Auf dem Laufsteg in der Bogenhalle der Mössinger Pausa: Dort nimmt Regisseur Becker die Zuschauer mit auf eine abenteurliche Theaterreise. Foto: Becker Foto: Schwarzwälder Bote

Theater Lindenhof begeistert mit "Aufstieg und Fall einer Firma"

Mössingen. Ist das noch Theater? Es ist. Aber nicht nur. Mit dem Stück "Aufstieg und Fall einer Firma", in dem es um die 100-jährige Geschichte der Mössinger Pausa und deren Verbindungen zum Bauhaus geht, beweist auch das Theater Lindenhof, allen voran Regisseur Philipp Becker, wie einst die Gründerväter des Bauhauses den Mut zur Moderne. Das Premierenpublikum war begeistert. Denn Becker spielt in der Mössinger Pausa mit all den Nachteilen, die die Bogenhalle bei Theateraufführungen haben mag. Er nutzt sie kreativ und verwandelt sie, auch mit den technisch aufwendigen Mitteln seiner Inszenierung, in Vorteile.

Auf einem fast 40 Meter langen Laufsteg zieht er die Zuschauer gewissermaßen hinein in den Ablauf der Jahrzehnte, die seit der Gründung der Pausa vergangen sind. Bereits vor Beginn des Theaterstücks wird das Publikum aufgefordert, einmal um die Installationen und den Laufsteg zu wandern. Es bekommt Raritäten der Industriegeschichte zu sehen: alte Transportwagen für Stoffballen und Deko-Entwürfe, die alte Telefonschaltzentrale der Fabrik mit ihren Stöpselkontakten, die ersten Computer der Firmengeschichte, das historische Büro des Geschäftsführers, die Entwurfszimmer der Direktricen – vieles, was sich in der Pausa fand, als diese an die Stadt Mössingen verkauft wurde.

In dem Theaterstück lässt Becker die Lindenhof-Schauspieler und die Laien-Darsteller nicht nur auf dem Laufsteg und darum herum agieren. Auf drei riesigen Leinwänden rechts, links und am Ende der Bühne werden immer wieder historische Aufnahmen gezeigt, die in den Kontext passen. Mal sind es zuvor aufgenommene Szenen mit den Akteuren, mal ein Sammelsurium jener bedruckten Dekostoffe, mit denen die Pausa weltweit brillierte. Zudem ist ein Kameramann fast allzeit auf der Bühne präsent. Was in den weniger einsichtigen Räumen am Rand des Laufstegs passiert, bringt dieser auf die Bildschirme, kommentiert von einem Chor dreier Damen, die erhöht in einer Loge sitzen, rezitieren und deklamieren.

Die Musik dazu, komponiert von Johannes Hofmann, kommt live von der Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter der Stabführung von Gabriel Venzago. Aus Musik, Videos, Chor und Theater macht Becker ein atemberaubendes Crossover der Künste, das er in der ganzen Tiefe und Breite der Pausa mit 100 Mitwirkenden vor dem Publikum entfaltet.

Autor Franz Xaver Ott und Regisseur Philipp Becker sezieren die simple Wahrheit, dass das Kleine ins Große wirkt, dass das Private auch politisch ist. Dabei sind es auch die kleinen, leisen Szenen, die eine große Wirkung entfalten: Etwa wenn die Firmengründer Arthur und Felix Löwenstein im Zuge der Arisierung vergeblich um gerechte Bezahlung beim erzwungenen Verkauf der Pausa kämpfen und dabei minutenlang mit ihren Frauen im Regen stehen, der von der Pausadecke auf sie herabrinnt. Oder der Moment, in dem der Architekt der Pausa sagt, die von ihm entworfene Bogenhalle könnte alles sein, nicht nur Fabrik, sondern auch ein Aufführungsort.

Auch die Rede an die Hinterbliebenen der Familie Löwenstein beim Empfang in Mössingen vor zehn Jahren und schließlich, wenn eine Isabelle Stauffenberg, sich auf ihren Urgroßonkel berufend, am Ende an die Verantwortung aller erinnert, damit sich Geschichte nicht wiederholt.