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Ein im kleinen Rahmen geplanter Diskussionsabend mit den Oberbürgermeister-Kandidaten wurde im Haus der Kirche zu einer großen Fragerunde. Im Fokus: soziale Fragen in Calw.

Calw - Immer mehr Menschen strömen in das Haus der Kirche, wo Andreas Reichstein, Abteilungsleiter der Erlacher Höhe in Calw, dem Besucherstrom einigermaßen ratlos gegenübersteht. »Ich habe nie im Leben damit gerechnet, dass  wir so eine große Runde zusammenbekommen«, gibt er zu. Eigentlich hatte er für diese OB-Kandidatenvorstellung des Arbeitskreises Gemeinwesen Calw  ein ganz anderes Konzept vorgesehen. Kleine Gruppen, die sich um Stehtische versammeln und mit den drei eingeladenen Kandidaten »face to face« ins Gespräch kommen. »Jetzt haben wir das Konzept halt umgeworfen«, meint er leichthin.  Also werden die drei OB-Kandidaten Anabel Hirsch, Florian Kling und Gerd Kunzmann an die Stehtische zitiert und das Publikum nimmt um sie herum Platz. Eine offene Diskussionsrunde soll es geben, jeder dürfe Fragen stellen, kündigt Reichstein an. »Aber wir haben einen eigenen Schwerpunkt: die sozialen Themen in Calw und den Teilorten.« Nur darum solle es an diesem Abend gehen.  Was auch der Grund dafür ist, dass der Vierte im Bunde der Kandidaten, Samuel Speitelsbach, nicht zugegen war. »Wir haben nur die Bewerber eingeladen, die für uns respektabel sind«, stellt Reichstein klar.

Ein acht Monate altes Baby, laut Reichstein »der jüngste Gast«, markierte sogleich den Startschuss für die Diskussions- und Fragerunde. »Denn es geht auch um die Zukunft dieses Kindes.« Und die sieht derzeit – zumindest betreuungstechnisch – nicht besonders rosig aus. Ein Vater, wie die Familie des Babys ebenfalls vom Wimberg, kritisiert, dass beide Kindergärten ab 13 Uhr geschlossen seien. »Ein gewaltiges Problem.« Von den Kandidaten wolle er nichts über den geplanten Neubau hören, »der ist noch Waldboden« und auch nichts über Tagesmütter, von denen es dort oben viel zu wenige gebe. Die drei Kandidaten nicken mitleidig und verdeutlichen den Handlungsbedarf.  Ihre Ansätze: schnellere Neubauten durch Modulbauweise und finanzielle Förderung (Kunzmann), das Überzeugen des Gemeinderats, dass Bedarf da ist (Kling)  und intensive Zusammenarbeit mit den Eltern (Hirsch).  Worin sich ungeachtet dessen alle einig sind: Die Betreuungsgebühren seien zu hoch.

Weiter zu den nächstälteren, den Schülern. Einer der wenigen anwesenden Jugendlichen kritisiert die mangelnde Zusammenarbeit zwischen Stadt und Schulen. Alle geloben Besserung, vor allem in Sachen Kommunikation. Einen Jugendgemeinderat oder ein ähnliches Gremium sähen die drei Kandidaten gerne. Den innovativsten Vorstoß machte dabei Kling mit einer Whatsapp-Gruppe mit Jugendlichen, die es jetzt schon gebe. Und die er auch als OB weiterführen würde, für alle Bürger. Applaus der Anwesenden.

Sozialausschuss vorgeschlagen

Dass die SRH Hochschule  Calw verlassen wird, bedauern die OB-Anwärter. Und sie sparen nicht an Kritik am bisherigen Umgang der Verwaltung mit derartigen Bildungsangeboten. »Man sollte ihnen den roten Teppich ausrollen und nicht sagen, man kümmert sich nicht«, betonte Kling. Hirsch und Kunzmann plädierten dafür, neue Bildungsangebote zu suchen, die man in der Innenstadt ansiedeln könnte. Eine Bürgerin bringt einen Sozialausschuss – ebenbürtig mit den anderen Ausschüssen des Gemeinderats – ins Spiel. »Klares Ja« von Hirsch. Ebenso von Kunzmann (»Die, die es brauchen, haben oft keine laute Stimme«) und Kling (»Ein übergeordneter Blick ist nötig«). Wieder Zwischenapplaus für Letzteren.

Thema Wohnungsnot sowie damit einhergehende Obdachlosigkeit. Innovative Wohnkonzepte, wie Mehrgenerationenhäuser und die Vermeidung von Leerständen schlägt Hirsch vor. Kunzmann geht auf die Anregung ein, dass Vermieter mehr Sicherheit bräuchten – die gegeben sei, wenn die Stadt quasi als Zwischenmieter fungiere. Zudem wolle er mit Sozialverbänden zusammenarbeiten, um Obdachlosigkeit schon von vorne herein zu verhindern.  Kling pocht auf Bestandssanierung. Die vielleicht brisanteste Frage des Abends folgte in der Abschlussrunde von einer jungen Frau, die sich dessen allem Anschein nach überhaupt  nicht bewusst war: »Was unterscheidet Sie eigentlich?« Eine Frage so simpel wie ausgefuchst. »Das ist eigentlich ihre Aufgabe, das herauszufinden«, konterte Kling. Nur um dann auszuführen, dass er keiner sei, der nur verwaltet, sondern gestaltet. Kunzmann beruft sich auf seine Studium im Verwaltungsbereich, wird jedoch von Kling unterbrochen. »OB kann man nicht studieren.« »Aber Verwaltungsfachmann schon.« 1:1 bei diesem Schlagabtausch. Der so überhaupt nur bei der Kandidatenvorstellung im Haus der Kirche möglich war – müssen bei den städtischen Veranstaltungen doch die jeweils anderen Bewerber den Saal verlassen. Zugegebenermaßen hatte das Ganze aber seinen Charme. Hirsch möchte  Themen aus dem täglichen Leben in Calw ins Rathaus tragen. Man nimmt es ihr ab, wenngleich sie im Vergleich zu den Herren sehr nervös wirkte. Kunzmann sprach gewohnt unaufgeregt, im Gegensatz zur Kandidatenvorstellung in Heumaden aber ohne Notizzettel. Rollentausch – Kling hatte dieses Mal Notizen, denen er im Laufe des Abends einiges hinzufügte. Der Sieger des Abends? Macht man es am Applaus fest, Kling. Vielleicht aber auch die junge Dame, die den Kandidaten charmant auf den Zahn gefühlt und eine Frage aufgeworfen hat, denen alle drei Bewerber noch etwas mehr Aufmerksamkeit schenken könnten.