Auch vor Rattenskeletten darf sich ein Kammerjäger nicht ekeln. Foto: sb

Reporter begleitet einen Schädlingsbekämpfer. Gift in Wohnung verteilt. Wespennest muss warten. Mit Video

Neubulach - Ob riesige Wespennester oder Ratten in der Wohnung: Ekel und Angst sind für Kammerjäger keine guten Ratgeber. Unser Reporter hat sich für einen Tag als Schädlingsbekämpfer versucht – natürlich unter professioneller Anleitung.

Wie kommt man eigentlich zu so einem Beruf?

Das frage ich mich, nachdem ich Rattenkadavern in verschiedenen Verwesungszuständen begegnet bin, Gift in einem bewohnten Haus verteilt habe und wenige Meter entfernt von Tausenden, besonders aggressiven Wespen stand. Der Neubulacher Christoph Raspe hat schon früh im Betrieb seines Vaters mitgeholfen, der ebenfalls als Schädlingsbekämpfer tätig war. "Ich bin ein bisschen in die Geschichte reingewachsen", sagt er. Eine Ausbildung zum Schädlingsbekämpfer dauert drei Jahre, "teilweise gibt es auch welche, die per Umschulung in den Beruf kommen", so Raspe.

Selbst der Experte ist erstaunt über Nestgröße

Jedenfalls sei es ein seltener Beruf. Und es würden immer mehr Kammerjäger gebraucht, sagt der seit 2016 selbstständige Profi. Viele Schädlinge gebe es erst seit wenigen Jahren in Deutschland, was einerseits auf das veränderte Klima und andererseits auf immer mehr "Warenbewegungen" zurückzuführen sei: Mit einem Anstieg an Importen aus anderen Kontinenten wächst auch die Menge an Ungeziefer, das sich hierzulande niederlässt.

Zurzeit halten Raspe vor allem Ratten und Wespen auf Trab. 2018 sei für Wespen aufgrund warmer Temperaturen und extremer Trockenheit eine Art Rekordjahr. Quasi als Aufwärmprogramm darf ich ihn zu einem seiner Einsätze zur "Bekämpfung von Wespen" begleiten. Hier selbst Hand anzulegen, wäre zu gefährlich für mich. Bewohner haben auf dem Dachboden ihres Hauses ein Wespennest gefunden, das im Durchmesser etwa eineinhalb Meter groß ist. "Das ist schon ziemlich groß", sagt Raspe, nachdem er in voller Schutzmontur einen ersten Blick darauf geworfen hat. Zunächst sprüht er aus sicherer Entfernung ein sogenanntes Nebelpräparat in die Richtung des Nestes, das bis zu 10 000 Wespen beherbergt. Damit wird die Population in einem ersten Schritt "geschwächt". Ich muss aber unten bleiben: "Die nehmen den Angriff wahr und werden aggressiver", warnt mich Raspe, es bestehe Lebensgefahr. Selbst der Schutzanzug könne ihn nicht vollständig vor Stichen bewahren, sagt er.

Dann folgt der "Angriff von außen". Wir gehen auf den Balkon. Von dort aus kann Raspe mit einem zweiten Präparat verhindern, dass weitere Wespen von außen ins Nest gelangen. Ich habe noch nie annähernd so viele Wespen auf einem Fleck gesehen. Scheinbar alarmiert durch den ersten Angriff, fliegen sie hektisch umher. Raspe hat seinen Schutzanzug, die Bewohner beobachten das Geschehen aus sicherer Entfernung im Garten – und ich stehe im T-Shirt mit meiner Kamera rund zwei Meter entfernt von diesem aufgescheuchten Schwarm. Ein mulmiges Gefühl beschleicht mich, doch ich versuche mich auf das Filmen und Fotografieren zu konzentrieren.

Entspannter wird die Situation, als die Wespen langsam weniger werden. Dann geht’s für Raspe wieder auf den Dachboden. Bewaffnet mit seinem Spray rückt er den letzten verbliebenen Wespen an den Kragen. Am Ende entfernt er das Nest, an dem die Insekten seit dem Frühjahr an dieser Stelle immer weiter gebaut haben – bis es schließlich diese enorme Größe erreicht hat, die selbst den Profi staunen lässt.

Nun aber wird es Zeit für mich, selbst einmal gegen unerwünschte Mitbewohner vorzugehen. Laut Raspe gibt es in Calw ein "großes Rattenproblem". Er ruft mich zu einem Haus in der Calwer Innenstadt, in dem laut der Bewohnerin seit rund 20 Jahren immer wieder Ratten auftauchen. "Zu dieser Kundin komme ich seit 2015 regelmäßg", erklärt Raspe.

In dem Gebäude, das Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet wurde, sitzen Ratten in Wänden und Zwischendecken. Die Bewohnerin höre sie ständig, sagt sie. Vor Kurzem habe sie plötzlich Maden und Schmeißfliegen in der Küche entdeckt: Eine Ratte war in einer Wand verendet. "Augenkontakt" mit einer lebenden Ratte habe sie neulich im Keller gehabt.

