Eine neue Vorschrift des Kultusministeriums könnte das Ende manch einer Arbeitsgemeinschaft an Schulen bedeuten. Die Folgen wären weitreichend und noch nicht absehbar. Foto: Stöß

Nicht nur in Calw formiert sich Widerstand gegen Anweisungen für das nächste Schuljahr aus dem Kultus-Ministerium.

Kreis Calw - In Baden-Württembergs Schullandschaft braut sich ein schweres Unwetter zusammen. Ein Sturm der Entrüstung weht heute schon durch die Flure vieler Schulen. Dabei sind Schüler, Eltern und Lehrer gleichermaßen schockiert über das, was im nächsten Jahr kommen beziehungsweise wegfallen soll. Vorausgesetzt, das ministerielle Schreiben vom 7. Juli 2020 wird tatsächlich so umgesetzt.

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Was geschieht? Mit wenigen Worten auf einen Nenner gebracht: Arbeitsgemeinschaften (AGs) wird der Garaus gemacht. Auch in den Gymnasien Calws und Altensteigs macht man sich große Sorgen über die Folgen dieser Vorschrift. Schon der Zeitpunkt des Schreibens ist pikant: Die Vorschrift trifft kurz vor dem Ferienbeginn ein. In dieser Zeit werden die Stellen für das kommende Jahr berechnet.

Kurzfristig haben sich einige Lehrkräfte, Eltern- und Schülervertreter der Calwer Gymnasien getroffen, um sich erst einmal ein Situations-Bild zu verschaffen. Im besagten Schreiben, für welches sich Ministerin Susanne Eisenmann verantwortlich zeichnet, wird angewiesen, dass "eine jahrgangsübergreifende Gruppenbildung grundsätzlich nicht möglich ist". Die Folge: Somit ist das Ende vieler Arbeitsgemeinschaften faktisch besiegelt. Gerade die musischen AGs (Musik, Theater), aber nicht nur diese, leben von jahrgangsübergreifenden Gruppen. Elternvertreterin Heike Walther sagte, wohl wissend, dass Lernen in AGs über Jahre hinweg erfolgt und immer neue, junge Schüler dazu kommen "die Jüngeren schauen zu den Größeren auf. Diese wiederum leben ihre Vorbildfunktion; jeder profitiert von jedem."

"Es geht nicht nur um Schule; es geht um unsere Gesellschaft"

Nun weiß man, dass in vielen Schulen (zum Beispiel mit Musikprofil oder Bläserklassen) diese regulären Lerngruppen wichtiger Bestandteil des pädagogischen und kulturellen Lebens sowie der Identität einer Schule sind. Hinzu kommt, dass eine AG-Arbeit ein mehrjähriger Prozess ist, der mühevoll aufgebaut worden ist. Eine Unterbrechung über ein Jahr wird das Ende bedeuten. Denn ein Zusammenbruch einer AG kann nicht so ohne weiteres aufgefangen werden. Ein Neustart bedeutet immer wieder ein mühevoller Aufbau. Man fängt wieder von vorne an.

Abgesehen davon, dass in Gymnasien mit Musikprofil die AG-Arbeit sogar Teil der Leistungsmessung ist, werden massive Folge- und Langzeitschäden in Bezug auf das musisch-kulturelle Leben sowie im sozialen Miteinander innerhalb der Schulgemeinschaft erwartet. Heike Walther: "Es geht nicht nur um Schule; es geht um unsere Gesellschaft. Wenn man so etwas macht, braucht man danach nicht zu jammern, wenn gesellschaftlich etwas aus dem Ruder läuft."

"AGs sind wichtiger Bestandteil der Schule"

Der stellvertretende Elternbeiratsvorsitzende des Maria von Linden Gymnasiums Calw, Thomas Ankenbrand machte deutlich, dass es nicht nur um Musik geht. "Arbeitsgemeinschaften wie Chor, Orchester, Theater aber auch Sport AGs wie Volleyball oder Judo sind ein wichtiger Bestandteil einer Schule, um Fähigkeiten und Persönlichkeiten der Schüler weiter zu entwickeln. Alle diese AGs werden betroffen sein. Der Wert der AG liegt auch darin, dass unsere Kinder und Jugendlichen ihre kreativen, sportlichen oder auch sprachlichen Neigungen ausleben, erlernen oder erproben können. So etwas fördert den Zusammenhalt unter den Schülern, stärkt das Selbstvertrauen des Einzelnen und der Gruppe."

