Interview – Die Delikte gegen Frauen haben zugenommen bestätigt die Kriminalhauptkommissarin Nadine Dörfer. Den Tätern geht es meistens um die Ausübung von Macht und Kontrolle
Vor dem Amtsgericht in Hechingen läuft derzeit der Prozess gegen einen Burladinger, der seine Ex-Freundin massiv gestalkt, ihr aufgelauert hat, bei ihr eingebrochen ist und auch versucht hat, sie körperlich anzugreifen.
Dazu sprachen wir mit der Kriminalhauptkommissarin Nadine Dörfer. Sie arbeitet bei der Prävention des Polizeipräsidiums Reutlingen.
Ist es richtig, dass die Gewaltdelikte gegen Frauen und auch Femizide stark zugenommen haben. Wenn ja um wie viel Prozent?
Grundsätzlich spielt bei vielen Delikten Gewalt in ihren verschiedenen Ausprägungen eine zentrale Rolle. Da in der PKS (Polizeiliche Kriminal Statistik) der Begriff „Gewalt gegen Frauen“ nicht verwendet wird, haben wir nach sogenannten Opferdelikten mit ausschließlich weiblichen Geschädigten recherchiert. Eine Opfererfassung erfolgt grundsätzlich bei strafbaren Handlungen gegen höchstpersönliche Rechtsgüter das sind Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Ehre, sexuelle Selbstbestimmung. Dort werden also auch Delikte einbezogen, bei denen keine körperliche Gewaltanwendung erfolgte. Als Opfer werden nur die Personen erfasst, gegen die sich die versuchte oder vollendete Tathandlung gerichtet hat. So gab es im Zollernalbkreis im Jahr 2019 genau 592 weibliche Opfer solcher Taten. Im Jahr 2023 waren es 709. Anzumerken ist, dass es sich bei den Tätern zu diesen Deliktszahlen nicht ausschließlich um männliche Tatverdächtige handelt, sondern hierbei auch weibliche Tatverdächtige enthalten sind. Eine differenzierte Betrachtung der Statistik unter dem Hintergrund „Gewalt gegen Frauen“ und den hierzugehörenden Deliktsfeldern ist leider nicht möglich. Jedoch dürfte es sich tatsächlich beim größten Teil um männliche Personen handeln.
Gibt es das typische Täterverhalten?
Grundsätzliches Ziel des Stalkers oder auch der Stalkerin ist es, Macht und Kontrolle über sein oder ihr Opfer zu erlangen. Allgemein kann man unter Stalking das wiederholte Belästigen und Verfolgen einer Person verstehen, wobei die Verhaltensformen im Einzelnen sehr heterogen sein können. Verhaltensweisen reichen von unerwünschten Telefonanrufen, Nachrichten, Warensendungen über Beobachtung, Verfolgung, Drohungen bis hin zu körperlichen und sexuellen Angriffen.
In der polizeilichen Praxis zeigt sich nicht selten, dass das Opfer den Stalker entweder abgewiesen oder zuvor verlassen hat. Schafft es der Abgewiesene nicht, die Aufmerksamkeit seines Opfers zu erregen oder dieses zu einer Beziehung zu drängen, kann das Verhalten des Stalkers schnell in Hass und Psychoterror umschlagen. Grundsätzlich gilt: Stalking hat verschiedene Erscheinungsformen, welche in ihrer Dynamik und Intensität rasch zunehmen können, weshalb jede Form von Täterverhalten ernst genommen werden sollte.
Was sind Gefährderansprachen, wer macht die, wie laufen die ab und gibt es da Steigerungen?
Der Stalker wird durch die Polizei aufgefordert, die Nachstellungen sofort zu unterlassen. In einem persönlichen Gespräch wird ihm verdeutlicht, dass er im Fokus der Polizei steht, sein Verhalten nicht geduldet wird und bei Wiederholung Konsequenzen drohen. Der Stalker wird informiert, welche rechtlichen Folgen sein strafbares Handeln mit sich bringen kann – von der Einleitung zivilrechtlicher Schritte, der Meldung an die Führerscheinbehörde mit dem Ziel des Entzugs der Fahrerlaubnis - bis hin zu empfindlichen Geldstrafen oder einer Freiheitsstrafe bei Verurteilung. Darüber hinaus wird dem Stalker unmissverständlich verdeutlicht, dass bei wiederholtem Stalking ein Platzverweis, Annäherungs- und Aufenthaltsverbot bis hin zu Gewahrsam nach dem Polizeigesetz droht. Zudem gibt es in gravierenden Sachverhalten die rechtliche Möglichkeit der Untersuchungshaft.