Nun weiß ich also, warum mich Raspe mit Overall und Schutzmaske am Einsatzort empfängt. Außerdem muss ich über meine Gummihandschuhe ein weiteres Paar Einweghandschuhe ziehen. Man wisse ja nie genau, was einem bei so einem "Standardprogramm" – so nennt Raspe die routinemäßige Überprüfung und Erneuerung von Ködern – begegne. Vor Ort ist auch ein Handwerker, der auf Innenausbau spezialisiert ist. Er zeigt mir im Keller Nischen und Löcher in den Wänden, durch die Ratten immer wieder aus dem Kanalsystem den Weg ins Innere finden.

Skelett eines Jungtiers im Keller entdeckt

"Und hier ist der Rest von einer Ratte zu sehen", sagt er und deutet auf eine Lücke unterhalb einer Treppe. Außer Plastikmüll erkenne ich zunächst nichts. "Das sind alles Verpackungen, die sich die Ratten herholen und mit denen sie ihr Nest bauen", erklärt Raspe. Dann, zwischen den Tüten und Päckchen, erkenne ich es: Ein blasses, pelziges Stück in der Größe einer Hand liegt am Boden – wenn man es weiß, ist die Form des Rattenkörpers noch zu erkennen. Später entdecken wir im Keller das Skelett einer weiteren, zum Zeitpunkt des Todes noch sehr kleinen Ratte. Fell und Innereien fehlen komplett, es wirkt wie ein Präparat aus dem Museum. Besonders gut sind die Vorderzähne zu erkennen.

Jetzt geht’s weiter in die Wohnung der Frau. In der Decke sind bereits mehrere, etwa faustgroße Löcher eingeschnitten, durch die regelmäßig neue Giftköder in den Zwischenraum zwischen Erdgeschoss und erstem Stock ausgelegt werden. Genau das ist heute meine Aufgabe.

Also ziehe ich meine Handschuhe noch mal richtig hoch und den Ärmel meines Overalls runter. Auch wenn gerade in diesem Moment nichts davon zu hören ist, dass wenige Zentimeter über mir Ratten durch die Decke huschen – allein der Gedanke an die Erzählungen der Bewohnerin lässt mich jetzt etwas schaudern. Aber es hilft ja nichts. Also ab auf die Leiter, die Abdeckung des Lochs abziehen und "erst mal mit der Hand rein und nach der alten Köderschale greifen", weist mich Raspe an.

Ein Griff ins Ungewisse also: Durch das kleine Loch sieht man so gut wie nichts, ich muss den alten Köder ertasten. Tatsächlich spüre ich schon bald etwas Festes – und bin froh, dass es nichts Weiches oder gar Lebendiges ist. Auf meinen fragenden Blick antwortet Raspe: "Ziehen Sie es mal raus." Die Schale, in der der Köder lag, fehlt. "Die haben sich die Ratten dann weggezogen", erklärt der Kammerjäger, "die nutzen das auch für ihren Nestbau". Dann reicht er mir eine neue Plastikschale mit frischem Gift. Die platziere ich dann vorsichtig in der Zwischendecke. Das Ganze wiederhole ich an einem weiteren Loch im gleichen Raum.

"Jetzt starten wir unseren Rundgang", sagt Raspe. Um das Gebäude herum sind weitere Fallen mit Rattengift platziert. Die etwa 50 Zentimeter langen Metallkisten werden per Imbusschlüssel geöffnet. Selbst das ist schon eine kleine Herausforderung für mich, der unter den Heimwerkern eher zur Kategorie "zwei linke Hände" zählt. Aber mit der Hilfe des Profis klappt das bereits bei der zweiten Falle wesentlich besser. Einige Köder sind angefressen, andere scheinen komplett unberührt zu sein. Wie schnell wirkt das Gift eigentlich? "Die Tiere sterben so zwei bis drei Tage, nachdem sie am Köder gefressen haben", erklärt Raspe.

Eine Ratte jedenfalls scheint es nicht weit entfernt von der nächsten Falle erwischt zu haben: Der Kadaver liegt zwischen Müllsäcken an einer Hauswand. Die Verwesung ist noch nicht weit fortgeschritten, das Fell ist vollständig. Einen angewiderten Blick kann ich mir nicht verkneifen, als ich den erstaunlich dicken und langen Schwanz der Ratte erkenne. Insgesamt ist sie rund 40 Zentimeter groß. "Das ist eine Wanderratte", weiß Raspe. Neben der Hausratte sei das die häufigste Art, die hierzulande unterwegs ist.

Anschließend müssen wir noch mal in den Keller. Hier soll ich nun Brandschutzschaum in einige der Nischen sprühen, die den Ratten als Eingänge dienen. Der Schaum bleibt an ihrem Fell hängen, das sie dann sauber lecken – so soll der giftige Stoff in ihren Magen gelangen und sie schließlich töten.

Das sei aber nur eine Maßnahme, um den Bestand der Ratten in diesem Gebäude zu verringern, erklärt Raspe. Um das Haus auf Dauer von den Tieren zu befreien, muss nun auch der Handwerker eingreifen. Und Raspe wird wohl noch häufiger anrücken, um seine Giftköder mit weiteren Griffen ins Ungewisse zu verteilen. Schade finde ich es nicht gerade, dass ich ihm dabei nicht noch mal helfen muss – mit umso mehr Respekt blicke ich aber künftig auf den Beruf des Schädlingsbekämpfers.