Erzieherinnen der Kitas Möttlingen, Monakam und Heumaden mit dem Geschäftsführer des Diakonieverband Nördlicher Schwarzwald, Bernd Schlander, der Gesamtleiterin Kinderbetreuung, Elfriede Stephan (links) und dem Leiter der Beratungsstelle Onyx, Albrecht Frank und Diplom-Sozialpädagogin Carmen Schulz (rechts). Vierte von links ist Polizeihauptkommissarin Yvonne Schwarz-Tron, daneben (Sechste von links) Sozial- und Sexual-Pädagogin Xenia Celan Foto: Schneider Foto: Schwarzwälder Bote

Prävention: Diakonieverband, Onyx und Polizei wollen Problem der sexuellen Gewalt an der Wurzel packen

Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist ein Tabu-Thema. Genaue Angaben, wie viele Kinder sexueller Gewalt zum Opfer fallen, gibt es nicht. Der Diakonieverband Nördlicher Schwarzwald in Zusammenarbeit mit Onyx und dem Referat Prävention des Polizeipräsidiums Karlsruhe startet nun ein Programm, das Problem an der Wurzel zu packen.

Nordschwarzwald. Die Kriminalstatistik weist für ganz Deutschland im Jahr 2017 13 539 Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder aus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass die Zahl fast 100-mal so hoch ist. Yvonne Schwarz-Tron vom Polizeipräsidium Karlsruhe, Referat Prävention, spricht von 300 000 Fällen im Jahr. Statistisch gesehen bedeutet das, dass alle zwei Minuten ein Kind Opfer sexueller Gewalt wird.

Die enorme Diskrepanz zwischen offizieller Kriminalstatistik und Dunkelziffer liegt daran, dass viele Missbrauchsfälle erst gar nicht zur Anzeige kommen. Die Polizeistatistik, so Schwarz-Tron, sagt, 75 Prozent der Täter sind Fremde, nur 20 Prozent der Täter sind Familienangehörige oder nahestehende Personen.

Beratungsstellen zu sexuellem Missbrauch an Kindern stellen diese Zahlen auf den Kopf: Dort heißt es, nur 22 Prozent aller Fälle werden von Fremdtätern begangen, aber fast 80 Prozent aller Fälle sind Familienangehörigen oder nahestehenden Personen zuzuordnen.

Der Kriminalstatistik liegt die Zahl der Anzeigen zu Grunde; doch "je näher der Täter am Opfer ist, desto unwahrscheinlicher kommt es zur Anzeige", sagt Schwarz-Tron.

Im Kreis Calw ist Onyx in Nagold die zuständige Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Ihr Leiter, Diplom-Psychologe Albrecht Frank, berichtet dass sich auch hier immer mehr Betroffene an die Prävention- und Beratungsdienste wenden. 2017 waren es noch 25 Fälle, 2018 dann 40 Fälle und in diesem Jahr sind es schon 20 Fälle. Viele Fälle, sagt Frank, lösen sich in Wohlgefallen auf. Auch er bestätigt, dass nur die wenigsten letztlich zur Anzeige kommen. Aber es sei wichtig, dass sich jeder, ob Eltern, Freunde oder Opfer, vertrauensvoll an Onyx wenden könne.

Ziel des neuen Programms ist Prävention durch Früherkennung. In einem Drei-Stufen-Programm werden Erzieher, Eltern und Kinder sensibilisiert und gestärkt, sich dem Thema zu widmen.

Seit einem Jahr organisiert der Diakonieverband mit Unterstützung von Onyx Fortbildungsmaßnahmen zu sexueller Gewalt für Erzieher und Erzieherinnen seiner elf Kitas im Kreis Calw. Dabei geht es um den Umgang mit dem Verdacht auf sexuellen Missbrauch und den Handlungsmöglichkeiten und –grenzen für die Erzieher. Materialien zur praktischen Prävention mit Kita-Kindern werden vorgestellt. So öffnete Sozial- und Sexual-Pädagogin Xenia Celan in der Kita Möttlingen die "Starke-Sachen-Kiste" und erklärte den Erziehern der Kitas Möttlingen, Monakam und Heumaden den Umgang mit dem Inhalt der Schatzkiste.

Der wird in einem zweiten Schritt den Eltern vorgestellt. Schwarz-Tron informiert bei Elternabenden über das Thema sexueller Missbrauch und was mit dem Projekt "Echte Schätze" auf Eltern und ihre Kinder zukommt.

"Echte Schätze" ist ein von Psychologen und Pädagogen erarbeitetes Programm, das vom Petze-Verlag Kiel als Schatzkiste verkauft wird. Es soll Kinder stärken, ihre Gefühle zu äußern, welche Berührungen sie mögen oder verabscheuen, den Unterschied zwischen guten und schlechten Geheimnissen zu erkennen, wie sie Hilfe holen können und wann und wie sie "Nein" sagen können.

In einem sechswöchigen Programm werden Vorschulkinder spielerisch an diese Themen herangeführt, ohne jemals mit Sex oder sexueller Gewalt konfrontiert zu werden.

Die Schatzkiste enthält Begleitmaterial, Kopiervorlagen zu den einzelnen Geschichten, Bastelideen und viele Anregungen für die Erzieher. Zum Schluss bekommen die Kinder ein "Echte Schätze"-Bilderbuch mit nach Hause, damit sie mit ihren Eltern über das Gelernte sprechen und die Themen vertiefen können.

Der Diakonieverband hat sechs Schatzkisten im Einsatz: eine eigene, zwei von der Onyx-Beratungsstelle, eine von der Stadt Haiterbach und zwei vom Referat Prävention des Polizeipräsidiums Karlsruhe. Die werden reihum an Kitas verliehen. Da das Programm in möglichst vielen Kitas im Kreis Calw umgesetzt werden soll, sucht der Diakonieverband Sponsoren, um weitere Schatzkisten anschaffen zu können. Denn, so Schwarz-Tron, "wenn wir damit auch nur ein Kind vor sexuellem Missbrauch schützen können, ist schon viel erreicht".