Der Landkreis Calw greift auch der Klinik in Nagold mit Beihilfen unter die Arme. Foto: Fritsch

Der Bundesverband Deutscher Privatkliniken verklagt den Landkreis Calw, weil dieser für die Verluste seiner Einrichtungen geradesteht.

Calw - Ist es mit dem Recht vereinbar, dass die Finanzlöcher der Kliniken mit Steuermitteln gestopft werden – oder verstößt diese Praxis gegen das EU-Wettbewerbsrecht? Mit dieser Frage muss sich ab sofort das Landgericht Tübingen auseinandersetzen.

Manchmal kommt es eben knüppeldick. Nicht genug, dass der Landkreis Calw Jahr für Jahr seinen beiden chronisch defizitären Krankenhäusern in Nagold und Calw mit Beihilfen in Millionenhöhe unter die Arme greifen muss, jetzt fährt ihm – just aus diesem Grund – auch noch der Bundesverband Deutscher Privatkliniken e.V. (BDPK) mit einer Klage in die Parade. Das Landgericht in Tübingen soll klären, ob bei dieser Calwer Subventionspraxis, die gängig ist bei kommunalen Trägerschaften, EU-Wettbewerbsrecht verletzt wird. Kläger wie Beklagte stellen sich auf einen langen Prozess ein.

Die Frage aller Fragen, die man sich im Landkreis stellt: Wie kommt der BDPK mit Sitz in Berlin ausgerechnet dazu, den wirtschaftsschwachen Kreis im Nordschwarzwald vor den Kadi zu zerren?

Tatsächlich hatte der BDPK noch ein Klinikum ganz anderer Größenordnung im Visier: in München – mit jährlich zig Millionen, die aus Steuergeldern zugeschossen werden. »Der politische Wirbel wäre immens gewesen«, erklärte BDPK-Hauptgeschäftsführer Thomas Bublitz gegenüber unserer Zeitung.

Statt in der Bajuwarenmetropole einen »Tsunami« (Originalton Bublitz) auszulösen, wandte man sich lieber einer kleineren Nummer zu, auf die man durch Internetrecherche und durch Presseveröffentlichungen aufmerksam geworden war – den Kreis Calw.

Dessen Kliniken genießen zwar einen guten Ruf, aber wirtschaftlich geraten sie immer mehr in Schräglage und machten deswegen lokale Schlagzeilen, die man nebst den im Internet frei zugänglichen Kreistagsprotokollen auch in der BDPK-Dependance in der Friedrichstraße 60 in der Hauptstadt aufmerksam las.

Sechs Millionen Euro Verlust häuften sich im vergangenen Jahr bei den beiden Kliniken an, das Eigenkapital war so gut wie aufgebraucht. Der Kreistag beschloss, mit Beihilfen in dieser Höhe einzuspringen. Ein scheinbares Fass ohne Boden: In diesem Jahr summieren sich die Verluste der beiden Kreiskliniken voraussichtlich auf 7,5 Millionen Euro. In dem Klinikverbund Südwest, zu dem die Calwer gehören, ist das keine Ausnahme: Die Holding schreibt dunkelrote Zahlen: Mehr als 30 Millionen Euro fehlen zur Kostendeckung.

Dass diese Finanzlöcher – wie im Calwer Fall – indirekt mit Steuermitteln gestopft werden, ist in der Branche weniger die Ausnahme als vielmehr die Regel. In den deutschen Krankenhäusern herrscht Alarmstimmung, jede zweite Klinik schreibt rote Zahlen.

Doch während kommunale Krankenhäuser im Zweifel mit öffentlichen Finanzspritzen rechnen können, gingen private, freie und kirchliche Krankenhäuser leer aus, kritisiert BDPK-Hauptgeschäftsführer Bublitz: »Das ist eine Krankenhausfinanzierung, die einfach nicht mehr stimmt.«
Landrat Helmut Riegger sieht den Bund und das Land in der Pflicht

Der Calwer Landrat Helmut Riegger (CDU) indes macht eine ganz andere Rechnung auf: Er sieht weniger seinen Landkreis als vielmehr den Bund und das Land in der Pflicht. Der Investitionsstau seiner beiden Kliniken summiert sich in der kommenden Dekade auf 57 Millionen Euro, die eigentlich das Land übernehmen müsste, aber dessen Fördertöpfe sind schnell aufgebraucht.

