Die Betreuungsgebühren für Kinder sind heftig umkämpft. Foto: © shocky – stock.adobe.com

Rat diskutiert neues System. Erziehungsberechtigte wehren sich. Antrag der Freien Wähler auf dem Tisch.

Calw - Die Diskussion um die Erhöhung der Kita-Gebühren in Calw geht in die nächste Runde: Nachdem der Kultur-, Schul- und Sportausschuss im Dezember mühevoll ein neues System erarbeitet hatte, liegt nun bereits ein Antrag der Freien Wähler auf dem Tisch, um dieses anzupassen. Am Donnerstag berät der Gemeinderat. Unterdessen laufen zahlreiche Eltern Sturm gegen die Erhöhung.

Angefangen hat alles im Juli vergangenen Jahres: In der letzten Gemeinderatssitzung vor der Sommerpause stand damals eine pauschale Erhöhung der Kinderbetreuungsgebühren um 3,5 Prozent zur Debatte. Schnell wurde allerdings deutlich: Diesem Vorschlag wird das Gremium nicht ohne Weiteres zustimmen.

Drei Mal stand das Thema seitdem auf der Agenda des Kultur-, Schul- und Sportausschusses, ein weiteres Mal auf der Tagesordnung des Gemeinderats. Und binnen kurzer Zeit wurde nicht nur die geplante Erhöhung, sondern die gesamte Gebührenordnung in Frage gestellt.

Die Ausgangslage

Zum Hintergrund: Vor einigen Jahren hatte sich der Gemeinderat vorgenommen, 20 Prozent der Kosten, die die städtischen Kindertagesstätten verursachen, über Gebühren von den Eltern finanzieren zu lassen. Da diese Gebühren beispielsweise durch Gehaltserhöhungen der Erzieher mit der Zeit steigen können, berichtet die Stadtverwaltung regelmäßig über die aktuelle Kostenentwicklung und schlägt entsprechend Anpassungen der Gebühren vor. Die im Juli 2018 auf den Tisch gebrachte Erhöhung um 3,5 Prozent sollte genau diesem Ziel dienen, erklärt Calws Oberbürgermeister Ralf Eggert auf Anfrage unserer Zeitung.

Im Gemeinderat waren im Zuge der Diskussion darüber jedoch Stimmen laut geworden, die bestehende Gebührensatzung (die das Gremium erst rund ein Jahr zuvor überarbeitet und nach seinen Wünschen verständlicher gestaltet hatte) sei zu umständlich zu lesen, die Sprünge zwischen den Gebühren nicht erklärbar. Und bevor über die vorliegende geplante Erhöhung gesprochen werden könne, müsse das gesamte System erst nochmals auf den Prüfstand.

Bei einer Klausurtagung des Kultur-, Schul- und Sportausschusses in Holzbronn im Dezember wurde genau dies getan und schließlich ein neuer, selbst erarbeiteter Satzungsentwurf beschlossen – und somit auch neue Gebühren, die nun vor allem bei Familien nicht gerade auf Gegenliebe stoßen. Und es formiert sich Widerstand.

Der Protest

So wird derzeit sowohl im sozialen Netzwerk Facebook – über eine Gruppe mit dem Namen "Familienfreundliches Calw", die rund 180 Mitglieder zählt – als auch mit in Calw ausgelegten Handzetteln darum geworben, die Gemeinderatssitzung am Donnerstag zu besuchen und Flagge gegen die Erhöhung zu zeigen.

Zudem erreichte die Redaktion dieser Tage ein Schreiben per E-Mail, in dem die Familien Abdagic, Bantel, Braun, Fischer, Graff-Spindler, Hebestreit, Holl, Jung, Kaiser/Venezia, Kalayci, Kanis, Magas-Selemis, Manuella, Meier, Olsen, Sander, Santos/Fontinha, Sisic, Stern und Stürmer Stellung beziehen, nachdem in der Stadtteilbeiratssitzung in Heumaden vergangene Woche die geplanten Kindergartengebühren vorgestellt worden waren.

"Nicht nachvollziehbar für die Eltern ist die neuerliche Gebührenerhöhung um teilweise bis zu 33 Prozent", steht in der E-Mail. Es stelle sich die große Frage, wie die Stadt Calw dies rechtfertige; nicht einmal die anwesenden Räte hätten eine plausible Erklärung geben können. Und "wie kann ein Stadtteil- oder Gemeinderat guten Gewissens über eine geplante Gebührenerhöhung entscheiden, wenn er diese nicht einmal selbst erklären kann?", heißt es weiter.

Junge Familien mit Kindern seien durch attraktive Baugebiete in das vermeintlich familienfreundliche Calw gelockt worden; auf den zweiten Blick werde nun der "Pferdefuß" erkennbar: "Gebühren am oberen Limit und darüber hinaus!", schreiben die Familien. Viele fühlten sich getäuscht.

