Da half im Saal 181 des Hechinger Schöffengerichtes auch kein Desinfektionsmittel für die Bank von Verteidiger und Angeklagtem mehr. Der 63-jährige Burladinger konnte seine Hände nicht länger in Unschuld waschen. Foto: Rapthel-Kieser

Angeklagter Burladinger knapp an Haft vorbei geschrammt. Vermögen von 253.000 Euro wird eingezogen

Burladingen/Hechingen - Die Ulmer Zollbehörde erschien öfter zu früher Morgenstunde vor seinem Häuschen an der Durchgangsstraße, direkt gegenüber der Schule in dem idyllischen Burladinger Teilort. Beamte trugen dann kistenweise Akten heraus. Jetzt dürfte der Bewohner selber packen müssen – sein Häuschen ist wohl weg.

Am Mittwoch fiel das Urteil gegen den 63-jährigen Angeklagten, der über ein Jahrzehnt zu Anfang der 2000er Jahre immer wieder Hilfsarbeiter aus Osteuropa auf die Schwäbische Alb holte, sie im eigenen Haus und im Nachbarhaus unterbrachte und in der ganzen Region für Hilfsarbeiten auf Baustellen und bei Abbruchfirmen schuften ließ. Ohne Urlaubsanspruch, ohne Krankenversicherung, ohne Sozialabgaben – und teilweise sogar ohne Lohn.

Denn wenn er die Slowaken und Tschechen an andere Firmen abtrat, wurden sie öfter nicht bezahlt. Das hatte dem Angeklagten jetzt, bereits zum wiederholten Mal, einen Prozess wegen Sozialbetrug und Entziehung von Lohn eingebracht.

Angeklagter bei Prozess nicht mehr vorbestraft

Die Ulmer Zollbehörde, die Finanzkontrolle Schwarzarbeit Pfullingen und die örtliche Polizei hatten bei den Ermittlungen, Recherchen, bei den Vernehmungen und Berechnungen zwar ihr Bestes gegeben, weil Justitia aber – personell nicht gerade rosig besetzt – mit derlei Prozessen kaum hinterherkommt, galt der Angeklagte jetzt, zum Zeitpunkt dieses Prozesses nicht mehr als vorbestraft. Denn während die Fälle aus dem Zeitraum vor 2014 jetzt erst verhandelt wurden, erging für die Straftaten aus den Jahren davor erst jetzt ein Urteil. Der Angeklagte war also im juristischen Sinne nicht vorbestraft, was der Richter betonte.

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Bereits 1984 hatte sich der gebürtige Tscheche nach abgeschlossener Lehre als Bauzeichner und einem Studium der Hochbautechnik mit einem Planungsbüro selbstständig gemacht, hatte sich mit seiner Mutter in dem nicht mal 1000 Einwohner zählenden Dorf auf der Oberen Alb niedergelassen. 2007 ging die Firma, die zum Schluss zahlreiche Hilfskräfte aus Osteuropa auf die Alb geholt und weiter vermittelt hatte, in die Insolvenz.

70-jährige Mutter eröffnet Scheinfirma

Kurz darauf eröffnete die damals schon fast 70-jährige Mutter eine Firma in der gleichen Branche – mit gleicher Tätigkeit: Planungen des Sohnes für verschiedenen Firmen und Leiharbeiter aus Osteuropa. Vorstrafe hin, die greise Mutter als offizielle Geschäftsführerin her, er sei "der Strippenzieher" all dieser Aktivitäten gewesen, warf die scharf argumentierende Staatsanwältin dem Angeklagten in ihrem Plädoyer vor. Er hätte die wirtschaftliche Not der Menschen, teilweise eigener Landsleute, ihre mangelhaften Deutschkenntnisse und ihre Unwissenheit in juristischen Dingen ausgenutzt. Dass die Zollbehörde bei ihm auftauchte, dass ihm eine Klage ins Haus flatterte, das hätte ihm "ein Schuss vor den Bug" sein müssen. Statt dessen habe er unter einem anderen Firmennamen "nahtlos so weiter" gemacht. Die "goldene Brücke" ein Geständnis abzulegen, die sie ihm in den ersten beiden Verhandlungstagen noch gebaut habe, über die zu gehen habe er abgelehnt, weshalb ein Geständnis auch nicht als strafmildernd in Erwägung gezogen werden könne.

