Westliche Vorurteile gegenüber dem Islam in Freundschaft verwandeln: Türen der Osmanli-Moschee in Hirsau sind zum Kennenlernen immer offen.
Calw - Pegida – und was damit an Meinungen in der Bevölkerung zusammenhängt – ist kein Phänomen der Gegenwart. Das sagt man zumindest in der Osmanli-Moschee in Calw-Hirsau. In dem Nordschwarzwald-Ort gab es vor 20, 30 Jahren auch viele Vorurteile, als es hieß, am Waldrand hinter dem schmucken Bahnhof solle eine Moschee gebaut werden. Doch diese Vorbehalte gehören hier längst der Vergangenheit an – seit jene, die die Vorurteile damals hatten, "uns Muslime von nebenan" selber kennengelernt haben. Das logische Angebot aus der Hirsau-Moschee an alle aktuellen Pegida-Sympathisanten: "Unsere Türen sind offen. Kommt her und sprecht mit uns. Lernt uns wirklich kennen."
Als der aus der Türkei stammende Moslem Kemal Sahin Anfang der 90er-Jahre auf der Suche nach einem Kreditgeber war für den Ankauf jenes Grundstücks in Hirsau, über dem sich heute die Kuppel des Gebetsraum der Osmanli-Moschee spannt, war eine der ersten Reaktionen, mit denen er konfrontiert wurde, die tatsächlich ernst gemeinte Frage, ob er dort ein Terror-Camp errichten wolle. Schon damals lud Sahin den Fragesteller ein, die damals in einer Wohnung in der Calwer Bahnhofstraße untergebrachten Räume seiner Gemeinde zu besuchen und sich selbst ein Bild von dem Gemeindeleben dort zu machen. Damals schlug der Banker diese Einladung noch aus. Und auch mit dem Kredit wurde es hier nichts.
Predigten werden per Beamer-Einspielung "deutsch untertitelt"
Aber einige Jahre später, als die Hirsau-Moschee auch ohne dessen Hilfe längst stand, schaute auch dieser Banker tatsächlich einmal vorbei. Als Sahin ihn da fragte, ob er nun glaube, dass sie nie vorhatten, ein Terror-Camp zu errichten, sei der Mann nur rot im Gesicht geworden. Und habe ab da den Tag und die Gastfreundschaft in dem muslimischen Gotteshaus in Sichtweite der altehrwürdigen Hirsauer Klosterruine ohne weitere Worte genossen.
Viele Jahre lang war Kemal Sahin der Vorsitzende des Calwer "DITIB Türkisch Islamischen Kulturvereins", in dem die 140 Familien seiner Gemeinde, die aus allen Teilen der Türkei stammen, formal nach deutschem Vereinsrecht organisiert sind. 1400, vielleicht 1600 Personen gehören insgesamt zu diesen Familien.
Laut Kritikern betreibt die DITIB, die der Aufsicht des staatlichen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten der Türkei in Ankara untersteht, die "planvolle Islamisierung Deutschlands" von der Türkei aus. In Hirsau sieht man das anders.
Der heute 63-jährige Sahin folgte Anfang der 60er-Jahre seinen Eltern in den Nordschwarzwald. Ursprünglich stammt er aus einem kleinen Ort in der Zentraltürkei. Er sei noch sehr traditionell aufgewachsen. Seine Frau habe er zum Beispiel erst bei der Hochzeit kennengelernt. Arrangiert hätten die Hochzeit seine Eltern. "Aber ich habe es gut getroffen", sagt Sahin und schmunzelt. Er habe eine tolle Frau, es sei eine gute Ehe geworden.
Aber seinen eigenen vier Kindern, die allesamt in Deutschland, sogar im Schwabenland aufgewachsen seien, habe er mit einer arrangierten Hochzeit nicht mehr kommen brauchen. "Das hätten die sich nie gefallen lassen." Umso seltsamer sei es, heute arrangierte Ehen, bei denen sich die Partner bis zur Hochzeit nicht kennen, bei RTL als Abendunterhaltung sehen zu können.
Im vergangenen November hat Sahin die Führung des Kulturvereins in Calw in jüngere Hände gelegt. Uzun Ahmet wurde ganz ordentlich von der jährlichen Mitgliederversammlung in sein Amt gewählt – nicht anders, als ein hiesiger Gesangverein seinen Vorstand wählen würde. Ahmet gehört schon zu jener Generation türkisch-stämmiger Einwanderer, die in Deutschland aufgewachsen ist.
Er schwäbelt perfekt, spricht aber auch noch fließend Türkisch. Bei der Generation seiner eigenen Kinder sei das bereits anders, "die können meist kein Türkisch mehr" – Deutsch sei deren Muttersprache. Auch deshalb würden in der Osmanli-Moschee beispielsweise die Predigten des Hodscha, so die Ehrenbezeichnung für das geistliche Oberhaupt der Gemeinde, per Beamer-Einspielung "deutsch untertitelt".
