Amira Gezow berichtet, wie ihre Familie nach Frankreich deportiert wird
Zum Start des neuen Schuljahrs ist es gelungen, die Beiträge des Digitalarchivs noch übersichtlicher zu gestalten, außerdem gibt es eine Vernetzung mit crossmedialen Elementen. Ein variabler Umgang mit dem Material ist gewährleistet. "Gebe ich zum Beispiel das Wort ›Flucht‹ ein, können Themen personenübergreifend erschlossen werden", erklärt Angelika Holzäpfel, die sich der Verschlagwortung auf der Homepage und der Transkription der Videobeiträge angenommen hat. Auch zu Begriffen wie "Ghetto" oder "Auschwitz" werden alle erfassten Filmsequenzen angezeigt, in denen die Zeitzeugen sich dazu geäußert haben.
Mordechai Papirblat und mehr als weitere 20 Holocaust-Überlebende kommen in den Einzelbeiträgen ausführlich zu Wort. "Wir hatten viele Stunden Filmmaterial für einen 20-minütigen Beitrag und haben uns gefragt, was wir mit dem Rest machen sollen. So hat alles angefangen", berichtet Timo Roller, Geschäftsführer von Morija, der für "Zedakah" Interviews mit den Überlebenden in Israel geführt hat.
Die digitalen Videoberichte vermitteln weit mehr als Texte. Die Lerninhalte der Plattform bekommen ein Gesicht, der Nutzer der Homepage bekommt durch Mimik, Gestik und Stimme des Zeitzeugen einen ganzheitlichen Eindruck, fast so, als säße man sich gegenüber.
Amira Gezow beispielsweise berichtet, wie ihre Familie nach Frankreich deportiert wird, wie ihr Leben in den Lagern Gurs und Rivesaltes abläuft und wie sie 1942 mithilfe der Schwestern des Deutschen Roten Kreuzes in die Schweiz gelangt, während beide Eltern in Auschwitz den Tod finden.
Für die Überlebenden ist das Erzählen vor der Kamera ein Akt der Bewältigung
Der Zeitzeuge Ben Lesser ist elf Jahre alt, als die Deutschen in Krakau einmarschieren. Er muss die Gräueltaten der deutschen Soldaten mit ansehen. In der Videoaufnahme berichtet er, wie er es später gemeinsam mit einem Teil der Familie mit viel Klugheit und Geschick schafft, sich und die Angehörigen vor der todbringenden Gaskammer zu retten.
Für die Überlebenden ist das Erzählen vor der Kamera ein Akt der Bewältigung und gleichzeitig die Bitte, dass sich derlei Geschehnisse nicht wiederholen dürfen. "Uns war es außerdem wichtig, das Leben der Betroffenen auch nach dem Holocaust zu würdigen. Diese Menschen sind nicht nur Opfer, sondern jeder ist selbst Subjekt seines Lebens", betont der Schuldekan. Der Nutzer der Homepage wiederum lerne nicht nur geschichtliche Fakten, sondern setze sich mit seinen eigenen Gefühlen auseinander. Er werde dazu gebracht, sich zu fragen, welche Konsequenzen man aus dem Gesehenen und Geschehenen für das Leben heute ziehen könne. "Das ist ein Gewinn für beide Seiten", sagt Trautwein.
Der Calwer Schuldekan wird als einer der Hauptreferenten das Projekt beim Kongress "Antisemitismus heute" vom 20. bis 22. September in Schwäbisch Gmünd (Ostalbkreis) vorstellen, nachdem es bereits bei einem Fachtag des Landes Baden-Württemberg in der Stuttgarter Synagoge im vergangenen Herbst mit Innenminister Thomas Strobl (CDU) und dem Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume, großen Anklang gefunden hatte – weil es schlicht, aber äußerst wirkungsvoll auf die Kraft von Fakten und Quellen setzt.
Schule und Studium
Das digitale Archiv "Papierblatt" hält die Berichte von Zeitzeugen des Holocaust fest: auf Deutsch, frei zugänglich im Internet verfügbar und mit Smartphone und Tablet problemlos abrufbar. Unterrichtsentwürfe und eine umfangreiche Suchfunktion, die direkt die entsprechenden Videosequenzen als Ergebnis anbietet, sind wichtige Elemente für die Verwendung in Schule und Studium im Zeitalter der Digitalisierung. Corona
Während der momentan noch grassierenden Corona-Pandemie hat sich die Plattform bereits bewährt. Ein Pfarrer und Studienrat auf der Schwäbischen Alb meldete: "Heute lernt jeder meiner Zehntklässler eine Person aus dem ›Papierblatt‹-Archiv kennen und schreibt eine halbseitige Zusammenfassung seiner Erfahrungen. Im Online-Unterricht der Corona-Krise ist www.papierblatt.de eine tolle Fundgrube".
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