Vortrag: Demografiebeauftragter des Landes spricht an Volkshochschule / Chance und Herausforderung zugleich
An der Werbung im Vorfeld kann es nicht gelegen haben. Dennoch kamen nur acht Menschen in die Calwer Volkshochschule, um dem Demografiebeauftragten des Landes Baden Württemberg zuzuhören.
Calw. Die Vermutung liegt nahe, dass das, was Thaddäus Kunzmann in Calw zu sagen hatte, noch für sehr viele Menschen zu weit weg und nicht greifbar ist. Dennoch drehte sich das Thema um etwas, was unausweichlich auf alle zukommen wird, die älter werden dürfen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die eigene Zukunft. Das Fazit: Wer Entwicklungen ausblendet, kann auch nicht richtig handeln. Es wird Gewinner und Verlierer geben.
Für Sebastian Pluer, Leiter der Calwer Volkshochschule, war es dennoch ein gelungener Abend. Zum einen zeichnet sich nach dessen Worten ein qualitativ hochwertiger Vortrag nicht durch die Teilnehmerzahl aus. Zum Anderen schärfte Kunzmann den Blick auf konkrete Zahlen und Fingerzeige, Herausforderungen und Chancen.
Beispiel Breitbandausbau: Deutschland wird im Vergleich zu anderen Ländern "Entwicklungsland" genannt. Nach Kunzmann muss man in Gigabyte-Angaben denken, nicht in Megabyte. Wenn irgendwann Autos selbst fahren sollten oder die Familie zu Hause im Homeoffice arbeiten wollte, müssten zuerst die Datenleitungen auf dem neuesten Stand sein. Das heißt nach heutiger Technik, Glasfaserkabel zu haben; "bei uns sind es getunte Kupferkabel". Wenn man in 30 Jahren fit sein wolle für die neue Welt, müsse man heute starten.
Der Gechinger Bürgermeister Jens Häußler war einer der interessierten Zuhörer. Er vernahm, dass nur diejenigen Gemeinden eine Zukunft haben werden, die dafür sorgen, dass junge Familien die Gemeinde attraktiv finden – dass die Infrastruktur stimmt. Dazu gehören Schulen, Kinderbetreuung, bezahlbare Bildungsangebote, die Breitbandversorgung, eine ärztliche Versorgung und attraktive Ortskerne. Andernfalls setzt sich eine Abwärtsspirale in Gang, wie sie in östlichen Gemeinden und Landstrichen zu erkennen ist. Gemeinden, die mutig sind und gestalten, würden wachsen. Die anderen würden es schwer haben. Wer wandert dort ab? Es seien die gebildeten Menschen. Mobilitätsangebote müssen laut Kunzmann bereitgehalten werden. Gemeinden, die an S-Bahn oder Zugstrecken liegen, hätten einen riesigen Vorteil. Dazu Kunzmann kopfschüttelnd: "Es dürfte eigentlich keine Diskussion geben, ob eine Hesse-Bahn kommt".
Bewusstsein schaffen
Auch Calw werde eine exorbitante Verschiebung in den Altersgruppen von Jüngeren zu den Älteren erleben; es werde heute nicht zielgerichtet gegengesteuert. Auch für Calw gelte die Notwendigkeit, die Stadt für junge Familien attraktiv zu machen sowie gleichzeitig für ältere Mitbürger attraktiv zu bleiben. Auch junge Menschen sollten an der Gestaltung der Zukunft mitwirken.
Vor zehn Monaten hatte Kunzmann sein Amt angetreten. Für ihn ist es Chance und Herausforderung zugleich, dass im Jahr 2040 die Gesellschaft eine völlig andere Altersstruktur in Deutschland haben wird. Kunzmann ist gegenüber der Landesregierung nicht weisungsgebunden. Deshalb ist es ihm möglich, bei allen Gesprächsrunden immer wieder "die Finger in die Wunden zu legen". Vielleicht auch etwas zu sagen, was nicht jedem gefällt.
Er verdeutlicht das gemeinsame Miteinander von Jung und Alt anhand des Beispiels eines "barrierefreien Zugangs zu einem Zug". Dieser ist sowohl für eine betagte Bürgerin als auch für die Mutter mit Kinderwagen eine Erleichterung. Etwas Humor steckt dann in der Frage "Warum passt kein Zug zum Bahnsteig?".
Bewusst möchte Kunzmann nicht nur über den zukünftigen Pflegenotstand sprechen. Vielmehr über Modelle, wie Menschen wieder in einer Nachbarschaft zusammen leben und sich helfen können. Denn eines sei klar: In 20 Jahren werde es "die Polin, die mich dann pflegen soll, nicht mehr geben". "Denn dann benötigen die Polen ihre Leute selbst".
Bewusstsein möchte Kunzmann schaffen. Öffentlichkeit herstellen und junge wie ältere Menschen zum Nachdenken und anschließenden Handeln bewegen. Und er schließt hoffnungsvoll: "Wenn wir heute beginnen und unsere Aktionen auf das ausrichten, was uns 2030 oder 2040 bevorstehen wird, dann bin ich guten Mutes".