Bei der jüngsten Inszenierung in der Pausa in Mössingen, glänzte der Lindenhof mit modernster Technik.Foto: Privat Foto: Schwarzwälder Bote

Interview: Der kaufmännische Leiter des Lindenhofs über Theater digital, Corona-Zwänge und die Kurzarbeit in seinem Team

B urladingen. Das Theater Lindenhof in Melchingen trifft die Corona-Krise zum ungünstigsten Zeitpunkt und mit voller Wucht und sorgt für große finanzielle Nöte. Wir sprachen deshalb mit dem Lindenhof-Herr der Zahlen: Dem kaufmännischen Leiter Christian Burmeister-van Dülmen.

Herr Burmeister-van Dülmen, sie sind im Stiftungsvorstand und der kaufmännische Leiter des Theaters Lindenhof in Melchingen. Jetzt sehen sie, dass viele Opernhäuser oder auch Theater im Internet oder über TV-Stationen Vorstellungen für ihr Publikum anbieten. Was halten Sie davon?

Neben allen aus der Profession wichtigen Aspekten, wie der Form oder Ästhetik im Brook´schen Sinn, ist Theater für mich grundsätzlich eine Verabredung zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Ein im Jetzt stattfindendes, lebendiges Gemeinschaftserlebnis zwischen Schauspielern und dem Publikum. Hierzu braucht es nicht einmal einen speziellen Raum, aber es benötigt einen fühl- und erlebbaren, gegenseitigen und gleichzeitigen Austausch. Ich bin hinsichtlich der Frage also sehr zwiegespalten. Für mich als Nutzer solcher Angebote, sehe ich diese, insofern sie nicht extra für diesen speziellen Kontext in ihrer Ursprungsidee bereits produziert wurden, zunächst als reine Werbung auf dem Rückweg zu einer erhofften Normalität an. Ich glaube, dass sich auch alle einig und bewusst darüber sind, dass Streaming- oder jegliche Onlineangebote kein Ersatz für das Erleben-Dürfen von Theater im klassischen Sinn ist.

Ist das ein Grund, warum der Lindenhof das nicht macht, sehen alle bei Ihnen das so?

Bei uns im Theater gibt es natürlich wie überall unterschiedliche inhaltliche Meinungen zu diesem Thema. Wir fühlen uns unserem Publikum verpflichtet, wollen aber auch nicht einfach nur etwas online stellen. Wir haben bereits das bisher aufgezeichnete Material gesichtet, bewertet und teilweise aufbereitet. Ich glaube, dass wir uns zumindest darin alle einig sind, dass ein jegliches Angebot in einen inhaltlichen Kontext eingebunden, oder im optimalen Fall, eigens dafür produziert sein sollte. Und hier kommen wir an unsere Grenzen. Seit der pandemiebedingten Schließung des Theaters mussten wir fast alle Mitarbeiter in Kurzarbeit entsenden. Ein überaus schmerzlicher und kontraproduktiver, aber zum Überleben der Institution, der einzig verbliebene Weg. Es wird etwas kommen. Ideen und Vorschläge gibt es zuhauf. Aber es braucht auch seine Zeit.

Als kaufmännischer Direktor und in der finanziellen Not des Lindenhofes nach dem Umbau, wären nicht Möglichkeiten von bezahlten Online-Streams für ihre Theaterkunden denkbar? Würde das nicht vielleicht beiden Seiten nützen?

Ja, natürlich. Allerdings würde dies zuallererst, unter den zuvor getroffenen Aussagen, zusätzliche Investitionen voraussetzen. Die Pandemie und ihre Auswirkungen kamen für uns zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Gerade haben wir die finanziell größte Investition seit Bestehen des Theater Lindenhof durch den Um- und Neubau des Theatergebäudes, hinsichtlich feuerpolizeilicher Auflagen und Barrierefreiheit getätigt. In unsere Zukunft investiert. Und hoffen noch darauf. Auf die Zeit danach. Auf unser Herz, auf unser lebendiges Theaterhaus.

Wäre die Technik denn vorhanden? Der Lindenhof glänzte ja in jüngster Zeit in vielen Inszenierungen mit zusätzlichem Video- und Kameraeinsatz und großen Leinwänden.

Natürlich hat das Theater Lindenhof eine einigermaßen ausreichende technische Ausrüstung für seine Theaterproduktionen. Eine professionelle Filmproduktion würde uns wahrscheinlich neben der speziellen erforderlichen Technik, allerdings auch personell, an unsere derzeitigen Grenzen bringen. Bis dato haben wir solche Aufträge, wie zum Beispiel bei der letzten großen Produktion "Aufstieg und Fall einer Firma" in der Pausa in Mössingen, immer an Dritte vergeben.

Birgt die Idee von Theater als digitale Veranstaltung auch Gefahren auf politischer Ebene?

