bauzaunbannern am Adlereck und an der Bauknechtkreuzung wollen sie darauf hinweisen, wie die jeweiligen Geschäfte erreichbar sind. Darüber hinaus seien sie gebeten worden, mögliche rechtliche Ansprüche auf Schadenersatz gegenüber der Bahn zu prüfen.

Bei Gastronomie und Handel, so erläutert Ott, seien Umsatzrückgänge von bis zu 50 Prozent oder mehr feststellbar. Bei den Lieferdiensten stiegen zudem die Betriebs- und Personalkosten durch die weiteren Fahrstrecken erheblich, führt Stotz aus. Auch bei Dienstleistern sei eine deutlich geringere Frequenz zu bemerken.

Das Calwer City Center feiere darüber hinaus aktuell sein fünfjähriges Bestehen. Die dortigen Mieter hätten sich viel von zusätzlichen Umsätzen durch damit zusammenhängende Aktionen erwartet. Wegen der Sperrung sei die Kundenfrequenz jedoch stark zurückgegangen. Teilweise habe man Jubiläumsaktionen auf die Zeit nach der Sperrung verschoben.

Lobend müsse in diesem Zusammenhang die Arbeit der Stadtverwaltung und dabei ganz besonders die von Oberbürgermeister Ralf Eggert erwähnt werden, unterstreicht Stotz. Vieles werde auf dem "kurzen Dienstweg" erledigt, beispielsweise was Auskünfte oder Genehmigungen betreffe.

Ebenso ist Stotz über die Vielzahl konstruktiver Ideen aus den Reihen der Gewerbevereins-Mitglieder positiv überrascht. Wie man zum Beispiel "Fußgängerfurten" an der Bahnlinie einrichten oder sich mit Drohnen behelfen könnte, um die Barriere zu überwinden. "Das mag im ersten Augenblick nicht realisierbar klingen, aber oftmals lohnt es sich, auch tatsächlich einmal näher darüber nachzudenken", lobt Stotz.

Ott betont, dass man sich nun auch Gedanken machen müsse, wie man nach der Sperrung wieder verstärkt Menschen in die Stadt locken könne, um die Einbußen wettzumachen. Und er appelliert an die Kunden, die Gewerbetreibenden in dieser Situation nicht im Regen stehen zu lassen und dennoch in Calw einkaufen oder essen zu gehen sowie die örtlichen Dienstleistungen zu nutzen. Trotz allem würden die Umleitungen letztlich nur wenige Minuten mehr in Anspruch nehmen, um in die Stadt zu kommen. Gastronomen Der örtlichen Gastronomie machten in den vergangenen Tagen nicht zuletzt das schlechte Ostergeschäft sowie fehlende Gäste in der Abendzeit Sorgen, berichten Thomas Peter und Frank Steinbrenner. "Wir gehen alle am Stock", sagt Peter. Die wochenlange Sperrung sei für viele Gastronomen geradezu existenzgefährdend; der Umsatz mancherorts um ein Drittel bis zur Hälfte eingebrochen. Der Bahn scheine wohl nicht klar zu sein, dass Gastronomie auch vom Geschäft an Terminen wie Ostern lebe.

In Sachen Abendgastronomie, erläutert Steinbrenner, bereiteten nicht zuletzt die Zeiten, zu denen der Shuttle-Bus verkehre, Probleme. Wer am Abend beispielsweise eine Kneipe besuche, wolle schließlich nicht gezwungen sein, bereits spätestens um kurz vor Mitternacht zum Bus hetzen zu müssen. "Und die fußläufige Situation ist unmöglich", ergänzt Steinbrenner. Einige seiner Gäste wohnten kaum 100 Meter Luftlinie entfernt, dennoch gebe es kein Durchkommen. Für ihn ist daher klar, dass es Aufgabe der Bahn sei, den Menschen die Überwindung der Sperrung zu ermöglichen – und zwar 24 Stunden am Tag.

Insgesamt sind Peter und Steinbrenner sich einig, dass die Bahn als "staatlicher Betrieb" in der gegenwärtigen Situation vieles auf die Privatwirtschaft ablade; dass das Problem der Bahn auf dem Rücken der Calwer Betriebe ausgetragen werde. Denn während der Zugverkehr praktisch ohne Einschränkungen zu rollen scheine, breche in Calw ein riesiger Teil des Bruttosozialproduktes weg. Beide sehen es deshalb als Aufgabe der Bahn, auf die Gewerbetreibenden zuzukommen, diesen zu helfen und Lösungen anzubieten – "und zwar schnellstmöglich", so Steinbrenner.

Das sagt die Bahn Doch wie lange wird die Sperrung überhaupt noch andauern? Auf Anfrage äußert sich die Bahn zurückhaltend. "Die Vorarbeiten laufen bereits seit Ende vergangener Woche und dauern noch bis zum Einbau der Hilfskonstruktion an. Die Straße kann wieder befahren werden, sobald die Brücke gesichert ist", erklärt eine Sprecherin. Wann genau es so weit sein wird, dazu macht sie keine Angaben. "Wir melden uns, sobald der Termin zum Einbau steht", heißt es lediglich in einer Stellungnahme.

Auch, ob Gespräche mit den örtlichen Gewerbetreibenden geplant sind, ob und (wenn ja) wie man diesen beistehen werde oder ob sogar Schadensersatzzahlungen vorgesehen sind, bleibt vorerst offen. "Wir bitten um Verständnis, dass wir zu Ihren weiteren Fragen heute noch keine Stellung nehmen können, da wegen des nahenden Feiertags benötigte interne Ansprechpartner nicht erreichbar sind", erklärte ein Sprecher dazu.