Kreisleiter Georg Wurster (im Mantel) mit anderen NS-Größen 1934 in Nagold. Foto: Stadtarchiv/Repro: Würfele

Stadtarchivar Karl J. Mayer über Leben und Handeln des damaligen NSDAP-Kreisleiters Georg Wurster.

Kreis Calw -  Der damalige Calwer Kreisleiter der NSDAP, Georg Wurster, hat dazu beigetragen, der Diktatur im Dritten Reich den Weg zu ebnen und zu festigen. In seiner späteren Funktion in Weißrussland rechtfertigte und propagierte er ihre schlimmsten Auswüchse.

Zu dieser ernüchternden Feststellung kam Stadtarchivar Karl J. Mayer bei seinen umfangreichen Recherchen, wie er bei einem viel beachteten Vortrag im Calwer Landratsamt zur Ausstellung "Freiheit – so nah, so fern", ausführte. Vorweg: Wurster war, nach allem, was bekannt ist, kein Massenmörder und hatte wohl während seiner Amtszeit nichts mit dem KZ Natzweiler und seiner Außenstelle der Lufag in Calw zu tun.

Interesse an Tätern fehlte

Nach Jahren des Schweigens und Verdrängens, auch im Raum Calw, gibt es nun zunehmend mehr Menschen, die sich mit dem unfassbaren Leid, der großen Zahl der Verbrechen, das durch Deutschland und in deutschem Namen verübt worden sind, auseinandersetzen. Verständlicherweise nahm man sich nach Kriegsende besonders der Opfer an. Was aber fehlte, war das Interesse an den Tätern. Die noch lebenden "Hauptkriegsverbrecher" wurden von den Siegermächten ab November 1945 vor dem "Internationalen Militär Tribunal" in Nürnberg angeklagt. Aber was war mit den Unterstützern und Gefolgsleuten, die dazu beigetragen haben, dass sich dieses Regime mehr als zwölf Jahre lang an der Macht hatte halten können? Wer waren diese Mittäter, die kleinen Führer in der Provinz, die durch Überwachung, Bespitzelung, Drohungen und Propaganda Angst und Schrecken verbreiteten?

Forschung notwendig

Um dies zu ergründen, ist "Täterforschung" notwendig, der man sich seit etwa 30 Jahren zuwendet. Dafür müssen die Biografien der auf der mittleren und unteren Ebene dieses Regimes Agierenden in den Blick genommen werden. "Wir können die mörderische Diktatur nicht verstehen, wenn wir die Menschen, ihre Herkunft, ihren Werdegang, ihr Handeln nicht kennen, die diese Diktatur aufgebaut und Tag für Tag am Leben gehalten haben; auf den Straßen und auch in den Häusern der Stadt Calw, in Minsk, Auschwitz und auch in den Werkshallen der Lufag", betonte der Historiker.

Das NS-Regime machte nicht Halt vor dem Nordschwarzwald. Und einer, der dazu beigetragen hat, dieser Organisation im Nagoldtal den Weg zu ebnen, sie zu festigen, sei auch Georg Wurster gewesen, mit dessen Biografie, seinen ausgeübten Funktionen als Kreisleiter und später als Oberbereichsleiter in Minsk sich der Stadtarchivar im Weiteren beschäftigte. Unmenschlichkeit, Hass und Rechtlosigkeit prägten diese Zeit.

Putsch misslang

Georg Wurster, der 1897 in Schmieh geboren wurde, ist in Agenbach aufgewachsen. Nach seinem Einsatz als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg konnte er vom Soldatenleben nicht lassen und schloss sich Freikorps an, die im Baltikum gegen die Rote Armee kämpften. Hier wurde er wohl von rechtsextremem Gedankengut infiziert und trat antidemokratischen, antirepublikanischen, terroristischen Geheimorganisationen bei. Ende 1923 soll Wurster von einem Major Buchrucker, der die Berliner Regierung stürzen wollte, den Auftrag erhalten haben, führende Köpfe der Republik, darunter auch Reichspräsident Ebert, festzunehmen und beim Widerstand gegebenenfalls sogar zu töten. Der Putsch misslang, Wurster wurde verhaftet und zu einem Jahr Festungshaft verurteilt.

Nach seiner Rückkehr in den Nordschwarzwald 1928 eröffnete er bald am Calwer Marktplatz ein Feinkostgeschäft, das er nach nur zwei Jahren wieder aufgeben musste. Danach war er als Vertreter tätig.

Im Juni 1928 trat er wieder in die NSDAP ein, nachdem er schon ab 1922 dort für einige Monate Mitglied war. Umgehend begann er die bis dahin schwache Ortsgruppe Calw zu reaktivieren und führte Propagandafahrten für das Regime in die nähere Umgebung durch. Schnell kletterte er die Karriereleiter in der Partei empor. Wurster wurde der erste Calwer Gemeinderat aus den Reihen der NSDAP und ab 1934 zu einem der wenigen hauptamtlichen Kreisleiter in Württemberg. Als Vertrauter von Gauleiter Murr gewann er an Einfluss und Ansehen.

Von Seiten der Calwer Bevölkerung wurde ihm jedoch keine allzu große Sympathie entgegengebracht. Sein Jahreseinkommen, das 1932 noch bei 2400 Reichsmark (RM) lag, stieg als Kreisleiter auf 8500 RM.

Skrupelloser Handlanger

Einen ersten Dämpfer seiner Autorität musste Wurster einstecken, als SA-Leute, aus eigenem Entschluss und ohne sein Wissen, den Calwer Bäckermeister Schnürle, der den Reichstagswahlen im November 1933 ferngeblieben war, unter Trommelwirbel und mit einem Schild um den Hals durch die Stadt trieben. Undenkbar in einem Staat und einer Partei, die nach dem "Führerprinzip" organisiert war.

An der rücksichts- und rechtlosen Enteignung der Besitzer der "Rettungsarche" in Möttlingen 1938, um sie unter Parteikontrolle zu bringen, war Wurster als skrupelloser Handlanger höherer Stellen beteiligt, wie auch an anderen Handlungen und Aktionen.

"Lebensraum"-Gedanke

Seit Januar 1943 war Wurster, angeblich auf eigenes Ersuchen, in Minsk eingesetzt, wo er Oberbereichsleiter bei der deutschen Zivilverwaltung wurde. Hinweise, dass er dort aktiv an Besatzungsverbrechen beteiligt war und an der Ermordung von Juden, gibt es laut Mayer bisher nicht. Doch ganz sicher sei aber, dass Wurster wusste, dass die weißrussische Hauptstadt eines der Zentren der Judenvernichtung im Osten war. Zudem verbreitete er unter den Deutschen in Minsk den "Lebensraum"-Gedanken.

Wurster kehrte 1952 in den Nordschwarzwald zurück; er starb 1976 in Alpirsbach.

Es gelte, so Karl J. Mayer, "aus der Geschichte zu lernen und frühzeitig Tendenzen zu erkennen, die darauf hinauslaufen, Menschen zu entrechten, würdelos zu machen und aus der Gemeinschaft auszustoßen".