Der Gauselfinger Tilman Heidemann weiß, wie man alte Dampfloks und alte Turbinen wieder in Schuss bringt. Foto: Rapthel-Kieser Foto: Schwarzwälder Bote

Wirtschaft: Tilman Heidemann baut und repariert alte Turbinen für Wasserkraftwerke und saniert Dampfloks

Wäre es nach Tilman Heidemanns Familie gegangen, hätte er Kirchenmusikdirektor werden sollen. Jetzt hält der 60-jährige aber vor allem riesige Schraubenschlüssel in der Hand. Er hat sich in einer außergewöhnlichen Handwerker-Nische selbstständig gemacht und ist damit international erfolgreich.

Burladingen-Gauselfingen. "Mit 15 oder 16 hatte ich keinen Bock auf gar nichts", schildert Heidemann seine Zeit als junger Wilder in den bewegten Sechzigern. Lange Haare, nicht die besten Noten und immer auf Krawall gebürstet.

Den Geigenunterricht schmeißt er irgendwann hin, die alleinstehende Mutter ist bald überfordert, der Junge landet in verschiedenen Pflegefamilien. In einer davon habe er sich "richtig aufgehoben gefühlt" erzählt er. Diese Familie lebte an einem Fluss und hatte ein kleines Wasserkraftwerk. Das wird die erste Liebe des Teenagers. "Vielleicht wegen des Wohlfühlambientes und den positiven Erinnerungen, die ich damit verbinde", rätselt er heute. "Der Geruch von fauligem Wasser, Elektro und Kohle, von Öl zusammen mit dem Geräusch der Turbinen und dem Klappern der Riemen", schildert er seine damals so nachhaltigen Eindrücke. Heidemann war gleich fasziniert von dieser Technik, diese Faszination lässt ihn zeitlebens nicht mehr los.

Der Vater eines engen Freundes wird sein Mentor und drängt ihn nach dem Hauptschulabschluss dazu, eine Lehre als KfZ-Mechaniker zu machen. Ein Glücksfall, denn damals, so sagt der Gauselfinger Unternehmer, war diese Ausbildung noch sehr allumfassend. "Wir haben ständig Motoren komplett auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt".

Heidemann geht nach der Lehre nach Berlin, kommt wieder zurück, nimmt in unterschiedlichen Firmen verschiedene Jobs an als Leiharbeiter, Kranführer, Schweißer und entdeckt bei einem dieser Jobs an der Wiesatz in Gönningen ein Wasserkraftwerk. "Das lag im Dornröschenschlaf", erzählt er. Alle hielten es für kaputt. Heidemann ließ es drauf ankommen, nahm den Schraubenschlüssel in die Hand, befreite die alte Turbine vom Schlick, baute wichtige Teile aus und ein und legte den Schalter um. "Und da ging das Licht an", berichtet er noch heute freudestrahlend. Irgendwann kauft er die Anlage, verschippert sie nach Kamerun und baut sie dort wieder auf. Er kauft Turbinen aus anderen stillgelegten Wehren, verkauft sie wieder, macht seinen Meister im KfZ-Handwerk.

"Und dann kam Tschernobyl"

"Und dann kam Tschernobyl", erinnert sich Heidemann, der sich damals überlegte, dass Wasserkraft doch eine saubere Alternative sein und dass man doch noch so manche alte Anlage wieder in Betrieb nehmen könnte.

Nach dem Motto: "Siegen oder sinken" macht er sich selbständig, gibt Anzeigen in einschlägigen Fachmagazinen auf. Seine Firma "Heidemann Wasserkraftanlagen" bietet Reparaturen, Wartung und Instandhaltung von Wasserkraftwerken an und weil Heidemann auch ein "alter Eisenbahner" ist, kommen auch immer öfter Dampfloks hinzu. 1999 kauft sich der Unternehmer ein altes Wasserkraftwerk in Pfullingen. Obwohl er die halbe Million Kaufpreis voll finanzieren muss, drängt ihn sein Steuerberater zu dem Deal. Nach zehn Jahren sind die Schulden abbezahlt, das Kraftwerk läuft heute noch und speist fleißig die Kilowatt ins Stromnetz ein.

Nicht nur in Kamerun, auch in Südafrika, Neu-Südwales und Queensland in Australien laufen Wasserkraftwerke, die Heidemann installiert und die Turbinen dazu repariert oder gebaut hat. Eins davon in Australien gehört ihm gar. Oft gäbe es bei Wasserkraftanlagen Probleme mit dem ölhydraulischen Regler, in anderen Schwierigkeiten mit der Elektronik, berichtet er. Außerdem müsse man darüber entscheiden, ob man versucht eine Turbinenwelle zu retten oder sie in Stücke teilt und eine neue herstellt.

Der Mechaniker eines kleinen Wasserkraftwerkes müsse nicht nur seine mechanische Arbeit beherrschen, sondern außerdem Stahlkonstruktionen und Hydrauliksysteme ausbauen, elektrische Bauteile installieren, dann wiederum ein Weißmetall-Lager einzuschrauben. 1987 zieht Heidemann ins WIR-Projekt nach Gauselfingen, 2011 kauft er das alte Sägewerk an der B 32 Richtung Sigmaringen und zieht mit seiner Werkstatt schließlich 2014 dort ein.

Längst ist der Wahl-Gauselfinger der Fachmann in der Nische. "Solche wie mich, die gibt’s vielleicht zehnmal in Deutschland" schätzt er. Anzeigen schaltet er schon lange keine mehr. Seine Telefonnummer kursiert in der Szene als Geheimtipp. Da rufen schon mal die Technischen Universitäten deutscher Großstädte an und lassen sich für Entwicklungsprojekte im fernen Afrika beraten oder Vereine, die ihre alte Dampflok wieder auf Vordermann bringen wollen fragen an, wann sie das Stahlross bei ihm abliefern können.

Die Notenschlüssel hat Tilman Heidemann trotz allem nicht beiseitegelegt. Im großen ehemaligen Sägewerk ist auch die Gauselfinger Groove Company untergebracht. Dort bei der Gospel-Band und dem Chor ist Heidemann stellvertretender Vereinsvorsitzender. Und spielt mit Begeisterung auch wieder Geige.