Der Löwenanteil bei den Verlusten fällt bei den Betriebskosten an, die in den vergangenen Jahren um durchschnittlich acht Prozent in die Höhe schossen, während die Erstattung der Behandlungskosten durch die Krankenkassen bei jährlichen Steigerungen von ein bis zwei Prozent mit diesen Teuerungsraten nicht Schritt hält. Riegger: »Dass diese Schere nicht mehr funktioniert, ist doch klar.«

Diese Kostenerstattung so zu regeln, dass auch kleine Kliniken wie im Kreis Calw zumindest eine schwarze Null schreiben können, sei Aufgabe der Bundespolitik. Aber allein aufgrund der Tatsache, dass bundesdeutsche Kliniken nach wie vor eine Sonderumlage für die Krankenkassen zahlen müssten, obgleich diese aus dem wirtschaftlichen Tief, in dem sie 2009 steckten, längst heraus sind und Milliardengewinne vor sich her schieben, macht sich Riegger keine Illusionen, dass aus Berlin große Hilfe zu erwarten wäre – im Gegenteil. Kleine Kliniken wie in Calw und Nagold seien politisch nicht mehr gewollt, meint er. Riegger: »Das sagt man nicht offen, man dreht die Schrauben langsam zu.«

Ob diese wirtschaftliche Misere der beiden Krankenhäuser nun hausgemacht oder aber politisch beabsichtigt ist – dem Bundsverband Deutscher Privatkliniken ist das einerlei. Er sieht in der Tatsache, dass der Landkreis für die Verluste der beiden Kliniken – gemäß Kreistagsbeschluss – bis 2016 geradestehen will, EU-Wettbewerbsrecht missachtet. Schon seit fast einem Jahrzehnt versuchte man mit einem Beihilfebeschwerdeverfahren bei der EU gegen diese allgemeine Praxis einzuschreiten, doch diese juristische Waffe blieb bei der Berliner Regierung wie auch bei der EU-Kommission stumpf.

Gegen den Kreis Calw zog man mit einer Unterlassungserklärung eine schärfere Klinge, drohte bei Zuwiderhandlung mit einem Zwangsgeld von 250 000 Euro. Der Landkreis beauftragte eine große Stuttgarter Anwaltskanzlei, in Tübingen eine sogenannte Schutzschrift zu hinterlegen, um einer möglichen einstweiligen Anordnung zuvorzukommen. Der BDPK beschloss zu klagen. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest.

Das Landgericht in Tübingen wird sich jetzt also durch das Dickicht der EU-Vorschriften einen Weg bahnen und klären müssen, ob die sogenannte Defizitfinanzierung öffentlicher Krankenhäuser in Deutschland rechtens ist und das Monti-Paket von 2005 sowie das Alumnia-Paket von 2012 diese Subventionspraxis legitimieren.
Der Prozess wird voraussichtlich mehrere Jahre dauern

Beide Prozessbeteiligten gehen davon aus, dass der jeweilige Kontrahent die ganze juristische Klaviatur bespielen wird: vom Landgericht übers Oberlandesgericht, den Bundesgerichtshof bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof. Das wird voraussichtlich Jahre dauern.

Sollte der BDPK letztlich obsiegen, prognostiziert man im Calwer Landratsamt ungeahnte Folgen für die Kliniklandschaft: »Das wäre ein Tsunami in Deutschland«, warnt Kreiskämmerer Albrecht Reusch.

BDPK-Hauptgeschäftsführer Bublitz dagegen versucht die politischen Wogen, die diese Prozessankündigung auslöste, zu glätten und den Ball flach zu halten. Hier werde weder ein Exempel statuiert noch ein Musterprozess geführt, betont er: »Wir wollen nur, dass alle öffentlichen Träger die Spielregeln einhalten. Wenn die das tun, ist alles gut.«

Landrat Riegger sucht derweil den Schulterschluss des Landkreistages, um den von ihm befürchteten »Flächenbrand« zu verhindern. Unterstützung kann er dabei gut gebrauchen – juristisch wie auch finanziell: Bei einem Streitwert von vier insgesamt Millionen Euro werden sich die Prozesskosten auf bis zu 200 000 Euro belaufen. Und darauf will der Kreischef angesichts der klammen Calwer Kassenlage nicht alleine sitzen bleiben.