Auf der Burghalde bei Stetten wurde ein Soldat in den letzten Kriegstagen von Granatsplittern getötet.Foto: Rapthel-Kieser Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Ein Zeitzeuge erinnert sich an den Zweiten Weltkrieg vor 75 Jahren / Erdklumpen fielen vom Himmel

Vor genau 75 Jahren war der Zweite Weltkrieg fast schon zu Ende, ehe die Franzosen in Stetten einmarschierten. "Diese Ereignisse haben sich in meinen Erinnerungen tief eingeprägt", sagt ein inzwischen 82-Jähriger Zeitzeuge.

Burladingen-Stetten. Schwere Bomberverbände überflogen den Ort, durch Abschuss von Flugzeugen sprangen teilweise Besatzungsmitglieder mit Fallschirmen ab. Diese überlebenden Besatzungsmitglieder wurden durch den Volkssturm gefangen genommen, so auch in Stetten.

   8. April 1945, Weißer Sonntag: Am Morgen gegen 11 Uhr flogen schwere Bomberverbände in niedriger Höhe über Stetten. Kurze Zeit später hörte man Explosionen und spürten Erschütterungen. Die damalige Muna Haid, ein Munitionslager der Luftwaffe, war das Angriffsziel.

   9. April 1945: Durch weitere Angriffe wurde das Außenlager, damals Dicker Hau, getroffen. Es lag etwas näher an der Ortschaft, dort waren auch schwerere Bomben gelagert. Die Druckwellen zerstörten in Stetten Fensterscheiben und Scheunentore. Auch wunderschöne, farbige, in Blei gefasste Kirchenfenster wurden völlig zerstört. Dies waren die ersten Schäden im Ort.

   18. April 1945: Am späten Nachmittag kreisten mehrere Jagdbomber über die eigene Gemarkung. Meine Mutter, ein französische Kriegsgefangener und ich befanden uns mit einem Kuhgespann auf dem Heimweg von Feldarbeit. Zwei dieser Flugzeuge nahmen uns in Bordwaffenbeschuss. Ich hatte großes Glück und wurde nicht getroffen. Eine Kuh erhielt einen Durchschuss und musste notgeschlachtet werden.

Die anderen Flugzeuge warfen im Sturzflug Brandbomben über Stetten ab. Vermutlich wegen geringer Flughöhe öffnete sich nur ein Kanister, durch diesen Umstand gerieten glücklicherweise nur zwei Gebäude in Brand. Junge Frauen und alte Männer, löschten mit der alten Spritze aus dem 18. Jahrhundert unter schweren körperlichen Einsatz. Durch diesen Einsatz konnte ein Übergreifen der Flammen auf benachbarte Gebäude verhindert werden. Die Löscharbeiten wurden durch das Überfliegen von feindlichen Flugzeugen teilweise unterbrochen, die Löschmannschaft flüchtete in nahe Gebäude.

  23. April 1945: Am Morgen, als es noch dunkel war, hat uns die Mutter geweckt und angezogen. Bettwäsche und andere Habseligkeiten brachte man in einen Bollerwagen. Die Großmutter steckte noch zwei Rosenkränze ein und mit diesem Wagen sowie zwei Schwestern der Großmutter machten wir uns auf den Weg ins Unterdorf zum Großvater. Im Dorf herrschte ein hektisches Treiben von Soldaten.

Am Kobel und am Dorfrand in nordöstlicher Richtung gingen jeweils eine Batterie mit drei Geschützen in Stellung. Ein weiteres Geschütz an der Brücke nach Hörschwag und eine Granatwerferstellung an der Burghalde. Zwei Kettentransportfahrzeuge (RSO Schlepper) versorgten die Stellungen mit Munition.

In dem von uns verlassenen Haus am Dorfrand richtete die Wehrmacht eine Beobachtungsstelle und ein Befehlsstand ein. Alle Stellungen waren durch Feldtelefon mit dieser Zentrale verbunden. Von der Beobachtungsstelle gab es einen freien Blick nach Melchingen.

Der 23. April, ein mit tiefhängenden Wolken verregneter Frühlingstag, war Glück für unser Dorf, der Feind konnte keine Flugzeuge einsetzen. Wir Kinder und Nachbars Kinder spielten im Hof des Großvaters im Rubel (heute Hörschwagerstraße).

Meine Mutter versorgte die beim Flugzeugangriff verwundete Kuh. Im Stall hörte sie von dem Befehlsstand es kommen Panzer Feuer bereit. Sie verließ den Stall und rannte ins Dorf. Beim Blick in Richtung Melchingen sah sie eine Kolonne von Panzer in Richtung Stetten. Die Geschütze feuerten in Richtung Melchingen, sie konnte sehen, dass zwei Panzer getroffen wurden. Die Panzer machten eine Kehrtwende und fuhren zurück, ein Panzer ist liegengeblieben, ein zweiter wurde ins Schlepptau genommen.

