Der geplante Anbau ist ein Querriegel, der auf Haus A aufliegt. Foto: Fotomontage: 21-arch GmbH

Umstrittene Erweiterung wird erneut diskutiert. Zahlreiche Bürger äußern ihre Bedenken. Mit Kommentar

Calw - 100 Arbeitsplätze, elf Millionen Euro, unzählige Argumente – für und gegen den geplanten Anbau des Landratsamts. Doch nachdem das Vorhaben im Bau- und Umweltausschuss zunächst abgelehnt wurde, stimmte der Gemeinderat nun doch dafür.

Neben den Kindergartengebühren ist der Landratsamt-Anbau wohl das Thema, das momentan in Calw am meisten polarisiert. Im Hirsauer Kursaal – es war übrigens die letzte Sitzung dort, bevor das Gremium ins Rathaus umzieht – musste sogar nachgestuhlt werden. So viele interessierte und mitunter auch wütende Bürger kamen zur Gemeinderatssitzung. Wenig überraschend also, dass es gleich beim ersten Tagesordnungspunkt, der Einwohnerfragestunde, hoch her ging.

Eher Konfrontation als Kompromisse

"Die teuerste Lösung wurde im stillen Kämmerchen beschlossen, eine Lösung, die gar nicht geht", wetterte ein Bürger. Zumal es mittlerweile genug Modelle gebe, um von Zuhause aus zu arbeiten. Eine Anwohnerin schlug einen deutlich sachlicheren, jedoch nicht weniger energischen, Ton an. "Es ist in Ordnung, wenn Arbeitsplätze gebraucht werden", sagte sie. Das "Wie" stoße ihr aber bitter auf. So seien die Anwohner nicht früh genug informiert und deren Argumente nicht genug beachtet worden, meinte sie.

Ähnlich sah es auch eine weitere Anwohnerin. "Warum wurden die Alternativen abgelehnt?", fragte sie und urteilte: "Dieses Ufo passt sich sicher nicht dem Stadtbild an". Ganz zu schweigen von der befürchteten Verschattung der angrenzenden Häuser. Ein Mitarbeiter des LRAs erwiderte, dass es sehr wohl notwendig sei, weitere Arbeitsplätze zu schaffen. "Es sind Aufgaben dazugekommen und wir müssen miteinander kommunizieren, um die Arbeit gut zu machen." Daher sei das Argument, mehr in Homeoffice zu investieren, für ihn hinfällig. "Egal wie, aber wir brauchen mehr Platz. Und jeder hätte die Möglichkeit gehabt, sich zu informieren." Die Art, wie das Ganze abgelaufen ist – vor allem, dass das LRA eher auf Konfrontation gegangen sei, anstatt Kompromisse einzugehen – fand auch ein weiterer Bürger nicht in Ordnung. Dass der Anbau kommen müsse, stehe jedoch für diesen Bürger fest. "Calw verliert zusehends an Bedeutung, deshalb müssen wir die Zentralität eher verbessern, statt verhindern."

Als es schließlich zur Diskussion im Gremium kam, begann diese erst einmal mit einer Überraschung: Irmhild Mannsfeld (Neue Liste Calw) musste die Runde verlassen. Grund: Befangenheit, weil sie ebenfalls als Anwohnerin gilt. Überraschend war es deshalb, weil sie in der Sitzung des Bau- und Umweltausschusses vor wenigen Wochen noch mit abgestimmt hatte. Schlicht ein Fehler, wie OB Ralf Eggert einräumte.

"Wir haben uns seit 2015 mit der Problematik auseinandergesetzt", leitete Andreas Knörle, Dezernent für Innere Organisation, ein. Man habe nach sorgfältigen Analysen die Alternative gewählt, die den Ansprüchen genügt. Bei der also unter anderem ein zentraler Eingangsbereich, rund 100 neue Arbeitsplätze, eine neue Zulassungsstelle und eine einfache Wegeführung möglich seien. Der Querbau auf Haus A über die Vogteistraße erfülle all diese Kriterien. Und zwar nur der.

Im Prozess der Ausarbeitung des Ganzen, der nun so oft kritisiert wurde, seien auch Vertreter aus dem Gemeinderat dabei gewesen. Gerade wegen der städtebaulichen Wirkung.

