Gibt es in Calw künftig keine Orthopädie mehr, gerät auch die vollumfängliche unfallchirurgische Behandlung in Gefahr. Foto: s_l – stock.adobe.com

Chefärzte, Oberbürgermeister und Stadträte äußern sich zur geplanten Klinik im Stammheimer Feld.

Calw - Kaum ein Thema ist in den vergangenen Jahren in Calw so heiß und intensiv diskutiert worden wie die Zukunft des Krankenhauses. Doch wie ist es wirklich darum bestellt? Chefärzte, Fraktionsvorsitzende und OB Ralf Eggert haben nun zu dieser Frage Stellung genommen.

Was passiert mit der Orthopädie? Ist der geplante Klinikneubau zukunftsfähig? Und warum kann nicht alles einfach so bleiben, wie es ist? Wenn es um die Entwicklung in Sachen Calwer Krankenhaus geht, sind dies nur einige der Fragen, die bei der derzeit in großen Teilen verunsicherten Bevölkerung auftauchen. In einem Pressegespräch haben sich am Freitag Oberbürgermeister Ralf Eggert, die Fraktionsvorsitzenden Jürgen Ott (GfC), Sebastian Nothacker (CDU), Dieter Kömpf (FW) und Hugo Bott (SPD) sowie die Chefarztriege um den leitenden Chefarzt Martin Oberhoff geäußert. Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Wird es möglich sein, die Orthopädie in Calw zu behalten?

Kurz und knapp: Es wird sogar notwendig sein, damit Landrat Helmut Riegger das Versprechen einlösen kann, das er laut OB Eggert bei einer Informationsveranstaltung im Jahr 2015 in der Stammheimer Gemeindehalle gegeben hat. Riegger hatte damals zugesichert, dass es in Calw auch zukünftig eine umfassende unfallchirurgische Versorgung geben wird.

Der Hintergrund: Seit einer Weiterbildungsverordnung aus dem Jahr 2004 sind die Bereiche Unfallchirurgie und Orthopädie nicht mehr getrennt sondern zusammengelegt. Reine Unfallchirurgen oder reine Orthopäden werden seitdem nicht mehr ausgebildet, erklärt Martin Handel, Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie in Calw. Über den Daumen gepeilt betreffe dies mittlerweile sämtliche Fachärzte in diesen Disziplinen, die jünger als 47 Jahre alt sind.

Frühere Unfallchirurgen wurden zuerst als Chirurgen ausgebildet, konnten also auch beispielsweise im Bauchraum der Patienten operieren und setzten erst später mit einer Weiterbildung den Schwerpunkt Unfallchirurgie oben drauf. Heute werden Unfallchirurgen kaum noch als "normale" Chirurgen ausgebildet, dafür aber zusätzlich in Orthopädie.

Im Klartext: Würde die Orthopädie in Calw wegfallen, wäre es nur noch schwer möglich, Unfallchirurgen zu bekommen, da diese – aufgrund der geänderten Ausbildung – dann gewissermaßen nur noch die Hälfte ihrer Tätigkeit (die Unfallchirurgie und Notfall-Orthopädie) ausüben könnten. Die andere Hälfte besteht aus planbaren orthopädischen Eingriffen – also dem, was häufig von der Allgemeinheit unter dem Begriff "Orthopädie" verstanden wird.

Sollte dies nicht gewährleistet werden, wäre die Folge ein unattraktiver Arbeitsplatz. Darüber hinaus könnte – ohne Orthopädie – die notwendige Ausbildung für künftige Assistenzärzte nicht mehr angeboten werden. Eine unfallchirurgische Versorgung an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr wäre dann nicht mehr möglich, da für eine solche mindestens eine permanente Stellenbesetzung von sieben Assistenzärzten und vier Oberärzten nötig ist.

Kurzum: Ohne Orthopädie in Calw gäbe es künftig auch keine umfassende unfallchirurgische Versorgung mehr vor Ort. Dies hatte Riegger jedoch zugesichert.

Im bislang vorliegenden Klinikkonzept 2020 wurde dieser Umstand noch nicht berücksichtigt. Stadtrat und OB fordern deshalb, dass dies noch geschieht.

Dass die Orthopädie auch in Nagold Einzug halten soll, ist für die Ärzte indes kein Widerspruch – sondern eher eine konsequente Fortschreibung des Gedankens "eine Klinik an zwei Standorten".

Bedeutet "Notfallversorgung" beim geplanten neuen Krankenhaus bei Herzinfarkten oder Schlaganfällen, dass der Patient nach einer Notfallbehandlung sofort in eine andere Klinik gebracht wird?

Nein. Oberhoff und Joachim Hartmann, Chefarzt für Neurologie in Calw, erklären, dass Patienten, die solcherart erkranken, auch am neuen Klinikstandort regulär aufgenommen und sowohl not- als auch vollversorgt werden.

Wird das neue Krankenhaus für Fachärzte und Assistenzärzte attraktiv sein?

