Rüdiger Safranski war in Calw zu Gast. Foto: Meinert Foto: Schwarzwälder Bote

Literaturvortrag: Rüdiger Safranski spricht über Hesses "Glasperlenspiel"

Es kommt nicht häufig vor, dass ein Schriftsteller und Literaturwissenschaftler vom Kaliber Rüdiger Safranskis sich in Calw präsentiert – und dann noch über Hermann Hesse referiert. "Das Glasperlenspiel – nur ein Glasperlenspiel?" hieß der etwas hintersinnige Titel des Vortrags.

Calw. Eingeladen hat die Internationale Hermann-Hesse-Gesellschaft. Und da das "Glasperlenspiel", das Spät- und Meisterwerk Hesses, ein schwieriger Stoff ist, verspricht der Vortrag Safranskis auch nicht leicht bekömmlich zu werden. Karl-Josef Kuschel, Präsident der Gesellschaft, versucht daher zur Begrüßung die Stimmung gleich etwas aufzulockern.

Safranski, der renommierte Biograf von Geistesgrößen wie Heidegger, Nietzsche und Goethe, sei nämlich "noch nie zuvor in Calw gewesen", dem Geburtsort des Nobelpreisträgers Hesse, verrät Kuschel mit einem feinen Lächeln – prompt geht ein leiser Aufschrei durch das Publikum. "Es wurde höchste Zeit", setzt Kuschel nach.

Safranski, der aus Rottweil stammende Denker, der kürzlich durch kritische Äußerungen zur Flüchtlingspolitik und zur "Begrüßungskultur" ins Gerede geraten war, beginnt ebenfalls mit einem kleinen Bonmot. Warum das "Glasperlenspiel" heute noch aktuell sei? Ganz einfach: "Weil es zu meinen Lieblingsbüchern gehört, und Lieblingsbücher sind immer aktuell." Soweit das Vorgeplänkel.

Dann wird es ernst. Hesses Spätwerk sei eine "Antwort auf die Gewaltorgien des Nationalsozialismus", sagt Safranski. Einen Tag vor der Machtergreifung der Nazis habe der Dichter das mächtige Werk begonnen, langsam, bedächtig fließt das Werk über viele Hundert Seiten dahin, erst 1942 wurde es beendet, mitten im Krieg also – und durfte in Nazi-Deutschland nicht erscheinen.

Des Schriftstellers geistige "Zuflucht vor dem Grauen"

Die darin beschriebene weltabgewandte Gelehrtenwelt, die "pädagogische Provinz" Kastalien, sei, so Safranski, so etwas wie Hesses geistige "Zuflucht vor dem Grauen", vor dem Kulturzerfall der Moderne. Streng und hierarchisch gehe es zu in diesem eigenartigen fiktiven Orden zu, der in einer nicht näher bestimmten Zukunft existiert, asketisch und zölibatär lebten die Mitglieder, die sich mit Leib und Seele der Pflege und Förderung der Künste, des Geistes und der reinen Wissenschaften widmen – und dies eben mit Hilfe des "Glasperlenspiels", bei dem Mathematik, Kunst und Musik gleichsam zusammenfließen und eins werden. "Säkularer Gottesdienst", nennt Safranski das geistige Treiben, in dessen Zentrum der Magister Ludi Josef Knecht steht, der "Oberglasperlenspieler" der Ordensgemeinschaft.

Kurz gesagt, es gehe in dem Buch darum, so Safranski, in einer Welt, die in Gewalt, Chaos und Profanität zu versinken droht, "die Welt des Geistes zu verteidigen" – und das durch Spiel, durch hochgeistiges, schwieriges und gleichsam züchtiges Spiel, jenseits aller störenden wirtschaftlichen Nebengedanken. Lang und ausführlich lässt sich Safranski über das Spiel im Allgemeinen aus, das den Menschen ja bekanntlich erst richtig zum Menschen macht. "Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt" – natürlich darf auch der berühmte Schiller-Satz nicht fehlen. "Eine triumphale Bejahung des Spieltriebs", nennt Safranski das Werk Hesses. Freilich: Wie das Spiel denn tatsächlich vonstattengeht, bleibt dem Leser verborgen – Hesse gibt das Geheimnis nicht preis.

Safranski spricht schnell und druckreif, er liest vom Blatt, seine Sätze sind lang und kompliziert, eher zum Lesen geeignet denn zum Vortrag. Erholungspausen gönnt er seinem Publikum nicht. Spiel und Kunst müssten immer frei sein, dürften "weder durch Ökonomismus noch durch Moral erwürgt werden", meint Safranski. "Kunst darf nicht an die Kandare genommen werden", ruft er dem Publikum im vollbesetzen Saal der Musikschule zu – das könnte durchaus als aktueller Bezug gemeint sein. "Wenn es kein Kastalien gäbe, würde die Welt veröden", so Safranski gleichsam als Fazit. Am Ende gibt es langen, langen Beifall des Publikums.