Lidl hat eine Klage gegen die Stadt Calw eingereicht. (Symbolfoto) Foto: Symbolfoto: Kalaene

"In der Realität tatsächlich angreifbar". Konkreter Fall betrifft Obere Stuttgarter Straße.

Calw/Egenhausen - So ein bisschen sah es nach der Bereinigung einer verwaltungsinternen Altlast aus, über die der Planungsausschuss des Regionalverbands Nordschwarzwald in seiner jüngsten Sitzung zu entscheiden hatte. Es ging um eine Stellungnahme zum Calwer Bebauungsplan "Obere Stuttgarter Straße".

Der Hintergrund: Im Jahr 2013 eröffnete in Calw an der Stuttgarter Straße ein Lidl-Markt mit 800 Quadratmeter Verkaufsfläche. Bereits ein Jahr später stellte die Firma Lidl einen Bauantrag bei der Stadt Calw zur Erweiterung dieses Discounter-Marktes von 800 auf exakt 1007,27 Quadratmeter Verkaufsfläche. Im Zuge dessen wurden damals auch der Regionalverband und das Regierungspräsidium Karlsruhe angehört. Da das geplante Vorhaben damals eine Erweiterung in eine sogenannte "Großflächigkeit" darstellte, wäre aber eine eigene Sondergebietsfestsetzung erforderlich gewesen.

Der maßgebliche Calwer Bebauungsplan "Obere Stuttgarter Straße, 1. Änderung" ließ dies jedoch aufgrund der Festsetzung als reines Gewerbegebiet nicht zu. Da es sich aus damaliger Sicht zudem "gutachterlich" um einen "nicht-integrierten Standort" handelte, lehnten letztlich sowohl Regierungspräsidium als auch Regionalverband diese Erweiterung damals ab. Das Verfahren wurde entsprechend aus Verwaltungssicht nicht weitergeführt. Die Firma Lidl jedoch reichte daraufhin Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe ein.

Lidl zwifelt ganzen Bebauungsplan an

Pikant, wie jetzt während der Sitzung des Planungsausschusses des Regionalverbands offenbar wurde: Lidl zweifelte in seiner Klageschrift die grundsätzliche Wirksamkeit des Bebauungsplans an und stellte dessen Gültigkeit in Frage – mit reellen Chancen auf Erfolg.

Denn eine Nachfrage von Regionalrat Joachim Wildenmann (Bündnis 90/Die Grünen) sollte zeigen, dass dieser Klagegrund nicht ganz ohne Hintergrund gewesen sein könnte. Wildenmann wollte wissen, worauf sich denn die Klage von Lidl damals konkret bezog: "Wo greifen die genau an?" – Die Antwort übernahm Verbandsdirektor Matthias Proske: "In solchen Fällen" würden Anwälte zum Beispiel von Handelsunternehmen wie Lidl "formale Mängel" in den Bebauungsplänen suchen. Die Erfahrung zeige dabei, so Proske weiter, "das sehr viele Bebauungspläne", wie sie die Kommunen regelmäßig zur Bauleitplanung aufsetzten, in der Realität "tatsächlich angreifbar" seien, weil sie objektive Fehler in der Ausgestaltung aufwiesen.

Das habe offenbar auch seinerzeit für den Calwer Bebauungsplan "Obere Stuttgarter Straße, 1. Änderung" gegolten. Weshalb die Stadt Calw unter ihrem damaligen Oberbürgermeister "vor dem Hintergrund der unsicheren Rechtslage" im weiteren Verlauf des Verfahrens einen Vergleich mit der Lidl Vertriebs GmbH & Co. KG abgeschlossen habe. Darin verpflichtete sich die Firma Lidl, den ursprünglichen Bauantrag auf nur noch 950 Quadratmeter zu reduzieren, im Gegenzug genehmigte die Stadt Calw den geänderten Bauantrag. Diese Genehmigung sei mittlerweile erteilt, so die Sitzungsunterlage im Planungsausschuss des Regionalverbands. Und auch die Erweiterung der Ladenfläche auf die neue Größe sei längst realisiert.

