Hermine Müller in ihrem Wohnzimmer mit einigen der Trachten, die sie genäht hat. Fotos: Rapthel-Kieser/Privat Foto: Schwarzwälder Bote

Historie: Die Burladingerin Hermine Müller näht museumsreif nach, was vor Jahrhunderten Mode war

Von wegen graue Vorzeit. "Da war alles farbenprächtig und bunt", sagt die Burladingerin Hermine Müller. Sie hat ein ausgefallenes Hobby. Getreu den Grabfunden und historischen Erkenntnissen näht die Burladingerin Kleidungsstücke und Trachten von Alamannen, Wikingern, Slawen und Awaren nach.

Burladingen. "Geschichte hat mich schon immer interessiert", sagt Hermine Müller. Sie wurde in Burladingen in der Schlossgasse groß und fragte schon damals nach, warum die Straße so heißt wie sie heißt. Mit ihrem Pony sei sie zusammen mit Freunden schon damals zu den Burgruinen geritten, dort hätten sie als Kinder gespielt und sich in die mittelalterlichen Welten der Ritter, Burgfrauen und Märkte hineingeträumt. Ihr Vater, so erinnert sie sich, hätte auch immer tolle Geschichten erzählt.

Mittlerweile gibt es in der Region wohl keinen Mittelaltermarkt oder Ritterspiele, sei es Kaltenberg, Horb oder Stein bei Hechingen, auf denen die Burladingerin noch nicht war. Oft geht sie in Tracht – und die ist selbst genäht. Historisch so genau wie möglich. Was in und rund um Burladingen in alten Alamannengräbern gefunden wurde und die Erkenntnisse, die sich daraus ergeben, die will die Burladingerin mit Nadel und Faden und schönen Stoffen lebendig werden lassen und auch anderen Menschen erfahrbar machen.

Dazu hat Hermine Müller auch mit Naturstoffen und wie man sie färben kann experimentiert. Mit Blättern, Borken, Flechten, Früchten und Schalen kann man Farben in die Kleider bringen, weiß sie.

Tage und Stunden hat sie in der Universitätsbibliothek in Tübingen gesessen sich mit Alamannen und alten Reitervölkern befasst, sich angelesen, was Wissenschaftler bei ihren Funden herausgefunden haben und welche Schlüsse sie daraus ziehen. Die Ausstellung 2008 im Hechinger Landesmuseum über Alamannen im Zollernalbkreis, so sagt sie, hätten auch ihr noch einmal tiefe Einblicke in den Alltag jenes Volkes gegeben, dass ab dem zweiten Jahrhundert nach Christus begann, die Römer zu verdrängen und vermutlich ab dem fünften Jahrhundert die Gegend um Burladingen besiedelte.

In den Gräbern sind meist nur noch die Metallstücke erhalten

Bei der Ausstellung, die Hermine Müller in einer selbst genähten Germano-Awarischen-Westslawinen Tracht besuchte, erregte sie Aufsehen. Sie kam mit Stefan Schmidt-Lawrenz, damals Leiter des Museums ins Gespräch. Er bat sie schließlich, die Patenschaft für das Alamannengrab Nummer drei zu übernehmen, das 1954 bei Ausgrabungen auf der Braike von Burladingen Richtung Gauselfingen am Hang hinter dem Ritter-Gebäude gefunden wurde. Ein Frauengrab aus dem fünften Jahrhundert, mit zwei Vogelfibeln und zwei Zangenfibeln. Die letzteren weisen darauf hin, dass die Frau aus dem Thüringer Raum kam, da diese Fibeln von dort stammen. Vielleicht, so spekulieren Historiker, ist sie von dort vor den Übergriffen der Franken geflohen. Die Thüringerin gilt bei den Archäologen heute als die Gründerin des längst abgegangenen Weilers Meggingen, an den heute in Burladingen noch der Straßenname Mayingerstraße erinnert.

"Eine außergewöhnliche Frau, deren Grab mich sofort fasziniert hatte", sagt Hermine Müller.