Über die Optik lässt sich streiten

Aufgrund der Bedenken der Bewohner hatte das LRA eine Verschattungsanalyse gemacht. Laut dieser Untersuchung, erklärte André Dieringer, Abteilungsleiter Gebäude und EDV, betrage der Unterschied mit und ohne den Anbau gerade einmal eine halbe Stunde pro Tag. Und das auch nur im Frühjahr und im Herbst. Bereits um 12.30 Uhr stehe die Sonne Ende Februar so hoch, dass der Schatten im Haus nicht mehr sichtbar sei. So ganz schien das die Anwohner jedoch nicht zu überzeugen. Immer wieder war von ihnen verächtliches Schnauben oder gemurmelte Widersprüche zu hören.

Die Fraktionen gaben dessen ungeachtet ihre jeweiligen Stellungnahmen ab. "Ich kann die Anwohner verstehen, aber es ist immer ein Abwägungsprozess", sagte Dieter Kömpf (Freie Wähler). Man könne sich nicht auf der einen Seite feiern lassen, weil man durch die Kriminalpolizeidirektion in Calw 100 Arbeitsplätze gewinne, auf der anderen Seite aber 100 Arbeitsplätze so leichtfertig weggeben, argumentierte er. Dieser Meinung schloss sich Jürgen Ott (Gemeinsam für Calw) an. "Keiner hat sich die Entscheidung leicht gemacht", betonte er. Gerade weil Ott durchaus sehe, dass die Auswirkungen – wie stark sie nun auch sein mögen – nicht schön seien. "Aber man muss zum Wohle der Bürger entscheiden", meinte er. Und das Gros habe durch den Anbau eben einen Vorteil. Zum Beispiel durch die Kaufkraft, die durch die Mitarbeiter des LRAs in der Stadt bleibe. Sebastian Nothacker (CDU) schloss sich dieser Meinung an. Über die Optik des geplanten Anbaus ließe sich streiten, meinte er. Gab aber zu, dass er persönlich ihn von Anfang an schön gefunden habe. Linda Morhard (CDU) kritisierte die fehlende Kompromissbereitschaft des Bauherrn und kündigte deshalb an, sich enthalten zu wollen.

Gegen eine Erweiterung im Allgemeinen sei auch die Neue Liste nicht, betonte Hans Necker. Jedoch nicht auf diese Weise. So seien die städtebaulichen Konsequenzen so drastisch, dass die Fraktion nicht zustimmen könne. "Der Anbau fügt sich nicht ein, die Stadtkrone wäre beschädigt", argumentierte auch Phillipp Koch (NLC). Die Neue Liste werde geschlossen gegen das Vorhaben stimmen, betonte er. Applaus aus den Reihen der Bürger.

Schlussendlich wurde dem geplanten Anbau des LRAs bei sechs Gegenstimmen und einer Enthaltung zugestimmt. Kaum war das ausgesprochen, verließen die Anwohner den Saal. Manche kopfschüttelnd, andere ohne erkennbare Reaktion. Ob in dieser Sache das letzte Wort gesprochen ist?

Kommentar: So nicht!

Von Bianca Rousek

Selten in der jüngeren Vergangenheit ging es in der Bürgerfragestunde einer Gemeinderatssitzung so zur Sache wie diesmal. Mehrere Bürger erhoben sich, um ihre Meinung kundzutun. Was ihr gutes Recht ist, vor allem wenn es sachlich bleibt. Das scheint aber für manche Leute schwierig zu sein. Ein Bürger redete sich so in Rage, dass er das gesamte Gremium als "dumm" beleidigte. Und das kann nun wirklich nicht angehen. Man kann von den Entscheidungen des Gemeinderats halten, was man will. Den Räten ein Mindestmaß an Respekt entgegenzubringen, sollte aber selbstverständlich sein. Schade, dass der "Wutbürger" nicht zur Ordnung gerufen wurde. Gerade in Zeiten zunehmender Verrohung der Sitten sollte ein solches Verhalten Konsequenzen haben. Sonst müssen alle mit den Folgen leben. Denn wer möchte sich in einem Gremium engagieren, in dem man sich beleidigen lassen muss?