Vermögen wird eingezogen

Die Staatsanwältin forderte zwei Jahre und neun Monate Haft für den Angeklagten, wollte wegen der Verzögerung auf Seiten der Justizbehörde nur fünf Monate der Strafe abziehen. Und: der Gesetzgeber lasse keine andere Wahl. Niemand darf die Früchte seiner illegalen Tätigkeit ernten. Ein Vermögen in Höhe von 253 000 Mark, der Schaden des Sozialbetruges, müsse eingezogen werden.

Weit davon entfernt war der Antrag des Verteidigers in seinem Plädoyer. Er forderte Freispruch, denn seinem Mandanten sei "maximal eine schlechte Buchführung" anzulasten, er sei immer davon ausgegangen, dass die Arbeiter die Bescheinigungen dass sie selbständig seien und eine Arbeitserlaubnis in Deutschland hätten gehabt haben. Nur Kopien habe er nie gemacht. Und wenn schon eine Gefängnisstrafe, dann wenigstens eine auf Bewährung stellte der Verteidiger klar.

Zuvor hatte das Gericht seinen Antrag auf Vernehmung weiterer Zeugen und nochmaliger Vorladung der bereits in den ersten Verhandlungstagen vorgeladenen Osteuropäer abgelehnt. Ihre Aussagen damals vor der Zollbehörde waren verlesen worden, neue Erkenntnisse seien nach fünf Jahren nicht zu erwarten.

Eine Haft von zwei Jahren und neun Monaten bedeute für jemand mit seinem Gesundheitszustand "das Todesurteil", so der 63-jährige Burladinger, der das Gerichtsgebäude immer an Krücken betrat und während der mehrtägigen Verhandlung mehrfach aufstehen musste. Seine Bandscheiben- und Nervenprobleme waren schon aus früheren Verhandlungen aktenkundig.

Beim Urteil ließ das Schöffengericht zumindest Gnade ergehen, was die Haft anging. Zwei Jahre auf Bewährung, von den zwei Jahren zog es fünf Monate ab, die Bewährungszeit läuft ebenfalls auf zwei Jahre. Ins Gefängnis wird der alte und kranke Tschechen-Boss also nicht müssen. Sein ohnehin durch Kredite belastetes Häuschen aber dürfte futsch sein. Das Gericht ordnete die Einziehung des Vermögens an. "Da sind uns die Hände gebunden", so der Richter. Der Verteidiger und sein Mandant können innerhalb einer Woche Berufung oder Einspruch einlegen.

Kommentar: Landfrust

Von Landlust konnte trotz Dorfidylle und heimeliger Alblandschaft bei den Hilfsarbeitern aus dem Osten wohl keine Rede sein. Das war eher Landfrust, denn viele hausten eingepfercht in ihren kleinen Wohnungen und haben sich, so bestätigte es einer der damals amtierenden Ortsvorsteher, am Dorf- und Kneipenleben kaum beteiligt.

Bis auf den einen, ein Tscheche, Spitzname Jesus, der durchaus Freundschaften im Dorf geschlossen habe. Der Mann sei innerhalb des Ortes auch mehrfach umgezogen. "Jesus" sei dann bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

In der Regel seien Tschechen und Slowaken immer ordentlich angemeldet worden auf dem Ortsamt, bestätigte es der ehemalige Ortsvorsteher, der 2017 alle seine Ämter abgab. Und ja, natürlich habe man im Dorf geredet, dass der Zoll da kontrolliert habe, eine Razzia war und die Osteuropäer alle mitgenommen habe. "Aber ein paar Tage später sind sie ja alle wieder da gewesen. Genau die gleichen, und es ging gerade so weiter", so der ehemalige Kommunalpolitiker und Gemeinderat. "Und wenn die übergeordneten Behörden nichts tun, was sollen dann wir machen?" Landfrust schieben wohl kaum.