Die Aufzucht von älteren Rehkitzen ist ein Kunststück, das nur selten gelingt. (Symbolbild) Foto: Sanz

Kreisforstamtsleiter: "Kenne niemanden, der gern auf Kitze schießt." Appell an Hundehalter: Tiere anleinen.

Burladingen - Sonntagabend, 2. September: Auf einer Wiese zwischen Hermannsdorf und Hofgut Küche stößt ein Jäger auf ein schwer verletztes Reh. Dem Tier wurde ein großes Stück Fleisch herausgerissen, Teile des Gesäuges fehlen. Offenbar wurde das Tier von einem Hund attackiert. Der Jagdpächter trifft eine Entscheidung. Er erlöst das Reh. Doch dieses ist nicht alleine. Es hat sein Kitz bei sich. Das Jungtier ist nicht verletzt. Der Jäger erlegt es trotzdem. Im Netz entbrennt darüber eine hitzige Debatte.

Bei vielen Usern wirft die Entscheidung Fragen auf. Hätte man das kleine Reh nicht verschonen können? Es von Hand aufziehen? Hat der Jagdpächter wirklich richtig gehandelt? Oder bestätigt dieser Vorfall schlicht das Klischee vom schießwütigen Waidmann? Ganz so einfach ist die Sache wohl nicht. Vorneweg: Illegal gehandelt hat der Jagdpächter nicht. Seit 1. September ist die Schonzeit vorbei, Rehe und Kitze dürfen wieder bejagt werden.

Nichtsdestotrotz scheint das Erlegen des Reh-Nachwuchses in Jägerkreisen ein sensibles Thema zu sein. Er kenne keinen Jäger, der gerne auf Kitze schieße, sagt Christoph Heneka. Der Forstamtsleiter des Zollernalbkreises kennt den Fall in Burladingen zwar nicht aus eigener Anschauung, kann die Entscheidung seines Jäger-Kollegen aber nachvollziehen. "Ich hätte in dieser Situation vermutlich ganz genauso entschieden", meint Heneka. Auch wenn es ihm schwer gefallen wäre, auf das kleine Reh anzulegen. "Ich habe daran wirklich gar keine Freude", versichert der Leiter des Kreisforstamts.

Appell: Hunde an Leine nehmen

Mit nach Hause genommen hätte er das Kitz wohl dennoch nicht. "In diesem Alter glückt eine Handaufzucht selten", meint Heneka. Der Fluchtreflex vor dem Menschen sei meist schon zu stark ausgeprägt. "Die Kitze sind jetzt quasi im Kindergartenalter. Sie sind nicht mehr dringend auf die Milch angewiesen, haben aber eine enge Bindung an die Mutter und lernen noch viel von ihr." Vermutlich, meint der Kreisforstamtsleiter, habe der Jäger das kleine Reh einfach nicht alleine, verwirrt und desorientiert zurücklassen wollen.

Das Kitz alleine zurückzulassen sieht auch Rolf Müller, Jagd- und Wild-Fachbeauftragter beim NABU Baden-Württemberg, kritisch. Aus Tierschutzsicht habe der Jäger korrekt gehandelt, bestätigt Müller. Und das, obwohl er dem Reh-Nachwuchs gute Überlebenschancen einräumt. "Zu 95 Prozent wäre das Tier durchgekommen. Aber schön wäre die Erfahrung für das Kitz vermutlich nicht gewesen."

Einig sind sich Heneka und Müller auch darin: Im und am Wald gehören Hunde an die Leine. Jürgen Feser, Wildtierbeauftragter im Zollernalbkreis, kann sich diesem Appell nur anschließen. Auch mit dem gehorsamsten Hund gehe mitunter der Jagdinstinkt durch, wenn er erst einmal eine Wildfährte aufgenommen habe, meint Feser. "Da kann man dem Hund auch gar keinen Vorwurf machen, es liegt in seiner Natur." Umso wichtiger sei es, seinen Hund anzuleinen und möglichst nur bei Tag im Wald spazieren zu gehen. Wildtiere, gibt Feser zu Bedenken, seien überwiegend in der Dämmerung und in der Nacht unterwegs. Halte man sich zu diesen Zeiten im Wald auf, laufe man Gefahr, die Tiere aufzuschrecken.

Feser hofft, dass möglichst viele Hundehalter diese Bitte beherzigen: Damit sich ein Fall wie dieser, der am Ende zwei Tiere das Leben gekostet hat, nicht wiederholt. Auch die örtlichen Jagdpächter setzen auf die Vernunft der Hundehalter. Sie haben nach dem Vorfall am Sonntag Infoblätter ausgehängt. Ihr Appell: "Wir bitten alle Hundehalter, ihre Tiere in unmittelbarer Nähe zu halten oder an der Leine zu führen."

Wie eine Handaufzucht gelingen kann

Nicht immer endet die Geschichte verwaister Rehkitze so tragisch wie jetzt in Burladingen. Ein Beispiel für eine gelungene Handaufzucht findet sich auf dem Eulersbacher Hof in Schiltach-Vorderlehengericht. Dort lebt seit Mai die kleine Lilly. Liebevoll haben ihre Zieheltern Sabine und Gerhard Bühler - im Übrigen selbst Jäger - das nur wenige Tage alte Kitz aufgepäppelt. Einige Monate später gewöhnt sich Lilly schon an die Freiheit - schaut aber immer noch regelmäßig auf dem Hof vorbei.