Bebauungsplan soll Realität angepasst werden

Allerdings: In unmittelbarer Nachbarschaft zum Calwer Lidl-Markt besteht ebenfalls an der Stuttgarter Straße auch ein Aldi-Markt – und der habe aktuell "nur" eine Verkaufsfläche von 901 Quadratmetern. Beide Märkte hätten damit, so die weiteren Erläuterungen in der Sitzungsvorlage, "die Großflächigkeit bereits überschritten" und erforderten nun doch auch eine formale Sondergebietsfestsetzung. Da zudem die Gefahr bestehe, dass der Bebauungsplan "Obere Stuttgarter Straße, 1. Änderung" durch diese Diskrepanz zwischen ursprünglicher Bebauungsplanung und tatsächlicher baulicher Situation "rechtlich nicht haltbar sein könnte" und sich damit "raumordnerische Fehlentwicklungen einstellen könnten", soll nun der Bebauungsplan nachträglich geändert, beziehungsweise der inzwischen geschaffenen Realität angepasst werden.

Was bedeutet: Mit der zweiten Änderung des genannten Bebauungsplans würden nun zwei "Sondergebiete" definiert, festgesetzt und ausgewiesen, in denen jeweils maximal 950 Quadratmeter Verkaufsfläche "für den Betriebstyp großflächiger Lebensmitteldiscounter mit den nahversorgungsrelevanten Sortimenten Nahrungs- und Genussmittel" zulässig sein würden.

In einem Gewerbegebiet – wie es hier eigentlich zugrunde liegt – seien nämlich, so die Sitzungsvorlage wörtlich, "Einzelhandelsbetriebe ansonsten unzulässig".

Maximale Fläche

Aus regionalplanerischer Sicht könne –- und müsse – der Änderung aus folgenden Gründen zugestimmt werden: Zum einen sei der bestehende Bebauungsplan der Stadt Calw im Moment "rechtlich angreifbar". Sollte er für unwirksam erklärt werden, würden alle Bauvorhaben nach dem Baugesetz (Paragraf 34) beurteilt werden müssen. Danach wären im Gebiet noch  "weit größere Verkaufsflächen zulässig", da ja bereits großflächige Einzelhandelsbetriebe vorhanden seien. Dem wolle man durch die nun zu erfolgende Änderung entgegentreten und so die maximalen Verkaufsflächen bei jeweils 950 Quadratmetern "deckeln".

Außerdem sei für die Firma Lidl bereits auf Basis des geschlossenen Vergleichs eine Genehmigung für 950 Quadratmeter Verkaufsfläche erteilt worden. Eine bestandsorientierte Erweiterungsmöglichkeit für den benachbarten Aldi-Markt auf ebenfalls 950 Quadratmeter Verkaufsfläche sei für den Regionalverband daher "nachvollziehbar". Zudem sei mittlerweile das Zentrenkonzept der Stadt Calw überarbeitet worden. Darin sei der Standort Stuttgarter Straße als "Nahversorgungsstandort II" definiert. Die Lage würde dabei als teilintegriert (zwar Gewerbegebietsrandlage, jedoch fußläufiges Einzugsgebiet mit Wohngebietslagen) beschrieben.

Kluger Vorschlag der Stadt Calw

Letztlich liege für den genannten Bereich mittlerweile auch eine Sensitivitätsanalyse vor, die bei einer maximalen Gesamtverkaufsfläche von 1900 Quadratmetern (950 Lidl plus 950 Aldi) im Gebiet "von der Einhaltung raumordnerischer Vorgaben (inklusive Integrationsgebot)" ausgehe. Diese Ausführungen seien aus Sicht des Regionalverbands plausibel.

Insgesamt, so Verbandsdirektor Proske abschließend, ließe mit dem so skizzierten Vorgehen – zumindest für Calw – das bisherige planungsmäßige "Dilemma" auflösen. Dem konnte in seinem Wortbeitrag Regionalrat Rainer Prewo (SPD) zustimmen, der in dem Vorgehen ebenfalls "einen klugen Vorschlag der Stadt Calw" sah.

Entsprechend folgte auch der Planungsausschuss des Regionalverbands insgesamt dem Antrag seiner Geschäftsstelle und genehmigte die Stellungnahme des Regionalverbands zur Planung der Stadt Calw einstimmig.