Sie sollte also nun die Kleidung der Frau, die in diesem Grab beerdigt wurde, möglichst originalgetreu nachnähen. Nicht ganz so einfach, denn alles, was in diesen Gräbern erhalten ist, sind die Gegenstände aus Metall. "Man findet ja nur noch den Schmuck und die Waffen", sagt Hermine Müller.

Die metallenen Fundstücke wurden also fotografiert und originalgetreu als Repliken nachgearbeitet. Hermine Müller machte sich ans Werk. Zuerst ordnete sie die Fibeln so an, wie sie im Grab gefunden wurden. Bei der Thüringerin war das im Brustbereich. Die Fibeln wurden nicht durch den Gewandstoff gestochen sondern durch kleine Ösen.

Erhalten waren von der Thüringerin außerdem ihre Perlenkette, Drahtröllchen, Ringe, eine Scheibe oder Münze und eben jene Zangenfibeln, die nachwiesen, dass sie aus Thüringen stammt. Außerdem fand man Vogelfibeln und die Gürtelschnalle. "Ich habe dann noch Messer, Schere, Kamm und Wadenbindengarnitur und das komplette Gürtelgehänge angefertigt, so, wie es hätte zu ihren Lebzeiten ausgesehen haben können", berichtet Hermine Müller.

Auch die Kleidung habe sie nach Vorlage von Funden aus dem Grab von Königin Arnegunde in Frankreich angefertigt. Kleid und Mantel knielang, damit die Wadenbindengarnitur sichtbar ist.

Aus Niederschriften der Römer über die Alamannen weiß man, dass auch die bis ins vierte Jahrhundert den Peplos trugen. Ein einfaches, schlauchartiges Gewand, das mit Fibeln zusammengehalten und meist mit einem Gürtel und großem Gürtelgehänge getragen wurde. Der "Peplos", so sagt Müller, wurde um und nach 400 durch die Tunika, ein geschlossenes Kleid mit Ärmel und Halsauschnitt, abgelöst. Die westgermanischen Damen fanden dieses "neue Kleid" überaus praktisch, und es wurde von der römischen Welt übernommen. "Dieses Kleidungsstück wurde bereits zuvor schon längst vom männlichen Geschlecht getragen", plaudert die eifrige Hobby-Historikerin aus dem Nähkästchen der Gender-Geschichte.

Sie ist sich sicher: "Frauen wollten schon damals schön sein, ihre Gewänder waren teilweise reich bestickt." Also brachte sich Hermine Müller außer dem Nähen auch das Sticken bei. "Es es sind einfache Stiche, die an den wenigen Textilfunden in Steingräbern oder Mooren nachweisbar sind. Beim Sticken verwende ich den Ausfüllstich, um die Motive auszufüllen oder den Zierstich, den ich auch zum Nähen von den Kleidungsstücken verwende".

Schon über hundert Gewänder hat Hermine Müller nachgenäht

Bald widmete sich Hermine Müller auch der Tracht der Burladingerin, die vor so vielen Jahrhunderten lebte und nähte diese nach. Die kleinen Fibeln fand man im Brustbereich als Mantelschließen, die großen Bügelfibeln im Hüftbereich, vermutlich zum Befestigen des Gürtelgehänges, das meistens linksseitig getragen wurde. Insgesamt hat sie wohl schon an die 100 Kleidungsstücke, Mäntel und Trachten genäht, einige auch für Geschichtsliebhaber, die bei Festen und Feiern gerne mal selber in Rollen schlüpfen.

Müller besuchte auch einen Schwertkampfkurs und fertigte alle Lederarbeiten für die kleinen und großen Taschen selber. Derzeit ist sie auf der Suche nach einem Sattler, denn beim Anfertigen von Sattel und Zaumzeug braucht sie Hilfe, um die Reiterausrüstung der damaligen Kämpfer nach Fundlage anfertigen zu können. "Am liebsten würde ich auch wieder mit Museen zusammenarbeiten", sagt die gelernte Industriekauffrau. Geschichte will sie weiter anschaulich machen.