Eine Frage, die Oberhoff eindeutig bejahen kann – nicht zuletzt wegen des geplanten Gesundheitscampus’, der neben 30 Betten für Psychosomatik und 25 Betten für Dialyse auch ein Ärztehaus umfassen soll. Denn: Dadurch, dass Mediziner dort sowohl im stationären Bereich als auch als niedergelassene Ärzte arbeiten können, sei das Umfeld der geplanten Klinik interessant und familienfreundlich. Und: "Wenn man quasi ›nebenher‹ zusätzlich Psychosomatik lernen kann, handelt es sich um hochattraktive Arbeitsplätze", so der Chefarzt.

Er bescheinigt dem Konzept – Klinik mit Campus – einen "Modellcharakter". Es könne das Zeug dazu haben, künftig flächendeckend angewendet zu werden, um die medizinische Versorgung im ländlichen Raum sicherzustellen. Es handle sich um eine "ganz tolle Herausforderung", ein solches Konzept auf die Beine zu stellen.

Zudem räumt er aber ein, dass es sich um einen Prozess handle, bei dem noch nicht völlig absehbar sei, wohin er sich konkret entwickle. Zunächst sei nun aber notwendig, "Rahmenbedingungen zu schaffen und dann wird es wachsen müssen". Vorgesehen sei auf jeden Fall, sowohl die Angebote der Neurologie als auch der Gynäkologie sogar über den heutigen Stand hinaus weiterzuentwickeln.

Wird das neue Krankenhaus wirklich 135 Betten haben?

Das steht derzeit noch nicht fest. Sicher ist nur, dass ein erster Entwurf für die neue Klinik vor Jahren zunächst nur 85 Betten plus zehn Betten für Kurzzeitpflege vorsah. Mittlerweile sei man bei der Zahl 135 und mehr angekommen, erklärt Eggert. Auf eine bestimmte Zahl will der OB sich nicht festlegen, sicher ist für ihn nur, dass es am Ende so viele Betten sein müssen, dass das Konzept – inklusive aller Versprechen, die gemacht wurden (zum Beispiel Stichwort Unfallchirurgie) – eingehalten werden können. "Dafür kämpfen wir", bekräftigt Eggert. Und Ott ergänzt: "Wir kämpfen dafür, dass Calw und das Umland künftig die selbe Versorgung hat wie bisher – und besser." In den vergangenen Jahren, so der OB, habe man sich in Sachen Bettenanzahl immer weiter "nach oben gerobbt". "Und wir robben weiter", unterstreicht er.

Wenn das alte Krankenhaus erhalten bleibt – wie zukunftsfähig wird dieses sein? Bleibt die medizinische Versorgung auch künftig auf dem bisherigen Niveau?

Bleibt alles wie es ist, wird das medizinische Leistungsspektrum, das derzeit noch angeboten wird, wohl nicht aufrechterhalten werden können. Da sind die Chefärzte relativ sicher. Und auch, ob die Klinik überhaupt dauerhaft geöffnet bleiben kann, steht nicht unbedingt fest. Denn, so Oberhoff: Alte Krankenhäuser, die keine neuen Strukturen bieten können, seien in Zukunft der Gefahr einer Schließung ausgesetzt. Das geplante Krankenhaus mit Campus biete dagegen echte Chancen. "Wir können überleben, weil wir dann eine innovative Form anbieten", ist der Mediziner überzeugt. Darüber hinaus könne das neue Krankenhaus zu einer "Ausbildungsstätte für Hausärzte" werden, von denen in den kommenden Jahren im Landkreis die Hälfte aufhören werden.

Ist das jetzt vorliegende Klinikkonzept 2020 in Stein gemeißelt? Oder kann sich daran noch etwas ändern?

In Stein gemeißelt ist bisher noch nichts. In den vergangenen Jahren hat sich vom Konzept 3+ bis zum jetzigen Klinikkonzept 2020 immer wieder etwas geändert. Und noch immer gebe es Baustellen, an denen gearbeitet werde, damit alles bestmöglich funktionieren könne; der Klinikverbund Südwest mit dem medizinischen Geschäftsführer Jörg Noetzel arbeite permanent daran, so OB Eggert. Er selbst ist grundsätzlich mit dem derzeitigen Konzept einverstanden, sagt aber auch: "Es muss schon noch ein bisschen mehr dazu kommen" – gerade in Sachen unfallchirurgischer Versorgung oder in Sachen Bettenanzahl.

Derzeit läuft der Architektenwettbewerb, wobei eine grundsätzliche Gestaltung des geplanten Krankenhauses entworfen werden soll, allerdings noch ohne Aufteilung des Gebäudes in Räume. Steht dann ein Raumkonzept, mit dem die vorgesehenen medizinischen Leistungen gewährleistet werden können, sollen mehrere dieser Architekturbüros ausgewählt werden, um das Raumkonzept auf das Gebäude zu übertragen. Wichtig dabei: Das Krankenhaus müsse so gestaltet werden, dass es erweiterungs- und umbaufähig bleibe, um mit den Anforderungen des medizinischen Fortschritts auch in den kommenden Jahrzehnten Schritt halten zu können, erklärt Oberhoff.