Oben: Diese Postkarte aus der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre, die im Calwer Stadtarchiv aufbewahrt wird, zeigt den Zweck der beiden wuchtigen Gebäude am damaligen Stadtrand auf. Unten: Schon "Truppführerschule 4" heißt die 1934 als "Bezirksführerschule für den staatlichen Arbeitsdienst" nach Calw gekommene RAD-Schule auf der Ansichtskarte; diese entstand also 1935 oder später. Fotos: Digitalarchiv Schabert Foto: Schwarzwälder Bote

Abbruchgebäude: Vor der Lehrerakademie war die "Neue höhere Handelsschule" RAD-Truppführerschule

Sie soll abgerissen werden, doch hat eine bewegte Geschichte hinter sich – die ehemalige Lehrerakademie in Calw.

Calw. Das zum Abbruch freigegebene Gebäude aus dem Jahr 1908 oberhalb vom Amtsgericht kennen die Calwer und viele andere als ehemalige Lehrerakademie. Nur wenige Ältere oder Geschichtsinteressierte wissen noch, dass darin zunächst die private "Neue höhere Handelsschule" wirkte. Nächster Zweck des vorübergehend leerstehenden Hauses war ab 1934, die Schule des Reichsarbeitsdienstes zu beherbergen.

Noch zu Zeiten des Freiwilligen Arbeitsdienstes (FAD) zog die "Bezirksführerschule für den staatlichen Arbeitsdienst" nach Calw um. Eingeweiht worden war diese am 6. Juni 1933 im Stuttgarter Schloss Solitude. Sie stand unter Trägerschaft der Nationalsozialisten, die damals derartige Einrichtungen der Sozialverbände oder der Kirchen übernahmen und gleich- oder ausschalteten. Nach Einführung der Dienstpflicht im Reichsarbeitsdienst (RAD) für alle jungen Deutschen im Jahr 1935 wurde die Einrichtung in "Truppführerschule 4" umbenannt.

Wie kam es, dass eine von reichsweit 19 Truppführerschulen des RAD nach Calw umsiedelte? Dafür sorgten nach Zeitungsberichten und ausweislich der Protokolle des Calwer Gemeinderats vor allem das Interesse der Stadt Calw und der Kreisleiter der NSDAP, Georg Wurster (1897-1976). In Schmieh geboren, lebte Wurster in seiner Jugend in Agenbach und ließ sich später in Calw nieder, wo er der erste NSDAP-Stadtrat wurde. Als Soldat hatte er den Ersten Weltkrieg erlebt und wurde schon früh Parteimitglied. Er stieg 1934 zum hauptberuflichen Calwer Kreisleiter auf und führte vom 1. Mai 1935 an die SA in Pforzheim.

Bei der Stadt Calw war das Interesse an der Schule aus der Not geboren, wie sich aus den Ratsprotokollen ergibt. Unter dem Vorsitz des von 1918 bis 1946 amtierenden Bürgermeisters Otto Göhner (1885-1978) wurde nichtöffentlich am 30. Mai 1934 beschlossen und später in öffentlicher Sitzung bestätigt, dass die Schule des Arbeitsdienstes von der Stadt wie auch von Land und Kreis finanziell unterstützt wird. Die Mietkosten von jährlich 11 000 Reichsmark übernahmen die drei Körperschaften, und der Anteil für die Stadt belief sich auf 3400 Reichsmark.

Wörtlich heißt es im Calwer Gemeinderatsprotokoll zur Ansiedlung der ständig mit 250 Mann besetzten Schule: "Zu der Belastung der Stadtkasse führt der Vorsitzende aus, daß die Verlegung der Bezirksführerschule nach Calw für die hiesige Geschäftswelt eine sehr schätzungswerte Befruchtung bringe, was das Opfer der Stadtverwaltung wert erscheinen lasse. Die NSHAGO-Kreisamtsleitung [NSHAGO heißt NS-Handels- und Gewerbeorganisation, Anm. d. Red.] habe die Bedeutung der Schule für Calw erkannt; diese wolle sich an den der Stadt entstehenden Kosten beteiligen. Der Gemeinderat begrüßt die getroffene Regelung und ganz besonders die Gewinnung der Bezirksführerschule für die Stadt Calw. Kreisleiter Wurster, Ortsgruppenleiter Widmaier wie dem Vorsitzenden wird wärmster Dank ausgesprochen."

Zusätzlich gab die Stadt noch Vergünstigungen für Gas, Wasser, Strom und Latrineabfuhr, die nur hälftig erhoben wurden und im Übrigen bei Überschreiten von jährlich 1500 Mark gedeckelt waren, also die Stadtkasse belasteten. Auch das stand im Protokoll: "Die Vertreter des Arbeitsdienstes hätten zugesichert, daß die für die Bezirksführerschule notwendigen Lebensmittel in Stadt und Kreis Calw gekauft würden und zwischen den Vertretern des Kreises und der Stadt habe Übereinstimmung bestanden, daß dieser Einkauf in der Hauptsache in Calw und nur ausnahmsweise (Kartoffelbeschaffung usw.) auf dem Lande, d. h. im Kreisbezirk erfolgen werde. Die Geschäftsbelebung beschränke sich selbstverständlich nicht nur auf das Lebensmittelgebiet…"

Als "Lehrerakademie" genutzt wurde das Schulgebäude vom Land zwischen 1948 und 2007. Aufsehen erregte anschließend, wenn gelegentlich das Kommando Spezialkräfte (KSK) in dem Haus Übungseinsätze vornahm.

Dann kam der Eigentumswechsel in private Hand, der ursprünglich den Umbau zum Wohngebäude bringen sollte, jetzt aber in den Abbruch mündet (wir berichteten). Auch aus der Zeit des RAD stammt die heute vom Verein "JKA-Karate Dojo Calw" genutzte Sporthalle am Vorstadtweg. Sie wurde um 1935 vom Arbeitsdienst für dessen Zwecke erbaut. Bis 2013 diente sie der Stadt als Schulturnhalle und Veranstaltungsort. Ein RAD-Frauenlager gab es im heutigen Calwer Stadtgebiet in Altburg.