Rainer Pöppinghege informierte in der Calwer Volkshochschule über die Hintergründe von Straßennamen. Foto: Bausch Foto: Schwarzwälder Bote

Forschung: Hochschullehrer Rainer Poppinghege spricht über die Bedeutung von Straßennamen

Wer geglaubt hatte, die in Calw immer wieder geführten Diskussionen über NS-belastete Straßennamen sei mit einem Mehrheitsbeschluss des Calwer Stadtrats vom April 2017 beendet, hat sich gewaltig getäuscht.

Calw. Damals entschied das Ratsgremium mit 17 zu elf Stimmen, die politisch vorbelasteten Straßennamen Hindenburg-, Otto Göhner-, Heinz Schnaufer-, und Auguste Supper- Straße zu belassen und sie lediglich mit einem er- klärenden Text zu versehen. Doch der inzwischen verstorbene langjährige Redakteur des Schwarzwälder Boten, Hans-Jürgen Hölle, konnte für die unterlegenen Calwer Stadträte damals doch auch Positives sehen, wenn er schrieb: "Trotzdem kann sich die in der Gemeinderatssitzung unterlegene Minderheit, die sich in nachvollziehbarer Weise fast ausschließlich an Auguste Supper gerieben hat, irgendwie als Sieger fühlen, wenn die Diskussion über die Calwer NS-Vergangenheit differenziert weitergeführt wird. In Volkshochschulveranstaltungen. Oder aber bei den kommunalpolitischen Diskussionen selbst..."

So kam es jetzt auch. Die Worte veranlassten Volkshochschul-(VHS-)leiter Sebastian Plüer den promovierten Geschichtsprofessor und Straßennamenexperten Rainer Pöppinghege einzuladen zu dem Thema "Nichts Wichtigeres zu tun? Straßennamen in der öffentlichen Debatte".

Immer wieder heftige Diskussionen

"Ich sage zu Calw und der Situation hier nichts", stellte der ausgewiesene Fachmann und Buchautor in den Raum. Und doch gab er mit seinen vielseitigen Ausführungen hilfreiche und horizonterweiternde Impulse zum Thema NS-belastete Straßennamen. Es zeigte sich, dass auch anderswo in Deutschland bis heute in vielen Orten heftige Diskussionen zu diesem Thema geführt werden, mit oft ganz unterschiedlichen Ergebnissen.

Änderung der Wertmaßstäbe

Pöppinghege widersprach der gängigen Auffassung, Straßennamen zeigten an, was als erinnerungswürdig eingestuft werde. "Wir haben auch andere Medien und brauchen die Straßennamen nicht zur Geschichtsvermittlung", sagte der Experte. Die Wertmaßstäbe von 1955 seien nicht dieselben wie die von 2018, hob er hervor. Straßennamen seien oft aus dem jeweiligen Zeitgeist heraus entstanden. So seien zum Beispiel die Widerstandskämpfer im Dritten Reich von vielen bis in die 1960er Jahre hinein als Vaterlandsverräter angesehen worden. Und in der Zeit des Nationalsozialismus seien jüdische Persönlichkeiten bei Straßennamen verschwunden und propagandistisch durch Nazigrößen ersetzt wurden. "Straßennamen versehen heute eine Doppelfunktion aus Orientierung und ehrender Erinnerung", stellte der Referent heraus. Jeder Generation müsse es überlassen bleiben, ihre eigenen Wertmaßstäbe zu finden.

Der Historiker konnte auch mit interessanten Zahlen aufwarten. 90 Prozent aller deutschen Straßennamen, die nach Personen benannt sind, sind männlich. Die Dichter- fürsten Friedrich Schiller (2416 mal) und Johann Wolfgang von Goethe (2332 mal) liegen bei der Häufigkeit ganz vorne. Bei den Frauen sind es die Bildhauerin Käthe Kollwitz (379 mal) und die Revolutionärin Rosa Luxemburg (282 mal).

Große Zustimmung fand die Aussage Pöppingheges, dass Straßennamen nicht Spiegel der Geschichte, son- dern "Spiegel von Geschichtsbildern" seien. Auch die Calwer Historikerin Gisela Volz sieht die Vergabe von Straßennamen als Zeitgeist der Epoche.

Stadträte beteiligen sich an Diskussion

Stadträtin Irmhild Mannsfeld stellte heraus, dass wohl die meisten Calwer Bürger gar nicht wüssten, wer die umstrittene Heimatdichterin Auguste Supper wirklich war. Stadtrat Rainer Hofmann, der ebenfalls an der VHS-Veranstaltung teilnahm, kann sich gut vorstellen, dass das Thema der umstrittenen Straßennamen nach einiger Zeit wieder auf die Tagesordnung des 30köpfigen Calwer Ratsgremiums kommen könnte.