Interessenten stehen auch Qualifizierungen im Bereich Lagerlogistik offen. Foto: Campus Mensch Foto: Schwarzwälder Bote

Campus Mensch: Sozialunternehmen schaffen Raum und bieten praxisnahe Qualifizierungen für Menschen mit Nachteilen

Gemeinnützige Werkstätten und Wohnstätten (GWW), die Inklusionsunternehmen "Femos" und die "1a Zugang Beratungsgesellschaft" sowie die Stiftung Zenit haben sich unter dem Dach des "Campus Mensch" zusammengeschlossen. Die Geschäftsführungen der Unternehmen haben nun ihren Wirkungsbericht vorgestellt

Kreis Calw/Kreis Böblingen. Raum schaffen für Menschen mit Nachteilen, das haben sich die Sozialunternehmen des "Campus Mensch" auf die Fahnen geschrieben. Gemeinsame Idee ist, für die betroffenen Personen Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sie gut lernen, arbeiten, wohnen oder ihren Ruhestand verbringen können. Zusammen mit den Nutzern dieser sozialen Dienstleistungen stellten die Geschäftsführungen die Wirkung ihres Handelns vor.

Vor zehn Jahren kam Henrike Bergmeier in den Bildungsbereich der GWW. Dass sie sich damals nicht sicher war, ob das wirklich der passende Ort für sie ist, verheimlicht sie nicht. Trotzdem wechselte sie nach der zweijährigen Grundqualifizierung in den Dienstleistungsbereich der Werkstatt in Sindelfingen und war dort in der Telefonzentrale beschäftigt. Auch im Wohnen nahm die Rollstuhlfahrerin Betreuung durch die GWW in einer WG in Anspruch. "Durch verschiedene Praktika auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt konnte ich mich ständig weiterentwickeln", erklärt sie. "Vor zwei Jahren habe ich dann mit der Qualifizierung zur Qualitätsbefragerin begonnen. Heute habe ich eine feste Anstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei der 1a Zugang Beratungsgesellschaft und erhebe die Qualität und Wirkung sozialer Dienstleister."

Als selbst von Behinderung betroffene Frau befragt sie in sozialen Einrichtungen Menschen mit Behinderung unter vier Augen. "Die Ergebnisse unserer anonymisierten Befragungen stellen wir dann der Einrichtungsleitung und den Menschen mit Behinderung vor", so Bergmeier weiter. Im Anschluss kann dann die Einrichtung passende Verbesserungen umsetzen.

Andrea Stratmann, Geschäftsführerin der GWW und Vorstand der Stiftung Zenit, sieht im Zusammenschluss des "Campus Mensch" die idealen Voraussetzungen für eine solche Karriere: "Wir bitten einen Rahmen, an dem jeder ausprobieren kann, was er mit seinen Fähigkeiten und Interessen gerne arbeiten kann und möchte." Manche Menschen arbeiten an einer Perspektive später wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein zu können, andere finden ihren passenden Arbeitsplatz in der Werkstatt. Dabei werden immer Entwicklungen angeregt und Praktikumsmöglichkeiten angeboten, aber nur sofern die betroffene Person diesen Weg auch gehen möchte.

Solche Entwicklungen benötigen barrierefreie Angebote, weiß Markus Metz, Geschäftsführer der 1a Zugang Beratungsgesellschaft. "Um Übergänge zu schaffen, bieten wir praxisnahe Qualifizierungen in Bereichen, die der Arbeitsmarkt braucht." So stehen den Interessenten zum Beispiel Qualifizierungen im Bereich Lagerlogistik oder Hauswirtschaft offen. Es wurde dazu eine eigene Lern-App programmiert, die Menschen mit Behinderungen ermöglicht, selbstgesteuert zu lernen. Dazu bietet die App beliebige Wiederholungen, unterschiedliche Sprachniveaus und bei Bedarf kann der Inhalt auch vorgelesen werden. Bei Praktika auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützen dann Jobcoaches sowohl die Menschen mit Behinderung als auch die Betriebe, die gerne einen Mensch mit Behinderung einstellen möchten.

Als eine besondere Brückenfunktion zwischen Werkstatt und allgemeinem Arbeitsmarkt sieht sich das Inklusionsunternehmen Femos, welches seit 30 Jahren passende Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anbietet. "Unser größtes Ziel ist ein ausführliches Einkommen und verlässliche Arbeitsplätze für die Menschen mit Behinderung anzubieten", erklärt Geschäftsführer Wilhelm Kohlberger.

Aber es muss nicht immer eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt das Ziel sein. Cecil Ludwig wird im Förder- und Betreuungsbereich der GWW begleitet. Trotz ihrer schweren Behinderung hat sie sich vor vier Jahren als Sprecherin der dort betreuten Personen qualifiziert. Heute vertritt sie diese Personengruppe landkreisweit im Teilhabebeirat des Landkreises Böblingen. "Wir als Beirat kümmern uns um das, was wir betroffenen Personen brauchen. Zum Beispiel um Barrierefreiheit, dass die Bordsteine nicht so hoch sind und viele andere Themen", erklärt die Beirätin. Sie möchte sich auch dafür einsetzen, dass sie als Beiräte noch mehr Unterstützung bekommen, denn sie möchte mitsprechen. "Mir macht es Freude, mich für die Menschen einzusetzen." Die GWW geht dabei in Vorleistung. "Es gibt keinerlei gesetzliche Strukturen, die ein Beirat für den Förder- und Betreuungsbereich vorsehen. Das traut man den Menschen einfach nicht zu", empört sich Andrea Stratmann. "Und genau das ist für uns Ansporn zu zeigen, dass dieser Personenkreis sehr wohl für sich sprechen kann."

"Die Bewohner wollen nicht nur in Wohnheimen wohnen

Allerdings können nicht alle Wünsche und Forderungen der Menschen mit Behinderung zeitnah umgesetzt werden. So bekommt das Wohnangebot der GWW den leer gefegten Wohnungsmarkt deutlich zu spüren. "Die Bewohner wollen nicht nur in Wohnheimen wohnen, sondern auch mit ihren Partnern, Wohngemeinschaften oder alleine", erklärt Stratmann. Allerdings fällt es den Personen zunehmend schwer, geeignete Wohnungen, die barrierefrei und bezahlbar sind, zu finden. Während das Wohnheim von der GWW bereitgestellt wird, wären die Wohnungen im ambulant betreuten Wohnen normale Mietverhältnisse. "Damit wir den Menschen mit Behinderung Angebote im ambulanten Wohnen machen können, müssen wir teilweise einspringen und für diese Personen nach Wohnungen suchen. Aber das gehört nicht zu unseren Aufgaben", so Stratmann weiter. Dass es die GWW trotzdem macht, sei dem geschuldet, eine Wohnbegleitung passend zum Bedarf der Menschen anzubieten.

Zwei Bewohner berichteten dann auch begeistert von ihrem nahen Umzug aus dem stationären Wohnbereich in eine ambulant betreute WG: "Das wird toll. Da gehen wir dann selbst einkaufen."