Verhandlungen mit Berlin über die Realisierung der Hermann-Hesse-Bahn eingestellt. Stuttgart zeigt sich "sehr erfolgsorientiert".
Calw/Berlin/Stuttgart - Weil sich der Bund als extrem schwieriger Verhandlungspartner entpuppt hat, der nach Einschätzung von Landrat Helmut Riegger kein Interesse an der Realisierung der Hesse-Bahn hat, hat der Landkreis die Verhandlungen mit Berlin über Zuschüsse für das Projekt eingestellt. Jetzt setzt man in Calw voll auf das Land.
Von Beginn seiner Amtszeit an ließ Landrat Helmut Riegger keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die Anbindung des Kreises an das Stuttgarter S-Bahn-Netz das wichtigste aller Infrastrukturprojekte und eine Realisierung "zwingend notwendig" ist.
Doch ebenfalls von Beginn an war klar, dass man unter enormem Zeitdruck steht. Denn will man Zuschüsse aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) – und die braucht man – dann muss das Projekt bis Ende 2019 abgerechnet sein. Doch wer ist der Verhandlungspartner für diese Zuschüsse? Liegen die so genannten förderfähigen Kosten über 50 Millionen Euro, ist es der Bund, liegen sie darunter, ist es das Land.
Bund fordert vom Kreis Calw immer neue Berechnungen ein
Da man im Landratsamt die Kosten zunächst auf über 50 Millionen taxierte und man in Berlin auch bessere Erfolgschancen sah, stieg der Landkreis Calw mit dem Bund in die Verhandlungen über die finanzielle Förderung der Hermann-Hesse-Bahn von Calw nach Renningen und die dafür nötige Standardisierte Bewertung ein. Das war vor rund zehn Monaten.
Doch Berlin erwies sich als "sehr, sehr schwieriger und sehr detailversessener Verhandlungspartner", wie es Landrat Helmut Riegger gestern im Gespräch mit unserer Zeitung "noch vorsichtig" formulierte. Der Bund habe immer wieder neue Berechnungen und Zahlen gefordert, immer neue Probleme aufgeworfen, so Riegger. Zuletzt habe Berlin sogar den rechtlichen Status der Bahnstrecke Calw-Weil der Stadt bezweifelt. Die Strecke sei nie stillgelegt worden und auch noch voll befahrbar, hieß es aus Berlin. Das ließ für den Landrat letztlich nur einen Schluss zu: "Der Bund hat wenig bis kein Interesse an der Realisierung der Hesse-Bahn", sagte Riegger gestern.
In dieser Lage kam dem Landrat und seinem Team eine Entwicklung besonders gut gelegen. Aus unterschiedlichen Gründen hat das Land nun doch deutlich mehr an GVFG-Mitteln zur Verfügung, kann also mehr solcher Infrastrukturprojekte wie die Hesse-Bahn fördern. Darüber hinaus war das Land ohnehin an den Vorarbeiten zur Hesse-Bahn beteiligt, stand dem Projekt schon immer offen und positiv gegenüber, selbst die Spitze des zuständigen Verkehrsministeriums.
Aus diesen Gründen und weil der Zeitdruck durch die zähen Verhandlungen mit Berlin enorm gestiegen war, entschied sich Landrat Helmut Riegger dazu, die Gespräche mit dem Bund einzustellen und fortan ausschließlich aufs Land als Verhandlungspartner zu setzen.
"Mit dem Land hat die Hesse-Bahn eine neue Chance"
Das ist auch deshalb möglich, weil nach einer Neuberechnung der Projektverantwortlichen im Calwer Landratsamt die förderfähigen Kosten des Projekts nun unter 50 Millionen Euro liegen: 42 Millionen Euro bei Dieselbetrieb, 48 Millionen bei einer Elektrifizierung der Hesse-Bahn. Sollte alles funktionieren, würde das Land über das GVFG 75 Prozent dieser Kosten tragen.
Und dass es funktioniert, daran hat Kreischef Riegger eigentlich keine Zweifel. Die Gespräche mit dem Land verliefen "sehr erfolgs- und zielorientiert", das Land erweise sich als fairerer Verhandlungspartner als der Bund. Man habe in Stuttgart erkannt, wie wichtig die Bahn für den ländlichen Raum ist.
Auch bei der Standardisierten Bewertung, der Ermittlung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses des Projekts, sei man mit dem Land schon sehr weit. Im Gegensatz zum Bund habe das Land die vom Kreis ausgearbeitete Standardisierte Bewertung sogar schon grundsätzlich akzeptiert. Bis im Dezember wolle man die Bewertung nun definitiv abschließen. Und man ist sich sicher, dass das Projekt auch den für eine Förderung nötigen Wert schafft. "Wir kommen mit dem Land sehr schnell auf eine gemeinsame und konstruktive Linie", stellt Riegger fest. Er ist sich sicher: "Mit dem Land hat die Hesse-Bahn eine neue Chance."
Während die Verhandlungen mit dem Land laufen, will der Landkreis Calw keine Zeit verlieren und weiter die Genehmigungsverfahren und konkreten Planungen vorantreiben. Man geht davon aus, dass man bis Ende 2014 das komplette Baurecht für die Hesse-Bahn hat. Um den zwingenden Abrechnungstermin Ende 2019 halten zu können, rechnet der Landrat damit, dass die Bauarbeiten bis Mitte 2018 abgeschlossen sein müssen und die ersten Züge auf der Strecke fahren sollten.