Sind auch Männer Opfer von Stalking?
Mit einem Anteil von über 80 Prozent sind Frauen als Opfer überrepräsentiert, während die Täter überwiegend männlich sind. Jedoch werden auch Männer Opfer von Stalking. Dazu haben wir die Daten zum Deliktsbereich des Paragrafen 238 Strafgesetzbuch, das ist die Nachstellung, also umgangssprachlich Stalking, aus unserer Statistik recherchiert. So waren es zum Beispiel im Jahr 2019 sechs männliche Opfer aber 25 weibliche, im Jahr 2023 waren es 27 Frauen und nur fünf Männer.
Wie verhält sich ein Opfer von Stalking üblicherweise?
Opfer von Stalking leben häufig ein Leben in permanenter Ungewissheit. Die Handlungen des Täters können Sorge, Angst und Panik auslösen, weshalb Betroffene von Stalking oftmals ihre gesamten Lebensgewohnheiten ändern und massiv in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt sind. Die Folgen sind Isolation und Rückzug aus dem bisherigen Leben.
Was raten Sie Betroffenen?
Ich rate: Nehmen Sie die Situation ernst! Häufig haben Betroffene von Stalking ein ungutes Gefühl, sind sich jedoch nicht sicher, ob es sich wirklich um Stalking handelt. Machen Sie dem Stalker sofort und unmissverständlich klar, dass Sie keinerlei Kontakt mehr wünschen. Bleiben Sie konsequent! Lassen Sie sich insbesondere nicht auf ein „letztes klärendes Gespräch“ ein. Bei einer akuten Bedrohung, zum Beispiel wenn der Stalker jemanden verfolgt, in seine Wohnung eindringt, ein Angriff bevorsteht, sollten Betroffene die Polizei über den Notruf 110 alarmieren. Sie sollen Anzeige erstatten und können sich dabei in der Regel von einer Person ihres Vertrauens oder einem Rechtsbeistand begleiten lassen.
Was ist dabei noch wichtig?
Auch wenn es schwerfällt, betroffene sollen alle Anrufe, Nachrichten oder Briefe dokumentieren und ein Tagebuch darüber führen. Jeder Kontakt und seine Auswirkungen sollten aufgeschrieben und festgehalten werden. Außerdem gilt: Öffentlichkeit kann Betroffene schützen, sie sollten ihr gesamtes Umfeld wie Familie, Freunde, Arbeitskollegen und Nachbarn informieren, dass sie Opfer eines Stalkers geworden sind. Und sie sollten sich an eine Einrichtung wenden, die Opfern hilft. Auch die Polizei vermittelt Kontakte zu Hilfeeinrichtungen und Beratungsstellen. Bei Telefonterror und Cyberstalking kann man sich über technische Schutzmöglichkeiten geheime Rufnummern, Fangschaltung, Anrufbeantworter, Handy, Zweitanschlüsse, E-Mail-Adresse und anderes beraten lassen und man kann beim Amtsgericht eine „Einstweilige Verfügung / Schutzanordnung“ nach dem Gewaltschutzgesetz beantragen.
Das Gesetz dazu wurde zweimal überarbeitet. Was ist besser geworden?
Durch die Gesetzesverschärfung kann zum einen Cyberstalking besser erfasst und der strafrechtliche Schutz auch im Internet gestärkt werden. Zum anderen wurde für einen besseren Opferschutz die Strafbarkeitsschwelle herabgesetzt, in dem Stalking nach dem Wortlaut des Gesetzes bereits dann strafbar ist, wenn die Handlungen des Stalkers „geeignet sind, die Lebensgestaltung des Opfers nicht unerheblich zu beeinträchtigen“.
Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass Opfer von Stalking, bevor sie in eine Spirale voller Angst und gefühlter Hilflosigkeit rutschen, frühzeitig Anzeige bei der Polizei erstatten. Häufig zeigt ein schnelles und konsequentes Einschreiten der Polizei gegen den Stalker Wirkung, so dass die Belästigungen nach der Anzeige aufhören.