Seit Jahren würden in Calw ungeniert vor allem im Ganztagesbereich Gebühren verlangt, die bewusst viel zu hoch angesetzt seien. OB Eggert habe dazu erklärt, dass es um einen "steuernden Effekt" gehe"; dass er eine "Nachfrage-Explosion" fürchte, wenn die Gebühren gesenkt würden. "Im Klartext bedeutet dies, dass durch überteuerte Kitapreise die Nachfrage nach Ganztagesplätzen künstlich kleingehalten werden soll", heißt es dazu. "Diese Art von ›Steuerung‹ halten die Eltern für unerhört."

Vor allem Frauen treffe diese unglückliche Gebührenpolitik der "angeblich so ›kinderfreundlichen‹ Stadt" hart. Sie müssten auf einen wichtigen Beitrag zum Familieneinkommen, der ihr Selbstwertgefühl stärke, und dabei auch noch dringend gebraucht werde, verzichten. Frauen hätten aber oft anspruchsvolle Berufe, die die Gesellschaft dringend benötige. Überall herrsche Fachkräftemangel und man könne es sich eigentlich nicht leisten, das Frauenpotenzial ungenutzt zu lassen. So gesehen sende die Stadt Calw das falsche Signal aus, wenn sie durch eine "überteuerte Gebührenpolitik" in die Inanspruchnahme der Ganztagesbetreuung "steuernd" eingreifen wolle.

Manche Familie müsse sich ernsthaft überlegen, ob sie sich die eine oder andere Berufstätigkeit noch leisten könne. "Aber man liebt vielleicht seinen Beruf, ist zufrieden und anerkannt. Soll man zu Hause bleiben, weil die Kindergartengebühren einem das Gehalt wegfressen? Das kann doch nicht der ›steuernde Effekt‹ der Großen Kreisstadt Calw sein. Wo ist da der Grundsatz von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewahrt?", fragen sich die Familien.

Im Gemeinderat sei man sich einig, dass im Vergleich zu den umliegenden Gemeinden die Gebühren zu hoch sind. Trotzdem werde munter weiter erhöht. Doppelverdiener müssten oft das Angebot der Ganztagesbetreuung nachfragen, weil sie vielleicht einen Bauplatz gekauft hätten oder sich bereits in der Eigenheim-Verwirklichung befinden würden.

"Jetzt sollen die Gebühren vor allem im Ganztages-Bereich erneut stark steigen, auf bis zu 656 Euro pro Monat. Die Ausdehnung der Betreuung von sechs auf zehn Stunden bei den unter Dreijährigen entspricht dabei einer Erhöhung um den Faktor 1,66. Dafür ist schon die aktuelle Gebühr um den Faktor 2,5 höher, was überhaupt nicht nachvollziehbar und völlig überzogen ist. Dies empfinden wir als Wucherei. Vor allem Familien mit mehr als einem Kind sollen zukünftig deutlich mehr zur Kasse gebeten werden. Die Ermäßigungen für Kinder im Haushalt werden empfindlich zurückgenommen. Dies trifft wiederum die falschen, die hohe Mieten bezahlen oder Eigenheim-Schulden zu schultern haben. Die Stadt scheint das nicht zu kümmern – Hauptsache, man kann sein Defizit verringern. Die Familien wollen diese Politik auf ihrem Rücken nicht länger hinnehmen", heißt es in dem Schreiben abschließend.

Der Antrag

Dass die Gebührensteigerung gerade bei Familien mit mehreren Kindern im Entwurf des Kultur-, Schul- und Sportausschusses sehr hoch ausfällt, haben zwischenzeitlich übrigens auch Mitglieder des Gemeinderats so bewertet. So steht in der Sitzung am Donnerstag auch ein Antrag der Freien Wähler auf der Tagesordnung, die Gebühren nochmals anzupassen. Insgesamt sollen die Erhöhungen demnach bei zwei und drei Kindern in der Familie deutlich weniger erhöht, bei den niedrigen Einkommensstufen zum Teil sogar erheblich gesenkt werden.

Folgt das Gremium dem gestellten Antrag, könnten Geringverdiener mit einem zu versteuernden Jahres-Einkommen von bis zu 20.000 Euro dann um bis zu 25 Prozent weniger Gebühren zahlen müssen.

Am stärksten belastet werden jene mit einem zu versteuernden Jahres-Einkommen von mehr als 80.000 Euro: Hier würde dann eine maximale Erhöhung von 25 Prozent fällig.

Beim zu versteuernden Jahreseinkommen handelt es sich um das Bruttojahreseinkommen nach Abzug aller Freibeträge und Werbungskosten. Ein Beispiel dafür: Pro Kind beläuft sich der Freibetrag, inklusive Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf, auf 7620 Euro bei verheirateten, zusammen veranlagten Eltern.