Kinder sind derzeit besonders gefährdet. Beratungsstellen helfen betroffenen Familien weiter.
Calw - Die Corona-Pandemie stellt derzeit zahlreiche Familien und Kinder vor große Herausforderungen: Man verbringt deutlich mehr Zeit miteinander und kann sich nur schwer aus dem Weg gehen. Die Caritas Calw warnt vor vermehrter häuslicher Gewalt.
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"Dazu kommt ein veränderter Familienalltag wie Homeoffice, Kinderbetreuung Zuhause, Schulaufgaben, Existenzsorgen und die entlastende Kundenbetreuung durch dritte entfällt ganz", so Tina Maisenbacher von der Katholischen Schwangerschaftsberatung Caritas Calw und Mitglied des Runden Tisches "Häusliche Gewalt Calw".
Ungewohnte Situation für Kinder und Eltern
"Auch für die Kinder ist die Situation ungewohnt: Schulaufgaben mit den Eltern, das Treffen mit Freunden und das Spielen auf dem Spielplatz fallen weg, Hausaufgaben müssen selbst organisiert werden." Experten erwarten eine Zunahme von Fällen häuslicher Gewalt in der Corona-Krise. Kinder können durch die aktuellen Entwicklungen häuslicher Gewalt ausgesetzt sein, heißt es in einer Pressemitteilung. Die Caritas Calw hat zu diesem Thema einem Experteninterview mit der Geschäftsführerin des Kinderschutzbund Calw, Martina Bühler geführt.
Sie rät: "Kinder brauchen zuverlässige Menschen in ihrer Nähe, denen sie vertrauen können. Menschen, die ihre Bedürfnisse wahrnehmen und ausreichend Ressourcen haben, um diese zu erfüllen. Familien sind durch die Corona-Maßnahmen vor sehr große Herausforderungen gestellt. Auch wenn die Entschleunigung und der gefühlt geringere schulische Leistungsdruck zunächst entlastend wirkte, so zeigt sich mehr und mehr die Kehrseite der Medaille. Existenzsorgen oder berufliche Doppelbelastung, Einsamkeit und fehlende Entlastung im familiären Alltag- das alles sind Risikofaktoren auch für Kinder. Keineswegs wollen wir Eltern unter Generalverdacht stellen. Die meisten von ihnen leisten Überragendes. Doch es ist auch plausibel, dass Eltern mit der Situation inzwischen zeitweise überfordert sind. Dieser Stress wirkt sich ebenso auf die Kinder aus. Sei es durch häufigen Streit, sei es durch Gewalt - auch zwischen den Eltern. Und leider gibt es auch Kinder, die schon vor Corona zuhause seelische und körperliche Gewalt erfahren haben. Diesen Kindern geht es besonders schlecht, weil sie durch die Schließung von Kitas, Schulen, Vereinen und Einrichtungen pädagogischer Hilfen einhergehend mit den Kontaktverboten keinerlei Ausweichmöglichkeiten haben. Kinder brauchen Großeltern, Freunde, Lehrer, Erzieher, Gleichaltrige, kurz: die ganze Gesellschaft. Und nicht zu vergessen: Kinder brauchen Kinder".
Was kann ich tun, wenn ich Zweifel am Wohl eines Kindes habe?
"Wenn Sie in Ihrer Nachbarschaft vermehrt Streit, Geschrei und weinende Kinder hören, so sprechen Sie die Menschen an, wenn Sie es sich zutrauen. Vermitteln Sie Verständnis für die stressige Situation und fragen Sie nach, wie sie helfen können. Oft helfen Verständnis und ein entlastendes Gespräch weiter. Weisen Sie auf Telefonnummern hin, die Beratung bieten. Wenn Sie sehr große Sorgen um ein Kind haben und die Eltern nicht ansprechen können, so können Sie auch selbst bei diesen Stellen anrufen und um Rat fragen. Ansonsten wenden Sie sich ans örtliche Jugendamt beim Landratsamt Calw. Die Mitarbeiter des Sozialen Dienstes können den Kindern und Jugendlichen sowie den Familien weitere Hilfen anbieten.
Welchen Wunsch gibt es an die Politik an die Gesellschaft?
"Derzeit befinden wir uns in einem großen Dilemma. Ich sehe die Bemühungen der politischen Entscheidungsträger um einen guten Weg zum Umgang mit dem Virus. Die Bevölkerung geht diesen Weg geduldig und verantwortungsbewusst mit. Mit fortschreitender Zeit habe ich jedoch den dringenden Wunsch, dass die vielfältigen Folgen der Einschränkungen auf das psychische und physische Wohl der Menschen mitbedacht werden. Familien brauchen wieder Entlastung, Kinder ihr soziales Umfeld. Hinsichtlich der Gefahr physischer und psychischer Gewalt gegen Kinder befürchten Kinderschützer, dass wir im Moment die Ruhe vor dem Sturm haben. Etwa 60 Prozent aller Meldungen in Sachen Kindeswohl kommen von Fachleuten aus Schulen, Kitas, Vereinen und sonstigen Einrichtungen, sowie von Kinderärzten. Alle diese Kontakte bestehen zurzeit nur sehr eingeschränkt. Es wird sich erst im Lauf der Zeit zeigen, was sich angestaut hat."