Im Tübinger Landgericht ist ein Spruch von Ludwig Uhland zu lesen: "Die Gnade fließet aus vom Throne. Das Recht ist ein gemeines Gut." (Symbolfoto) Foto: dpa

Zwei Jahre auf Bewährung für Handwerker. Töchterchen bleibt lebenslang behindert.

Kreis Calw/Tübingen - Am Morgen des Urteils kam die Wende. Der Handwerker aus dem Kreis Calw, der sein neun Wochen altes Töchterchen so geschüttelt haben soll, dass es schwerste Hirnschäden davontrug, übernahm die Verantwortung. Das Urteil des Tübinger Landgerichts erspart ihm das Gefängnis: zwei Jahre auf Bewährung.

Nach dem entscheidenden Gutachten wäre einerseits sogar ein Freispruch mangels Beweisen – und ein anderer Schuldiger - denkbar gewesen.

Der Radiologie-Professor hatte in dem tragischen Fall ein theoretisches Zeitfenster von 46 Stunden offengelassen. Es war aber auch kein Zweifel geblieben, dass die lebensbedrohlichen Hirnverletzungen des Säuglings auf ein Schütteltrauma zurückzuführen waren, das eigentlich nur der Vater in jener Februarnacht vorigen Jahres verursacht haben konnte. Und dass dessen zweites Töchterchen wohl zeitlebens behindert bleiben werde. Die schweren Folgen und die schwerwiegenden Indizien hätten andererseits auch ein weit härteres Urteil gerechtfertigt erscheinen lassen.

Der Mann weinte still. Seine Angehörigen saßen wie versteinert auf den Zuschauerstühlen. Die von seinem Anwalt Christoph Geprägs verlesene Erklärung hatte er im Beisein seiner Frau tags zuvor aufgesetzt. Darin hatte er eingeräumt, dass wohl niemand anderes als er für das Geschehen verantwortlich sein könne, für dessen genauen Hergang ihm aber jede Erinnerung fehle. "Für mich ist das immer noch nicht vorstellbar." Dieses Verdrängen eines für den Angeklagten selber so schockhaften wie schuldhaften Ereignisses nahm ihm die Jugendstrafkammer unter dem Vorsitzenden Richter Ulrich Polachowski ab.

Er gebe seiner Tochter und seiner Familie das "lebenslange Versprechen", beteuerte der Angeklagte, seine Schuld nach allen Kräften wiedergutmachen zu wollen. Es bleibe ihm nur die Hoffnung auf Verzeihung für "diese dunklen Sekunden".

"Kurzschluss oder Überforderung nach anstrengendem Tag"

Staatsanwalt Martin Allmendinger hatte in seinem wohltuend sachlichen und sensiblen Plädoyer den Vorwurf bestätigt gesehen, dass der Mann in einer Situation von "Kurzschluss oder Überforderung nach einem anstrengenden Tag" die neun Wochen alte Marie mindestens fünf Sekunden lang und mindestens zehnmal so heftig geschüttelt hatte, dass das Leben des Mädchens Stunden später in der Tübinger Uniklinik nur durch die Notoperation einer Schädelöffnung gerettet werden konnte.

Die schweren Hirnschädigungen habe der Angeklagte zwar nicht gewollt, aber billigend in Kauf genommen. Am Vorwurf der Misshandlung Schutzbefohlener – im Sinne eines rohen und absichtlichen Zufügens von Schmerzen oder Qualen – wollte er auch angesichts der tadellosen Fürsorge für die Tochter vor und nach der Tat nicht festhalten. Strafmildernd sei auch das schlussendliche Geständnis zu werten. Angesichts der Heftigkeit und der schlimmen Folgen der Tat plädierte er auf eine Haftstrafe von zweieinhalb Jahren.

"Anders kann es nicht gewesen sein", räumte der Verteidiger in seinem Plädoyer ein, "aber mein Mandant kann nicht sagen, was war". Der Zwiespalt zwischen dem ungetrübten Familienleben vor und nach der Tat und dem – nach den Gutachten nicht mehr zweifelhaften – Gewaltgeschehen, "passt gar nicht". Er bat um eine Bewährungsstrafe für den Handwerker, der zugesagt habe, "das dunkle Feld der Erinnerung mit professioneller Hilfe aufzuhellen".

Der Anwalt wies nochmals auf die überraschend großen Fortschritte hin, die das Kind in den anderthalb Jahren seit dem Schütteltrauma gemacht habe, und stellte die Rolle heraus, die beider Eltern "vorbildliche Fürsorge" bei einer bestmöglichen Gesundung des Mädchens für ein lebenswertes Leben spiele. Die ganze Familie halte trotz des Geschehenen fest zusammen.

In seiner Urteilsbegründung nahm der Kammervorsitzende Ulrich Polachowski dieses Motiv auf. Nicht dem Angeklagten, sondern seiner Tochter und der Familie zuliebe habe man auf eine Bewährungsstrafe entschieden. Der Vater habe "die Erinnerung weggeschoben" an etwas, "das schlimm war und so schwere Folgen hatte".

Mit seinem Eingeständnis aber habe er auch unterschwellige Verdachte gegen andere aus der Welt geschafft. Neben einer Therapie zur Aufarbeitung bekam der Handwerker statt einer Geldbuße die Auflage, ein großes Spielgerät für den Kindergarten herzustellen, den seine beiden Töchter inzwischen besuchen.