Schreckliches Unglück an Silvester: Bei einer Busfahrt sind vier Senioren auf der A 4 bei Bad Hersfeld ums Leben gekommen. Foto: Reichel

Vier Senioren sterben an Silvester bei Unfall in Bad Hersfeld. Auch im Bus ist Anschnallen Pflicht.

Calw - Die Bilder von dem zerstörten Bus des Calwer Unternehmens Rexer gingen einen Tag vor Silvester um die Welt. Bei einem schrecklichen Unfall auf der A4 bei Bad Hersfeld (Hessen) waren vier Senioren aus der Pfalz ums Leben gekommen. "Es hätte noch viel schlimmer kommen können", sagt Stefan Zworski im Gespräch mit unserer Zeitung.

Zworski muss es wissen. Der 52-Jährige war der Fahrer des Unglücksbusses.Stefan Zworski sitzt am Besprechungstisch im Büro seines Chefs, Arno Ayasse. Ayasse ist Geschäftsführer von Rexer Busreisen. Im Augenblick läuft in Stuttgart die Reisemesse CMT. Natürlich ist auch dort am Stand des Unternehmens das Unglück ein Thema. "Die Menschen fragen nach. Wollen ihr Mitgefühl ausdrücken. Aber auch wissen, was damals genau passiert ist", erzählt Ayasse.

Um den Mitarbeitern am Messestand eine Hilfe zu geben, mit dem schwierigen Thema umzugehen, habe man einen Tisch mit Informationen eingerichtet. Vier Kerzen brennen dort. Für jeden verstorbenen Bus-Passagier eine. "Es wird noch eine Weile dauern, bis wir wieder ganz zum ›business as usual‹ zurückkehren können." Wenn die Rückkehr zur Normalität überhaupt gelingt.Das gilt natürlich ganz besonders für Busfahrer Zworski.

Im Moment ist er noch krank geschrieben. Körperlich geht es ihm zwar wieder gut – außer den Hämatomen vom Sicherheitsgurt, "der mir das Leben rettete", war er beim Unfall unverletzt geblieben. "Aber die Bilder im Kopf..." Das Geschehene seelisch zu verarbeiten, dauere doch länger, sei nicht so einfach.

Die Kollegen seien aber eine große Hilfe, sagt Zworski, der ledig ist. Busfahren – das war für ihn bisher tatsächlich sein Traumberuf, wobei der Traum an diesem Beruf das Reisen sei. Liniendienst zu fahren, damit täte er sich schwer.Ursprünglich sei er zur See gefahren, erzählt Zworski, war auf den sieben Weltmeeren unterwegs, habe sogar eine nautische Ausbildung begonnen.

Sicherheitssysteme haben sich bewährt

"Wegen der Liegezeiten in den Häfen in aller Welt." Aber dann wurde der Containerdienst in der Seefahrt immer dominierender, die Seefahrt fast wie Liniendienst nach Stoppuhr. Und die Liegezeiten in den Häfen immer kürzer. Da wurde das Busfahren – das Reisebusfahren – zu seinem alleinigen Lebensinhalt. Zwischen Nordkap und Marokko habe er alle Länder schon mit "meinem Bus" bereist – außer der Türkei. "Für mich gibt es nichts Schöneres." Zworski würde jetzt gerne lächeln. Aber es fällt schwer. Auch auf dieser verhängnisvollen Fahrt an diesem 30. Dezember 2014 lebte Zworski seinen Traum. Diese viertägige Reise des Reiseveranstalters Palatina Kunst & Kultur aus Hanhofen (Rheinland-Pfalz), die dafür insgesamt zwei Rexer-Busse gechartert hatte, sollte auch Zworskis Silvester-Event werden.

Leipzig sollte das Ziel sein. In Weimar hatte man an diesem Morgen einen längeren Halt eingeplant – zur Stadtbesichtigung. Zworski und sein Kollege im anderen Bus waren extra einen Tag früher nach Landau angereist, wo die Reise begann, "um wirklich ganz entspannt zu starten". An der Raststätte Wetterau an der A5 hatte es eine erste, ausgiebige Kaffeepause gegeben. Als man von dort wieder losfuhr, hatten Zworski und die ihn begleitende Reiseleiterin alle 44 Gäste im Bus ausdrücklich auf die bestehende Anschnallpflicht im Bus hingewiesen – wie immer, bevor sich der Bus mit Passagieren an Bord in Bewegung setzt. Bei Fahrtantritt. Nach Pausen.

