Frank Wiehe (von links), Benjamin Eppel, Martin Oberhoff und Adrian Hettwer sind zuversichtlich, dass das Stipendiatenprogramm Früchte trägt. Foto: Rousek Foto: Schwarzwälder Bote

Medizin: Unterstützung soll junge Ärzte an den Landkreis Calw binden / Überalterung in Praxen

In den kommenden Jahren werden Tausende Hausärzte in den Ruhestand gehen. Gerade im ländlichen Raum finden sich dann oft nur schwer Nachfolger für die Praxen. Der Landkreis Calw geht diese Herausforderung ganz pragmatisch an – indem er angehende Ärzte mit einem Stipendium in die Region lockt.

Kreis Calw. Benjamin Eppel nimmt freudig eine kleine Geschenktüte des Ersten Landesbeamten Frank Wiehe entgegen. Der 30-Jährige hat sein Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen. Der Grund für seine Auszeichnung ist aber ein anderer: Er gehörte zu den ersten angehenden Medizinern, die ein Hausarztstipendium des Landkreises Calw erhalten haben. "Er hat Historisches geleistet", witzelt Wiehe.

Aber Spaß beiseite. Die Ausgangssituation des Projekts ist nämlich durchaus ernst. Das Durchschnittsalter der Hausärzte, gerade im ländlichen Raum, ist hoch. In den kommenden Jahren werden Tausende davon in den Ruhestand gehen. Wegen Fachkräftemangel und Landflucht schauen gerade Bürger im ländlichen Raum vielfach in die Röhre, was die Nachbesetzung der Praxen anbelangt. "Man darf das nicht dramatisieren, aber es ist durchaus eine Herausforderung", meint Wiehe dazu.

Zwei Optionen

Nun blieben zwei Optionen: "Den Mond anheulen und danach rufen, dass es die große Politik richtet", zählt der Erste Landesbeamte auf. Oder eben handeln. Der Landkreis Calw hatte sich bereits 2015 für Zweiteres entschieden und einen Masterplan zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung im Landkreis Calw verabschiedet. Ein Bestandteil davon ist jenes Stipendienprogramm, für das sich einst auch Eppel bewarb. Die Stipendiaten, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen (siehe Infokasten), erhalten im Falle einer Zusage monatlich 400 Euro für maximal sechs Jahre. Im Gegenzug verpflichten sie sich dazu, nach ihrer ärztlichen Ausbildung für mindestens vier Jahre im Kreis als Arzt tätig zu sein oder dort ihren Facharzt zu machen.

 "Wir wollen ausdrücklich diejenigen ansprechen, die von hier kommen", erklärt Wiehe dazu. Man müsse realistisch sein – Leute, die keinen Bezug zum Landkreis haben, kämen auch nicht wegen des Geldes hierher. Umso erfolgreicher der Anreiz für die angehenden Ärzte der Region. Elf Stipendiaten gibt es derzeit. "Tolle junge Menschen, denen ich jederzeit mein Leben anvertrauen würde", schwärmt Wiehe.

Gut aufstellen

Martin Oberhoff, Chefarzt der Inneren Medizin mit Schwerpunkt Kardiologie an den Kliniken Calw steht in engem Kontakt zu den Stipendiaten, kennt auch Eppel gut aus dessen Zeit als Assistenzarzt. "Normalerweise ist es ja nicht Aufgabe einer Klinik, sich um Hausärzte zu kümmern", räumt er ein. Da er jedoch in Bad Kissingen (Bayern), wo er vor seiner Zeit in Calw tätig war, bereits die Erfahrung machte, dass die Hausärzte schwinden, war er für das Thema sensibilisiert. "Und im Endeffekt entsteht dann ja mehr Druck auf die Krankenhäuser", erläutert er. Stichwort Notaufnahme, in die sich immer mehr Menschen begeben, nur weil sie keinen Hausarzt mehr haben oder keinen Termin bekommen. "Ich bin dankbar, dass hier das Problem erkannt wurde." Durch die Ausbildung der jungen Leute gelinge es, sich auch für die Zukunft – unter anderem im Gesundheitscampus – gut aufzustellen.

Seit drei Monaten hat Oberhoff Eppel "unter seinen Fittichen". Der 30-Jährige sieht das Stipendium als Chance – nicht nur durch die finanzielle Unterstützung, die während des Studiums Freiräume schaffe, sondern auch wegen des regelmäßigen Austauschs mit anderen Stipendiaten und Ärzten, den sogenannten Vernetzungstreffen. "Ich habe mich bewusst dafür entschieden, hier zu bleiben", betont Eppel. Er sei im Haus geboren, in Bad Liebenzell aufgewachsen und entsprechend in der Region verwurzelt. Für die Zukunft könne er sich gut vorstellen, sich hier niederzulassen. Zumal auch sein Bruder als niedergelassener Allgemeinarzt eine Praxis im Kreis hat. "Ich würde es wieder machen", resümiert der Absolvent. "Und würde es jedem empfehlen."

Adrian Hettwer, stellvertretender Vorsitzender der Kreisärzteschaft Calw, kann dem nur beipflichten. Auch er steht den Stipendiaten mit Rat und Tat zu Seite, ist bei den Vernetzungstreffen, die auch der Klinikverbund Südwest unterstützt, mit von der Partie. Er bezeichnet Eppel als ein "Paradebeispiel": "Es ist immer unser Ziel gewesen, dass Studenten wieder hierher zurückfinden." Gerade in Zeiten, in denen es große Probleme gebe, Praxen nachzubesetzen – müsse man dem Nachwuchs "den roten Teppich ausrollen", sagt Hettwer. Nur so könne man langfristig eine gute Versorgung gewährleisten.

Gewiss – die ganze Sache koste auch eine Menge Geld, dessen sind sich alle Beteiligten bewusst, meint Wiehe. Aber was sei schon diese Summe "gegenüber einer zerbrochenen Hausarztstruktur"?, fragt er in die Runde. Oberhoff pflichtet ihm bei: In den kommenden Jahren dürfte die Hausarztversorgung "kriegsentscheidend" sein, was die Zuzüge in den Landkreis angeht. Diese Schlacht möchte Calw gewinnen.