Kurz vor 16 Uhr gab es eine Explosion und Erdklumpen fielen vom Himmel, eine Granate hatte ganz in der Nähe eingeschlagen. Die spielenden Kinder rannten in die umliegenden Häuser. Mein Großvater übernahm das Kommando und alle mussten in den Keller. Pfeifen von fliegenden Granaten und nahe Explosionen, verbreiteten Angst und Schrecken. Alle Hausbewohner und teilweise auch Soldaten flüchteten in den Keller. Gleichzeitig begannen die beiden Großmütter einen Rosenkranz zu beten, ältere Soldaten saßen auf der Kellertreppe und beteten mit.

In einer Feuerpause im Artilleriefeuer konnten wir ins Freie und uns umschauen. Der Hof und die Straße waren übersät mit kaputten Dachziegeln und Stromdrähten. Neben der Straße lagen tote Pferde. Die Granateinschläge trafen den südlichen Teil von Stetten in Richtung Hörschwag. Das Haus von Schreiner Riedinger war schwer getroffen, die in den Keller geflüchteten Personen kamen nicht zu Schaden. Nach einer Feuerpause gab es weiteres Artilleriefeuer.

Ein Großteil der Granaten verfehlte das Dorf und explodierte im Wald nordwestlicher Richtung. Mehrere Häuser wurden sehr stark beschädigt. Die ganze Bevölkerung verbrachte die Nacht im Keller. Ein Teil der Bewohner vom Oberdorf suchten Schutz in den Höhlen unter der Ruine Holstein. Die Nachricht über die jeweilige Situation wurde von Keller zu Keller weitergegeben.

Am anderen Morgen, ein kalter Frühlingstag, fuhren Panzerkolonnen durch unseren Ort. Die Panzerbesatzung (Marokkaner) wärmten ihre Beine und Stiefel im Kachelofen der anliegenden Häuser. Sie zogen jedoch bald weiter, Plünderungen oder Vergewaltigungen hat es in dieser Phase nicht gegeben. Endlose Kolonnen mit Panzer und Fahrzeugen zogen tagelang durch den Ort in Richtung Süden.

Waffen und Wertgegenstände Radio und Ferngläser und dergleichen mussten im Rathaus abgegeben werden. Der Ort wurde mehrmals umstellt. Soldaten durchsuchten die Gebäude, Wertgegenstände wurden zum Teil beschlagnahmt.

  29. April 1945: Wochen vor diesem Datum ist der elektrische Strom ausgefallen. Für Haushalt und Vieh muss das Wasser am Brunnen geholt werden, dies war Aufgabe von uns Kindern. Am Abend des 29. April standen wir in der Schlange am Brunnen. Um etwa 18 Uhr erschütterte eine starke Explosion aus Richtung Melchingen die Ortschaft. Unter der Brücke waren mehrere Fliegerbomben versteckt. Diese wurden durch versprengte Soldaten (Werwolf) gezündet. Ein tiefer Krater in der Lauchert machte die Straße unpassierbar.

Die französischen Truppen stellten der Gemeinde ein Ultimatum, dass die Straße bis am anderen Morgen befahrbar sein muss, andernfalls drohte die Besatzer mit schweren Vergeltungsmaßnahmen. Alle Einsatz fähigen insbesondere ältere Männer machten sich an die Arbeit. Baumstämme und Lesesteine von der Feldflur wurden beigefahren. In einer kalten, stürmischen Nacht mit Schneeregen, stellten alle Beteiligten eine Straße her. Dies war eine außergewöhnliche Leistung aller Beteiligten.

Vor dem 23. April errichtete der Volkssturm zwei Panzersperren. Zwei Reihen senkrecht stehender rund drei Meter langen Fichtenstämme wurden links und rechts neben der Straße eingegraben. Zur Schließung lagen weitere Fichtenstämme bereit. In der Hektik beim Abzug der deutschen Truppen wurde dies jedoch nicht geschlossen. Ein Glücksfall für unser Dorf.

Beim Feuerüberfall am 23. April wurde ein deutscher Soldat an der Burghalde durch Granatsplitter getötet. Beim Abschuss des feindlichen Panzers ist ein Besatzungsmitglied gefallen. Durch den glücklichen Umstand, dass die meisten Häuser mit Keller versehen waren, haben die Einwohner einen guten Schutz gehabt, es kamen keine Bewohner zu Schaden.

Mehrere Wochen ist der elektrische Strom ausgefallen, dadurch ist die Wasserversorgung zusammengebrochen. Zeitweilig ordnete die französische Besatzung Ausgangssperren an. Lebensmittel konnte man nur mit Karten erhalten. Schlachtreife Tiere mussten abgeliefert werden, sogar meine Karnickel. Radioapparate mussten abgeliefert werden.

Mehrere Monate gab es keine Zeitung. Einzige Information erfolgte durch den Amtsdiener mit Schellenaufruf ( im Volksmund der Bolizei) genannt. Die Mitteilungen erfolgten im schwäbischen Dialekt. Die meisten Evakuierten sprachen nur Hochdeutsch, die Dorfbewohner fungierten dann als Übersetzer.