Höhepunkte der AGs seien Aufführungen und Sportwettbewerbe, die die Identifikation mit der eigenen Schule stärken aber auch die Reputation der veranstaltenden Schule erhöhten. Zu all dem gibt Ankenbrand zu bedenken, dass außerunterrichtliche Veranstaltungen das Kennenlernen von Schüler und Lehrer auf einer anderen, nicht zwingend noten- und leistungsbezogenen Ebene ebnet und das gegenseitige Verständnis, Vertrauen und die Beziehung fördert. Und ganz nebenbei, so Ankenbrand: "Durch die neue Oberstufe mit dem fünf/drei/zwei Stundensystem der Kurse, die eh schon eine extreme Zeitbelastung der Oberstufenschüler hervorruft, wird die Situation für die Arbeitsgemeinschaften aber auch für den Jugendbereich der Vereine zusätzlich noch weiter verschärfen."

Eltern fordern eine Anpassung der Vorschrift

Die Forderung der Elternschaft lässt nichts an Deutlichkeit vermissen: "Das neue Oberstufensystem und nun auch noch diese neuen Anweisungen bezüglich der AGs erweisen sich in Teilbereichen als nicht praktikabel und müssen aus Sicht der Eltern zum Wohle der Kinder angepasst werden."

Vier Schülervertreter berichteten über ihre eigenen Erfahrungen in einer AG und die positiven Auswirkungen im Zusammenleben in der Schulgemeinschaft. Die Arbeit in AGs wird gerne gemacht und begleitet einen lebenslang. Man erlebe Stunden des gemeinschaftlichen Arbeitens, entwickelt sich gemeinsam weiter. Die daraus resultierenden Erfolge genießt man gemeinsam. Für die Schüler ist es nicht vorstellbar, dass das nun zu Ende sein soll. "Es wäre schlimm", so das Resümee der Elft- und Zwölftklässler.

Wer noch Hoffnung hat, dass die Regelung auch anders ausgelegt werden könne, dem wird durch einen weiteren Passus im Ministerschreiben die Hoffnung genommen. Dort steht unmissverständlich: ".....dies gilt auch für den fachpraktischen Unterricht in den Fächern Sport und Musik. Singen in geschlossenen Räumen ist ausgeschlossen, dies gilt auch für die Verwendung von Blasinstrumenten".

In Vereinen erlaubt, im Unterricht untersagt

Kopfschütteln, Unverständnis, Entsetzen, Wut. Viele Gefühle sind möglich, wenn dann noch bekannt wird, dass in anderen Bundesländern dieses rigorose Beenden von wertvoller Schularbeit explizit nicht angewendet wird. "Auch besteht eine Ungleichbehandlung von Vereinen und Schulen. Was in Vereinen mittlerweile wieder erlaubt ist, wird mit einem Federstrich den Schulen untersagt", so die Elternvertreter.

Ganz nebenbei: Im Bereich Musik wird Spitzenförderung (wie zum Beispiel bei der Christophorus-Kantorei Altensteig) zunichte gemacht. Stattdessen, so liest man aus dem Erlass heraus, solle sich die Schule mehr um die "Kernfächer" kümmern. Doch hier sind sich Schüler, Lehrer und Eltern einig: "Man kann nicht nur Mathe und Physik büffeln."

Demonstrationen erwartet

Heike Walther setzt großes Vertrauen in die Schüler und die Lehrkräfte. "Diese werden sehr wohl wissen, wie sie mit Hygienevorschriften umzugehen haben. Gerade in den Gymnasien handelt es sich ja nicht um kleine Kinder, sondern um verantwortungsvolle junge Erwachsene", so Walther. Die Lehrkräfte sehen es ebenso und können guten Gewissens zusagen, dass sie "gerne alle Anstrengungen unternehmen, um unsere Arbeit mit den Erfordernissen der Pandemie in Einklang zu bringen".

Die besagte Vorschrift ist noch frisch. Dort, wo man es schon registriert hat, ist man schockiert. Sei es auf Seiten der Eltern-, Schüler- oder Lehrerschaft. Doch wie es aussieht, wird eine Schockstarre erst gar nicht eintreten. Die Calwer Musikpädagogen der beiden Gymnasien haben auch schon von Altensteiger Kollegen erfahren, dass dort ebenso großes Unverständnis und Angst herrscht. Mittlerweile formiert sich im ganzen Land Widerstand. Protestnoten werden an die Ministerin formuliert. Nachbesserungen werden unmissverständlich gefordert. Es wird erwartet, dass demnächst landesweit Demonstrationen stattfinden. Man möchte, dass man in Baden-Württemberg ebenso eigenverantwortlich handeln darf, wie es in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Bayern oder Berlin selbstverständlich ist.