Das Landgericht Tübingen verhandelt einen Totschlags-Fall. Foto: M. Bernklau Foto: Schwarzwälder Bote

62-Jähriger aus Schömberg steht wegen Totschlags vor Tübinger Landgericht. Mit Tomatenmesser zugestochen.

Tübingen/Schömberg - "Ohne ein Mörder zu sein", habe er einen Menschen getötet. Das wirft die Anklage vor dem Tübinger Landgericht einem 62-jährigen Schömberger vor. Nach einem gemeinsamen Zechgelage und einem Streit verblutete sein Kollege durch einen Messerstich in den Hals.

Was Staatsanwältin Miriam Wieber als Totschlag anklagt, ist für den gebürtigen Usbeken aus Kasachstan pure Notwehr gewesen. Der Mann verfolgt die Anklageverlesung immer wieder weinend. "Entrüstet", so der Vorsitzende Richter Ulrich Polachowski, habe er von Anfang an auf den Vorwurf, auf seine Haft und den Prozess reagiert. Vier Verhandlungstage sind angesetzt, um zu klären, was vergangenen Februar an jenem Samstagabend in der Wohnung des getöteten Russlanddeutschen geschah.

Das Problem der Wahrheitsfindung ist auch der Alkohol. Rund 2,6 Promille hatte der Getötete intus. Beim Angeklagten maß man noch fünf Stunden nach der Tat 2,28 Promille im Blut. Der Fußballfan, in Trennung von seiner zweiten Frau, hatte nach einer VfB-Niederlage mit einer halben Flasche Wodka vorgeglüht und war mit Bier auf Besuch zum Bekannten und Kollegen gegangen, der unter der Woche gemeinsam mit ihm als Ein-Euro-Jobber Tischlerarbeiten in Bad Wildbad erledigte.

Der Gastgeber hatte in seiner Wohnung zusammen mit einer Frau schon eine Flasche Wodka fast geleert. Der Restschnaps blieb zurück, als die Zechkumpanin ging. Später habe sich der gelernte Busfahrer laut Anklage von homosexuellen Avancen des betrunkenen Kollegen beleidigt gefühlt und mit einem Tomatenmesser von zwölf Zentimetern Klingenlänge zugestochen, in den Hals. Der alarmierte Notarzt konnte um 20.27 Uhr nur noch den Tod des Mannes feststellen.

Fast ganz anders lässt der Angeklagte von seiner Verteidigerin das Geschehen schildern. Nach dem Abgang der Frau sei der Kollege irgendwann "plötzlich wie verwandelt gewesen", habe ihn zum "Hamburger Hahn" – offenbar eine Bezeichnung aus einstigen Sowjetgefängnissen für einen Schwulen – machen wollen und massiv angegriffen: mit Schlägen, Tritten und Würgen. Irgendwie sei ihm in einem Kampf das Messer in die Hand gelangt, und er habe wohl in Notwehr zugestochen.

Allerdings, so die Verteidigung, habe er den Kontrahenten weder töten wollen, noch danach die Schwere seiner Verletzung bemerkt. Von dem dann "mit Schnarchgeräuschen Röchelnden" habe er sich befreien können, um bei Nachbarn einen Notarzt zu alarmieren. Als die Ersthelfer kamen, hatte der Betrunkene das Tatmesser noch in der Hand – in der linken, obwohl Rechtshänder.Das ist eine der Unklarheiten, die Zweifel am vorsätzlichen Totschlag zulassen. Auch die tiefen Schnitte an der Hand des Getöteten und die vielen erheblichen Kampfverletzungen, die später im Pforzheimer Siloah-Krankenhaus beim Angeklagten festgestellt wurden, könnten seine Darstellung stützen. Zudem habe der Kollege seine Trunksucht gewöhnlich mit Wein, nicht mit Wodka ausgelebt, was ein "Ausrasten" erklären könnte.

Als der Richter dem 62-Jährigen nahezulegen versuchte, doch einige Dinge mit Aussagen zu klären, warf die Verteidigerin Sylvia Schwaben spitz die Frage ein: "Im Zweifel gegen den Angeklagten?" Sie traf damit den Kern des Prozesses, zu dem zwei Gutachter und zehn Zeugen geladen sind: Dem Angeklagten müssen die Ermittler, die Staatsanwältin und schließlich die Strafkammer seine Schuld beweisen – nicht er seine Unschuld.