Bildung: Früherer Leiter des Moskauer ARD-Studios, Udo Lielischkies, berichtet von seinen Erfahrungen

Das Publikum im Saal kennt Udo Lielischkies seit vielen Jahren. Bescheiden und zurückhaltend präsentiert sich der frühere Leiter des Moskauer ARD-Studios in der Volkshochschule Calw.

Calw. "Wie groß ist Calw eigentlich? Erzählen Sie mir ein bisschen." Es ist wohl die Neugier des Journalisten, die hier an den Tag kommt. Dann gesteht Lielischkies auch noch, dass der Auftritt in Calw erst die dritte Präsentation seines Buches ist. Die Sympathie des Publikums hat der 65-Jährige bereits nach wenigen Sätzen gewonnen.

"Im Schatten des Kreml", heißt das Buch – Untertitel "Unterwegs in Putins Russland". Der Saal ist voll besetzt, eilig müssen zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden. Russland interessiert, besonders in Deutschland übt das Riesenreich auf viele Menschen eine erhebliche und mitunter schwer einzuordnende Faszination aus – aber es irritiert und ängstigt auch viele.

Doch bevor er in die hohe Politik einsteigt, schildert Lielischkies wie er im Spätsommer 1999 an seinem neuen Arbeitsplatz eintraf. Konnten Sie Russisch, will das Publikum wissen? "Mitnichten", bekennt Lielischkies. "Wie ein Greenhorn, mit hohem Puls", sei er da nach Moskau gekommen. Dabei waren es spannende Zeiten: Putin, der Ex-Geheimdienstler, der perfekt Deutsch spricht, war gerade an die Macht gekommen, in Tschetschenien herrschte Krieg.

Es waren düstere Zeiten in Russland. "Es war die Zeit, als in Moskau Wohnhäuser explodierten", erzählt Lielischkies, mitunter habe es 100 Tote gegeben, immer wieder kursierten Spekulationen und Gerüchte, Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes steckten dahinter. Wirklich geklärt sei das bis heute nicht. "Das war mein Start", so Lielischkies. Der Tschetschenien-Krieg sei von unglaublicher Gewalt gewesen, "es gab Folter auf beiden Seiten".

Dann berichtet er von den Abgründen des Krieges, wie russische Offiziere eigene Soldaten entführen – um diese später gegen Tausende Dollar Lösegeld wieder freizulassen. Eine regelrechte "Entführungs- und Geiselindustrie" habe es gegeben. "Das ist grenzenloser Zynismus, dass Offiziere ihre eigenen Soldaten verhökern."

Doch dann berichtet der pensionierte Journalist ("Bin jetzt Teil der Rentnerband") von seinem Privatleben, vom Treffen mit seinem russischen Schwiegervater, dem Besuch in der Datscha und wie man dabei auf den Zweiten Weltkrieg und das Verhältnis von Deutschen und Russen gekommen sei. "Das waren doch die Faschisten, nicht das deutsche Volk", habe der Schwiegervater gesagt. Ganz nebenbei habe das Russland-Greenhorn damals etwas Wichtiges gelernt, nämlich dass man nur trinken darf, wenn man zuvor einen Toast ausspricht. "Wer ohne Toast trinkt, ist ein Alkoholiker."

"Die Datscha, das ist Fixpunkt der russischen Großfamilie – und nur der Großfamilie wird bedingungslos vertraut." Der Nachteil: Dies sei eben auch in Politik und Wirtschaft so, sagt Lielischkies. "Loyalität schlägt Qualifikation", was nicht immer gut ist für Unternehmen und das politische System. "Loyalität ist auch für Putin das entscheidende Kriterium", was einen Nährboden für Korruption schaffe.

Mangel an Investitionen

Das Verheerende auch im heutigen Russland: "Es gibt keinen Rechtsstaat". Das führe unter anderem zu einem Mangel an ausländischen Investitionen, aber auch die russischen Oligarchen und Multi-Milliardäre schafften ihre Gelder eben lieber ins Ausland. Auch dies sei Teil des düsteren Bildes: "Etwa die Hälfte des russischen Finanzvermögens liegt auf europäischen Banken."

Und Putin, was macht Putin, will man im Publikum wissen? Putin sei ja in den Augen vieler "der Dompteur mit der Peitsche", meint Lielischkies. Doch auch Putins Macht sei begrenzt, die Macht der Oligarchen ungebrochen. Putin könne sich nur so lange als Dompteur halten, "wie er die Futterintervalle seiner Raubtiere einhält". Zudem sei Putins Stern am Sinken, zumindest was die Umfragewerte angehe. Noch vor Jahren, auf der Höhe der Krimkrise, lagen die Zustimmungswerte bei sagenhaften 85 Prozent – jetzt bei etwa 35 Prozent. Stehen Russland unruhige Zeiten bevor?