Die Lehre aus dem Unglück: Alle Leute, die in einen Bus einsteigen, sollten sich wie im Auto unbedingt anschnallen. Zworskis Worte stocken. Die vier Senioren, die rund eine halbe Stunde später nach der Pause in der Wetterau sterben werden, wurden – so die Meldungen damals – beim Überschlag die Böschung der A4 hinunter wahrscheinlich aus dem Fahrzeug geschleudert.

Mutmaßlich, so die Spekulation damals auch der Rettungskräfte, waren sie nicht angeschnallt gewesen. Und genau deshalb spricht Zworski jetzt mit einem Journalisten. Wenn es etwas Gutes geben darf bei solch einer schrecklichen Tragödie, dann vielleicht das: Dass endlich alle Menschen, die jemals in einen Bus einsteigen, begreifen, dass man sich wie im eigenen Auto immer und unbedingt anschnallen muss.

Denn die gute Nachricht dieser Katastrophe ist: Die Sicherheitssysteme des zweieinhalb Jahre alten Busses des niederländischen Herstellers VDL haben sich in dieser Extremsituation bewährt – sowohl die Sicherheitsgurte, die nicht nur Zworskis Leben gerettet haben dürften. Auch die Überrollbügel, von denen jeder Bus seit ein paar Jahren insgesamt zwei haben muss – einen hinter dem Fahrersitz, einen im Heck des Fahrzeugs.Aber wie konnte es überhaupt zu dieser Tragödie kommen?  Stefan Zworski will über das Erlebte reden.

"Darüber reden hilft, die Dinge zu verarbeiten." Er habe kein Problem damit, dass die Menschen ihn auf das Unglück ansprechen, ihn danach fragen. Schon die Gespräche mit den Unfallseelsorgern am Unfallort und später im Krankenhaus in Bad Hersfeld, in dem Zworski eine Nacht verbrachte, hätten ihn geholfen, mit dem Erlebtem umzugehen.

"Es war wirklich eine völlig normale, entspannte Fahrt." Früher am Tag bei Frankfurt hatten sie noch Schnee auf der Straße gehabt, auf der A4 sei die Fahrbahn weitgehend trocken gewesen. Wenig Verkehr, vielleicht drei Wagen vor und hinter seinem Bus in Sichtweite.

"Ich dachte nur, dass es hoffentlich bald vorbei sein sollte"

Den braunen Einser-BMW habe er beim letzten Blick in den Rückspiegel als Überholer auf der hier dreispurigen Fahrbahn wahrgenommen. Dann habe er links im Augenwinkel kurz den vorbeischlitternden Wagen gesehen, bevor es den dumpfen Aufschlag gegeben hatte. Überall hätte das leichte Unglücksauto den über 20 Tonnen schweren Bus treffen können – der Bus hätte es "veratmet", ohne aus der Spur zu geraten.

Aber das Unglück oder das Schicksal wollte es, dass der Wagen ausgerechnet das linke Vorderrad traf."Ich bekam sofort einen unheimlichen Rechtsdrall, prallte in die Leitplanke rechts, schlitterte einen Moment an der Leitplanke entlang." Zworskis Stimme vibriert ein wenig beim Erzählen, seine Sätze sind verkürzt. Alles sei in Bruchteilen von Sekunden passiert. "Ich bekam den Bus aber nicht stabilisiert, nicht von der Leitplanke weg." Und dann gab die Leitplanke nach. Im Bus war ein Schreien, das Zworski in Erinnerung blieb. Ihn selbst hat es "sofort voll in den Gurt gehauen".

Er habe die Augen zugemacht, als sein Bus sich über rechts den Abhang hinunter zu rollen begann. »Ich dachte nur, dass es hoffentlich bald vorbei sein sollte.« Was sich in seine Erinnerung gebrannt hat: das Knirschen des Metalls, die berstenden Scheiben, die Geräusche der Katastrophe.Wie oft sich der Bus überschlagen hat, wie lange das alles dauerte – das weiß Zworski nicht. Wahrscheinlich war es nur ein Überschlag. Zum Glück sei der Bus aber wieder auf den Rädern zum Stehen gekommen. Das Erste, was Zworski wahrnimmt, als er die Augen wieder öffnet, war, wie sich die Reiseleiterin neben ihm abschnallte.

Da die Türen beim Überschlag von der Wucht des Aufpralls weggesprengt wurden, konnten die Leichtverletzten selbständig den Bus verlassen, allerdings befanden sich die Ausstiege in gut ein, eineinhalb Metern Höhe über dem Bodenniveau.

Zeitdenken durch Unfall weg

Der Adrenalinschub dieser absoluten Ausnahmesituation hat sein Zeitempfinden komplett ausgeschaltet
Die Reiseleiterin gab Zworski ihr Handy, damit rief er selbst sofort den Polizeinotruf. Der Beamte am anderen Ende der Leitung begriff nach der kurzen eigenen Erschütterung, was Zworski mit »volles Programm« meinte: den Supergau auf der Straße, einen verunglückten Reisebus.