Einerseits bedauert Ahmet natürlich, dass die Kinder die Sprache ihrer Eltern langsam verlören. Aber andererseits sei das wohl der Preis, hier in diesem Land in Frieden und Freiheit leben zu dürfen. Amtsvorgänger Sahin ergänzt: "In Deutschland sind Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit das höchste Gut. Genau deshalb sind wir hier in Deutschland." Und genau deshalb, sagen Sahin, Ahmet und ihr Hodscha, müsse man auch die Meinung der Pegida-Anhänger so wie sie ist akzeptieren. Deren Demonstrationen überall in Deutschland gehen für sie absolut in Ordnung, weil man sich nur so im öffentlichen Raum Gehör für seine eigenen Meinungen, Ansichten und Forderungen verschaffen könne. Aber jetzt, da der Rest der Gesellschaft zuhöre, sollte sich die Pegida-Bewegung "mit uns Muslimen auch an einen Tisch setzen, um uns so wie die Menschen damals hier in Calw kennenzulernen".
Und gemeinsam an den ganz sicher bestehenden Problemen beim Leben miteinander arbeiten. Was die Pegida-Anhänger dabei entdecken könnten: "Dass zum Beispiel der sogenannte Islamische Staat, auf den sich aktuell die abstrakten Ängste der westlichen Welt vor dem Islam konzentrierten, im Grunde genommen Krieg gegen den Islam selbst führt."
Klaus-Peter Hartmann, der selbst in Hirsau lebt, ist Theologe, Geograf und Orientalist. 15 Jahre lang forschte er in Tübingen für Theologie-Professor Hans Küng, Gründer der Stiftung Weltethos, bevor er als Leiter der Volkshochschule nach Calw kam. Aufgrund seiner großen Orienterfahrung und seinen Sprachkenntnissen entwickelte er sich hier schnell zum Mittler zwischen der pietistisch-christlichen Welt des Nordschwarzwalds und der wachsenden muslimischen Gemeinde, dem beide Seiten großes Vertrauen entgegenbringen. "Ich bin heute wahrscheinlich der einzige katholische Theologe, der Führungen durch eine Moschee anbieten darf", sagt Hartmann und lacht.
Anfangs sei die Skepsis der Besucher – darunter Schulklassen, Studenten, Polizei, die Prälaten der Landeskirchen – stets groß. Aber wenn er dann auf die Gemeinsamkeiten etwa zwischen Christentum und Islam hinweise – auf das Verbindende, nicht Trennende – dass etwa im muslimischen Gebetskranz mit seinen 99 Perlen (für die 99 Namen Gottes) auch die Schlussformel des christlichen Vaterunser ("dein ist die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit") eingebettet sei, breche meist das Eis. Und die Besucher lernten langsam, dass es einen privaten Islam der Menschen gebe – der aber oft im krassen Gegensatz zum politischen Islam stehe, der allein für Machtinteressen Einzelner missbraucht werde. Und der Hodscha der Osmanli-Moschee, mit dem Hartmann eine innige Freundschaft verbindet, bestätigt: "Die Attentäter von Paris waren für den Islam keine Muslime. Das waren einfach Verbrecher."
Stichwort Karikaturen: Das Bilderverbot des Propheten ist auch hier ein unbedingtes Gebot
Aber wie ist es dann mit den Mohammed-Karikaturen in der französischen Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo", gegen die sich ja der Anschlag von Paris richtete? Trägt die Liebe der Muslime in Deutschland zur Meinungsfreiheit auch diese freie Meinungsäußerung? Kemal Sahin, Uzun Ahmet und ihr Hodscha werden sehr ernst. Und nachdenklich. Und auch Klaus-Peter Hartmann hat diese Frage offensichtlich befürchtet. Denn das Bilderverbot des Propheten ist natürlich auch den Moslems in Calw-Hirsau ein unbedingtes Gebot. Und der bewusste Bruch dieses Verbots wird auch hier als offene Provokation empfunden.
Wieder ist es Hartmann, der weit gereiste Gelehrte in beiden Welten, der "die Idee einer möglichen Antwort" auf diese Frage auch für seine islamischen Freunde mitentwickelt: Vielleicht gehe es letztlich genau darum bei dem schrecklichen Erlebnis dieser Anschläge – gemeinsam über alle Kulturgrenzen hinweg eine Antwort darauf zu entwickeln, wie die bedingungslose Meinungsfreiheit des Abendlandes und das muslimische Bilderverbot in einer gemeinsamen Welt in Toleranz und Respekt zueinander finden können. Fertige Lösungen gibt es da eben nicht. "Nur die Einladung zum Dialog."