Calw - Man kann es einen Arbeits-Urlaub nennen - die Sommertour von Baden-Württembergs Sozial- und Integrationsminister Manfred "Manne" Lucha. Nun machte er in Calw Station - um sich hier über das hiesige Frauenhaus zu informieren. Und ein bisschen auch den Nordschwarzwald zu genießen.

Weshalb Landrat Helmut Riegger den hohen Gast beim Empfang im Landratsamt kurzerhand auf die Dachterrasse einlud - der Ausblick von hier ins Calwer Nagoldtal und die Wälder darüber ist einmalig. Aber so ganz ohne Hintergedanken war dieses Sightseeing auch nicht: Man sieht von hier aus auch das "alte" Calwer Krankenhaus. Das Dank der Förderzusage von Minister Lucha bekanntlich durch ein neues künftig ersetzt werden soll. Kann ja nicht schaden, "die da in Stuttgart" ab und an an solche Zusagen zu erinnern.

Manne Lucha erkannte natürlich sofort diesen "Wink mit dem Zaunpfahl". Aber er und Landrat Riegger sind über die vielen Krankenhaus-Diskussionen der letzten Jahre längst zu guten "Duz-Freunden" geworden. Was vielleicht erklärt, warum das Sommertour-Thema "Frauenhäuser" den Minister ausgerechnet nach Calw führte. Hier konnte man einerseits diese Ehre irgendwie noch nicht so recht fassen, endlich nach Jahrzehnten des "politischen Kampfes" um die Rechte der Frauen und den Schutz vor häuslicher Gewalt auf einmal aktiv von der "großen Politik" so hofiert zu werden. Andererseits: So ein wenig im Kampfmodus waren "die bekloppten Weiber" (Zitat Ulrike Berkholz, zweite Vorsitzende vom Verein "Frauen helfen Frauen"; so waren bei Gründung des Calwer Frauenhaus die damaligen Aktivisten von der "männlichen Politik" im Kreis das ein ums andere Mal betitelt worden) trotzdem noch. Schließlich hat man knallharte Forderungen. Und gute Argumente dafür.

Eigentlich müssten es doppelt so viele Plätze sein

20 Plätze hält das Calwer Frauenhaus aktuell vor. Nach der "Istanbul-Konvention" (siehe Info) müssten es doppelt so viele allein für den Kreis Calw sein. Doch schon jetzt nimmt das Calwer Haus auch von häuslicher Gewalt betroffene Frauen (und deren Kinder) aus den umliegenden Landkreisen auf - weil die keine eigenen Frauenhäuser vorhalten. Folge: Die Calwer Einrichtung ist ständig voll- oder sogar überbelegt. Und - besonders schmerzlich für die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helferinnen: Viel zu viele Frauen in Notsituationen müssen abgewiesen werden - 65 Betroffene allein im vergangenem Jahr. Weil kein Platz war. Weil die Kostenübernahme nicht geklärt war. Weil die Einrichtung auf die besonderen Bedürfnisse der Schutzsuchenden nicht eingerichtet ist - etwa, wenn Söhne über zwölf Jahren die Mutter begleiten; denn die brauchen eigene Sanitärräume, die das Calwer Frauenhaus (noch) nicht hat.

Was klar wird: Um all diese Probleme im Calwer Frauenhaus zu lösen, braucht’s vor allem eines: "Mehr Geld!" So eine der hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des Calwer Frauenhauses - von der man öffentlich weder den Namen nennen, noch ein Bild zeigen darf - weil die (Ehe-)Männer der im Frauenhaus schutzsuchenden Frauen immer mal wieder auch als "Stalker" der Frauenhaus-Mitarbeiter auffallen. Nur eines der vielen Probleme und "besonderen Herausforderungen", die diese Einrichtung mit unfassbar viel Engagement der Mitarbeiterinnen zu bewältigen hat.

Seine "zwei Geldkoffer" habe er heuer zwar vergessen mitzubringen, reagierte Minister Lucha auf die Forderungen der Calwer Aktivistinnen, aber der vermehrte Finanzbedarf für die Frauenhäuser im Land stehe auch für ihn außer Frage. Vor allem "um mehr Plätze eben gemäß der Istanbul-Konvention auch bei uns zu schaffen". Auch für den Ausbau einer flächendeckenden Beratungs-Infrastruktur für durch häusliche Gewalt in Not geratene Frauen brauche man mehr Mittel - für die man aktuell in den anlaufenden Haushaltsberatungen auch kämpfen werde. "Eine konkrete Zahl sage ich jetzt nicht", so Lucha weiter. Weil "es da schwierig wird" - schließlich lägen über der Einnahmesituation des Landes "mehr dunkle Wolken als über Ihrem schönen Calwer Nagoldtal".

Aber damit der Minister sich einen eigenen Eindruck machen konnte, wie dringend diese Gelder in den Frauenhäusern tatsächlich gebraucht werden, wurde ihm nach dem Empfang das (extrem) außerordentliche Privileg zuteil, als Mann das Calwer Frauenhaus besuchen zu dürfen. Wofür er - wie die betroffenen Frauen - in den VW-Bus der Einrichtung "gepackt" wurde, um einmal eine solche "Flucht" ins sichere Frauenhaus-Asyl am eigenen Leib nachzuerleben. "Da müsse der Herr Minister durch", hatte dazu im Vorfeld das für die Organisation dieses Besuchs zuständige Referat in Luchas Ministerium gesagt, denn "so’n verwöhnter Minister-Hintern" sei ja sonst eher "ganz anderen Komfort" gewöhnt. Aber diese besondere Erfahrung sollte ja auch die Motivation von Manne Lucha befördern, in den Haushaltsverhandlungen als Verhandlungsführer "wirklich alles" für die künftige finanzielle Förderung der Frauenhäuser zu geben.

Istanbul-Konvention

Das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, auch bekannt als Istanbul-Konvention, ist ein 2011 ausgearbeiteter völkerrechtlicher Vertrag. Es schafft verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt. Auf seiner Grundlage sollen sie verhütet und bekämpft werden. Es trat am 1. August 2014 in Kraft. Das Übereinkommen schreibt vor, dass die Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen der Unterzeichnerstaaten verankert sein muss und sämtliche diskriminierenden Vorschriften abzuschaffen sind. Außerdem sollen Hilfsangebote für Frauen verbessert und die Menschen über Bildungsangebote für das Problem sensibilisiert werden. Die einzelnen Maßnahmen sehen eine Rechtsberatung, psychologische Betreuung, finanzielle Beratung, Hilfe im Zugang zu Unterbringungsmöglichkeiten (Einrichtung von Frauenhäusern), Aus- und Weiterbildung sowie Unterstützung bei der Suche nach Arbeit vor.

Deutschland hat das Abkommen 2017 ratifiziert.

(Quelle: Wikipedia)