Bis die per Großalarm aus der gesamten Region alarmierten Rettungskräfte vor Ort waren, was nur Minuten gedauert haben kann, erlebte Zworski eine schreckliche Ewigkeit, in der er seinen Kollegen mit dem zweiten Bus  zur Unglücksstelle lotste, um dort im Warmen die noch mobilen Fahrgäste erst einmal unterzubringen. Eine Schwerverletzte in der Reihe hinter sich wollte Zworski dann selbst evakuieren.

Als er aber die Verletzungen sah, beschränkte er sich darauf, ihre Blutungen zu stillen.In der Erinnerung von Stefan Zworski dauerte der nun einsetzende riesige Rettungseinsatz vielleicht eine, eineinhalb Stunden. Tatsächlich waren es fast zehn Stunden. Der Adrenalinschub dieser absoluten Ausnahmesituation hat sein Zeitempfinden komplett ausgeschaltet. Zworski war während des gesamten Rettungseinsatzes vor Ort, half wie ein guter Kapitän zur See bei der Rettung und Evakuierung seiner Passagiere von der Unfallstelle, war später am Abend der letzte Unfallbeteiligte, der – von seinem Kollegen im zweiten Bus gefahren – die Unglücksstelle in Richtung des  Aufnahmelagers des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Bad Hersfeld und später des dort in direkter Nachbarschaft gelegenen Krankenhauses verließ.Er habe da einfach nur funktioniert.

Das getan, was getan werden musste. Vielleicht seien ihm da seine 30 Jahre Erfahrung als Busfahrer zugutegekommen. Auch damals bei der Seefahrt habe er »bereits so manches erlebt«.Was ihm und seinem Chef Ayasse, der sofort nach einem Anruf von Zworski von Calw nach Bad Hersfeld eilte, um die Rückkehr der leichtverletzten Passagiere in die Pfalz zu organisieren, sehr intensiv im Gedächtnis geblieben ist: der unglaubliche Einsatz und die große Professionalität der vielen Helfer von Polizei, Feuerwehr und DRK, die mit einer unglaublichen Kraft und Ruhe die Situation vor Ort geleitet und bewältigt hätten.

Anschnallen verhindert Schlimmeres

Zworski half nach der Nacht im Krankenhaus, in der natürlich kaum an Schlaf zu denken war, am Silvestertag ebenfalls noch bei der Rückführung der Leichtverletzten und ihres Gepäcks mit.Am Silvesterabend dann irgendwann  war er endlich zuhause, aber auch nach diesem intensiven Erleben alleine. Normalerweise sei er nicht nah am Wasser gebaut, erzählt er. Aber in dieser Silvesternacht, als endlich die ganze Anspannung des Erlebten von ihm abfiel, kamen die Tränen.

Und es wurde ihm langsam bewusst, was da eigentlich passiert war. Die schrecklichen Bilder im Kopf...Wenn das Geschehen vom 30. Dezember 2014 zu irgendetwas nütze war, dann vielleicht dazu, etwas daraus zu lernen. Denn das »Warum« steht bei solchen Tragödien ja immer irgendwie im Raum. »Ich fahre viele Schulklassen«, erzählt Zworski.

Da laufen die Kinder sehr oft im Bus herum, auch die Lehrer seien meist kein gutes Vorbild. »Vielleicht ändert sich das nun, und alle schnallen sich immer an. Denn diese Dinge passieren einfach, so unwahrscheinlich sie auch erscheinen mögen.«Die Freude am Busfahren aber werde ihm dieser Unfall wahrscheinlich nicht nehmen können.

Wenn es gut laufe, werde er an dem Erlebten wachsen. Und er hoffe darauf, bald wieder hinter das Steuer klettern zu dürfen. Bei VDL in den Niederlanden, erzählt Rexer-Chef Ayasse, sei der neue Bus für  Zworski bereits auf dem Band.Und auch bei VDL selbst beschäftige man sich sehr intensiv mit dem Unfall von Bad Hersfeld und arbeite daran, was man aus dem Geschehen für die Entwicklung der Sicherheitsausstattung der Busse lernen könne. Um Busfahren künftig noch ein bisschen sicherer zu machen. »Aber die wichtigste Lehre aus diesem Geschehen«, mahnen Stefan Zworski und Arno Ayasse nicht nur ihre eigenen künftigen Fahrgäste: »Immer anschnallen – auch und erst recht im Bus!«