Nein, oder vielleicht. Digital hin oder her. Aber zumindest behaupten wir, dass das Theater grundsätzlich mehr Auswirkungen auf die politischen Ebenen hat, als die politischen Ebenen auf uns. Das Theater und seine Form entwickelt sich, wie die Gesellschaft, deren Teil wir ja sind, ständig weiter. Hinsichtlich der Digitalität, haben eingespielte Videos, oder Livecams längst Einzug in die klassischen Theaterinszenierungen gehalten. Roboter haben bereits mitgespielt und selbst Kostüme wurden mittels Beamer auf die agierenden Schauspielerinnen und Schauspieler in Bewegung projiziert. Die Digitalisierung erweitert grundsätzlich die Möglichkeiten, wenn man es will. Die Zukunft wird meines Erachtens sogar noch mehr kommunikative Interaktion oder gar unmittelbares Eingreifen via Apps in Theateraufführungen, wie auch die Politik bringen, oder ermöglichen.

Theater interaktiv, ein sehr interessanter Gedanke und wie ausbaufähig ist das für den Lindenhof?

Die reine Übertragung einer Inszenierung kann einen, zwar minderen, aber immerhin Mehrwert bedeuten, wenn man nicht selbst dabei sein kann. Vor zwei Jahren hatten wir die Idee Theateraufführungen in Seniorenheime live zu übertragen. Der Clou daran allerdings war, dass wir neben der Live-Sendung der Theateraufführung und der Reaktionen des Publikums vor Ort in das Seniorenheim hinein, auch die Bewohner des Seniorenheims als Publikum mit all seinen Reaktionen vor, während und bis zum Schlussapplaus wiederum live zurück zu unserem vor Ort gegenwärtigen Theaterpublikum ins Theater übertragen wollten. Ziel wäre es gewesen, ein neues, für beide Seiten einzigartiges Erlebnis zu schaffen. Ich würde sagen – letztendlich haben wir uns nur nicht getraut, da die Auswirkungen auf die unterschiedlichen Inszenierungen selbst noch nicht vollständig durchdacht waren und auch kein unmittelbarer Bedarf bestand. Heute wäre dies vielleicht anders.

Lassen sie uns noch mal auf die Gefahren auf politischer Ebene zurück kommen, wenn sie derlei wagen sollten.

Ein "Theater" ist meiner Meinung nach vergleichbar mit einem wissenschaftliche Institut mit Forscherdrang, aber ohne Anspruch auf Beweise oder nachgewiesenem Wahrheitsgehalt. Ein Spiegel der Gesellschaft, mit vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran. Ein Ort, der prägt und lebt und sich ständig selbst hinterher ist. Kein Ort des Stillstandes. Und wenn, dann ginge eventuell eine Gefahr auf politischer Ebene einher. Aber dann vielleicht auch zurecht.

Sie kamen einst von den großen Bühnen in Stuttgart, waren dort teilweise stellvertretender Intendant und kaufmännischer Direktor in einem oder an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Wie hält man es denn in der Landeshauptstadt derzeit mit diesen Fragen?

Die Theater sind auch hier ein Spiegel der Gesellschaft. Das größte Problem für alle Kulturinstitutionen ist sicher zurzeit die totale Planungsunsicherheit. 19. April, 3. Mai, 15. Juni, 14. September, das sind Daten auf deren Grundlagen wir alle Dispositions-, Haushalts-, oder gar Liquiditätspläne erstellen. Ob Stadt oder Land, hier sind wir alle gleich. In der Finanzierung und der daraus resultierenden Existenzangst nicht. Das Theater Lindenhof hat es all die Jahre mit Mut und Risikobereitschaft geschafft, zwischen 50 und 60 Prozent seines Umsatzes mit poetisch-kritischem Volkstheater über Karten-, oder Gastspielverkäufe selbst zu erwirtschaften. Dafür wurden wir von der Politik, wie auch anderen Kulturinstitutionen bewundert und gelobt.

Nützt ihnen dieses Lob nun in der Krise etwas?

Angesichts der Corona bedingten Verordnungen und berechtigten Ängste sind uns nun alle Möglichkeiten, uns selbst zu retten, genommen worden. Dies macht mich nachdenklich, zumindest bezüglich den immer wieder beschworenen Bemühungen seitens der Politik für gleichberechtigte Lebensverhältnissen zwischen Stadt und Land sorgen zu wollen. In der Stadt liegt meines Wissens dieser sogenannte selbst erwirtschaftete Eigenanteil zwischen zehn und 25 Prozent. Der Rest ist Sicherheit, der über staatliche Zuschüsse berechtigter- und notwendigerweise, wie die jüngsten Entwicklungen uns aufzeigen gedeckelt wird. In Baden-Württemberg haben wir grundsätzlich das Glück im Kulturbereich, eine wunderbare engagierte Staatssekretärin und auch einen Ministerpräsidenten zu haben, die Wissen, dass Kultur und Kreativität kein Zeitvertreib, sondern die Basis, der Humus aller Entwicklung ist.

Und was wünschen sie sich ganz konkret von Politikern?

Ich würde mir wünschen, dass einzelne Landtagsabgeordnete ihre Stimme für uns erheben und so vielleicht auch parteiübergreifend ein Konsens gefunden wird, der uns nicht nur jetzt, sondern auch für die Zukunft eine Sicherheit für gute und richtungsweisende Kulturarbeit auf dem Land sichert. Denn nur Kreativität und diesbezügliche politische Haltungen bringen uns durch diese Zeit und schaffen einen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch, und vor allem im ländlichen Raum.

Die Fragen stelle Erika Rapthel-Kieser