Die B 27 erregt die Gemüter – damals wie heute. Ein Blick in die Zeit vor dem Bau der wichtigen Verkehrsader zeigt, wie sich die Filder zwischen Leinfelden-Echterdingen und Filderstadt in den vergangenen Jahrzehnten verändert haben.
Filder - Naturschutz, Landwirtschaft, Industrie, Naherholung, Verkehr, Wohnraum – es sind vielfältige Interessen, die seit Jahrzehnten an den Böden auf den Fildern zerren und die oft nicht miteinander vereinbar sind. Beim Blick in die Vergangenheit wird die Veränderung der einst bäuerlich geprägten Dörfer hin zu modernen Industriestandorten einer europäischen Metropolregion deutlich. Der Bau der B 27 zwischen Leinfelden-Echterdingen und Filderstadt in den Jahren 1972 bis 1979 hat dabei einen entscheidenden Beitrag geleistet.
„Für die Wirtschaft war die B 27 ein großer Vorteil“, sagt Nikolaus Back, Stadtarchivar in Filderstadt. Neben den Wohngebieten sind die Industrie- und Gewerbeflächen auf den Fildern seit dem Jahr 1968 umfangreich gewachsen. In Echterdingen haben sich vor allem im Norden der Ortschaft viele Unternehmen angesiedelt. In Leinfelden war es das Gebiet im Osten des Ortes, das von vielen Firmen als Sitz gewählt wurde, ebenso im Osten von Stetten. Außerdem wurde die Messe am Flughafen gebaut. Viel Gewerbe ist auch in Filderstadt-Bernhausen hinzugekommen, etwa im Südwesten des Ortes oder in Bonlanden – neben der B 27.
Die Orte veränderten mehr und mehr ihren einstigen Charakter
In den Rathäusern der Städte waren damals neue Gewerbesteuerzahler willkommen. Entsprechend wurden die Rahmenbedingungen günstig gestaltet, wozu auch eine gute Verkehrsanbindung gehörte. Gleichzeitig musste neuer Wohnraum und weitere Infrastruktur geschaffen werden. Die Orte veränderten mehr und mehr ihren einstigen Charakter. Allerdings betont der Stadtarchivar Back, dass der starke Bevölkerungswachstum in Filderstadt bereits ab dem Jahr 1975 abflachte. Bis dahin seien die Teilorte von zusammen rund 9000 Einwohnern nach dem Zweiten Weltkrieg auf 35 000 angewachsen. „Demografisch hat man es nicht mehr gemerkt“, sagt Back deshalb über den Bau der B 27.
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Deutlich gemerkt haben den Bau der B 27 allerdings die Innenstädte entlang der Hauptverkehrsader. Bevor die Bundesstraße gebaut worden sei, hätten sich die Autos ausschließlich durch die Orte bewegt. „Es gibt Fotos, da reiht sich an der Hauptstraße in Bernhausen Stoßstange an Stoßstange“, verdeutlicht Back. Ohne die B 27 wären Bernhausen, aber auch Echterdingen sprichwörtlich im Verkehr erstickt. Bereits 1955 habe der private Autoverkehr den öffentlichen Verkehr überholt, so Back. Der Straßenbau konnte mit dem raschen Anstieg des Autoverkehrs nicht überall mithalten. „Die Planer konnten es sich einfach nicht vorstellen, dass es einmal so viele Autos geben wird“, sagt der Stadtarchivar.
Früher war die Schiene ein wichtiger Standortfaktor
Bemerkenswert ist, dass bis in die 1950er Jahre hinein der Anschluss an den Schienenverkehr das ausschlaggebende Kriterium für ein Industrie- und Gewerbegebiet war. „Das war der ursprüngliche Standortfaktor“, so Back. Dies sei noch heute zu sehen. Entlang der alten Filderbahnlinie seien noch heute Industrie- und Gewerbegebiete mit namhaften großen Unternehmen zu finden, beispielsweise in Echterdingen, Bernhausen, Sielmingen oder auch in Neuhausen. Ein Teil der Unternehmen kam aus Stuttgart auf die Fildern, weil das Produzieren im Kessel immer schwieriger wurde.
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Während die gute Verkehrsanbindung für viele Firmen bis heute ein großer Vorteil ist, habe der Bau der B 27 allerdings auch einige negative Entwicklungen auf den Fildern befördert. So seien die immer knapperen Flächen immer teurer geworden, erklärt Back. Menschen, die sich die Preise auf den Fildern nicht mehr leisten konnten, seien zuweilen Richtung Süden, in die Tübinger Gegend oder sogar noch darüber hinaus weggezogen.
Kritik an der Bundesstraße gab es damals wie heute
Den Arbeitsplatz in Leinfelden-Echterdingen oder Filderstadt konnten sie dank der guten Verkehrsanbindung behalten. Insgesamt hat der Verkehr auch durch diese Entwicklung zusätzlich zugenommen, was Kritiker des geplanten Ausbaus der B 27 heute erneut betonen. Neue Straßen führten zu mehr und nicht zu weniger Verkehr, sind sie überzeugt.
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Eine ältere Kritik am Bau der B 27, beziehungsweise an Plänen für einem Bau einer Umgehungsstraße allgemein, sei noch während der 1950er Jahre von den Geschäftsleuten der Innenstädte gekommen, erinnert der Stadtarchivar Back. Es habe damals noch vielerorts die Vorstellung gegeben, es sei vorteilhaft, die Autofahrer in die Innenstädte zu leiten, damit sie dort beispielsweise einen Einkauf tätigten, tankten oder ein Restaurant besuchten, so Back. Von dieser Vorstellung ist man heute weit entfernt.