Schauspieler Matthias Kopetzki überzeugte als Sad im Ein-Personen-Stück "Dreck" als arabischer Flüchtling, der Abend für Abend als Rosenverkäufer durch die Stadt zieht. Foto: Selter-Gehring Foto: Schwarzwälder-Bote

Kleine Bühne Calw gelingt mit "Dreck" eindrucksvoller Programmstart / Keine einfache Kost präsentiert

Von Annette Selter-Gehring

Calw. Es war keine einfache Kost, die die "Kleine Bühne Calw" mit ihrem ersten Bühnenprogramm präsentierte. Der jüngst gegründete Verein mit dem Ziel, ein vielfältiges, anspruchsvolles Angebot an Kleinkunst in Calw zu etablieren, hatte zu dem Ein-Mann-Theaterstück "Dreck" von Robert Schneider in die Alte Lateinschule eingeladen. Trotz manch ironischer Zwischentöne war dies kein amüsant- unterhaltender Abend, sondern eine Stunde, die die Zuschauer nachdenklich zurückließ.

Im Anzug, der nicht so richtig zu passen schien, mit einem Strauß roter Rosen in der Hand und einem scheuen, fast unterwürfigen Blick in den Augen, trat der arabische Flüchtling Sad, verkörpert von Schauspieler Matthias Kopetzki, vor die rund 40 Zuschauer und fing an zu reden: Er ist illegal in Deutschland. Im Irak studierte er Psychologie, Philosophie und Germanistik. Er liebt die deutsche Sprache, obwohl "sie mir nicht gut bekommt". "Ich habe kein Recht hier zu leben, aber ich lebe gerne in dieser Stadt", versichert er den hellhäutigen Parkbanksitzern. "Nicht, dass ich jemals auf einer solchen Bank Platz genommen hätte. Das würde ich nie tun."

Abends verkauft er Rosen. "Ich lebe gut", sagt Sad. Doch keiner der Anwesenden glaubt ihm. In seinen Worten kehrt er den Hass, den er spürt, gegen sich selbst. "Es stimmt", sagt Sad, "ich bin dreckig. Ich wasche meine Hände, aber ich bleibe dreckig. "So sind wir eben." Mit dem herzhaften Biss in eine rohe Zwiebel – denn alle Araber essen mindestens ein Kilo Zwiebeln am Tag – erklärt sich der Gestank. Denn "wir Ausländer stinken", erklärt er und fügt hinzu: "Das mit der Zwiebel ist nur eine Metapher. Der Gestank ist seelisch."

Die überzogene Selbsterniedrigung, die Sad vollzieht, lässt nicht nur zwischen den Zeilen des Stücks klar werden, dass das Leben des Flüchtlings voller Angst und Demütigungen ist und kaum als solches bezeichnet werden kann. Die gängigen Vorurteile hat Sad so verinnerlicht, dass seine bewusste Identifikation damit die Widersinnigkeit der Argumente der Fremdenhasser vor Augen führt. Und im Verlauf von Sads Monolog tritt die tiefe Verzweiflung sowie seine verletzte Seele immer mehr zutage. Und Sad kann nicht anders, er schreit um sein Leben.

Wie aktuell das Stück des österreichischen Autors Robert Schneider ("Schlafes Bruder", "Die Luftgängerin") ist, muss angesichts der Flüchtlingsströme aus Syrien, dem Irak, Afrika und Osteuropa nicht betont werden. Umso erstaunlicher, dass "Dreck" bereits 1993 erschienen ist. Dem TV- und Bühnenschauspieler Kopetzki gelang in Calw eine intensive und präzise Darstellung des tieftraurigen, bitter gewordenen und von untergründigem Hass erfassten Außenseiters. Er zog die Zuhörer hinein in sein zerrissenes Inneres, entließ sie nachdenklich und mit offenen, verstörenden Fragen an das eigene Denken und Fühlen.

Den Verantwortlichen der "Kleinen Bühne Calw" ist mit "Dreck" ein eindrucksvoller Startschuss gelungen, und sie haben deutlich gemacht, weder einem intellektuellen Mainstream folgen zu wollen, noch in der Massenware der Spaßveranstaltungen untergehen zu wollen. Der erste Kleinkunstabend der "Kleinen Bühne Calw" hat ein anspruchsvolles und herausforderndes Ausrufezeichen gesetzt. Sowohl für die Initiatoren wie auch für das Publikum, das gespannt sein darf auf die weiteren Veranstaltungen.