Während Orgons Mutter Madame Pernelle mit dem Rest der Familie über die Rechtschaffenheit Tartuffes streitet, scheint dieser über den Dingen zu schweben. Foto: Markus Greiß

Bei den diesjährigen Burgfestspielen Rötteln mutiert Molières Betrüger Tartuffe zum Yoga-Guru.

Es ist eine Kunst, mit minimalen Mitteln maximale Wirkung zu erzielen. Das gelingt Regisseur Simon Rösch bei der Premiere von „Tartuffe“ bereits in der ersten Szene.

 

Während Dienstmädchen Flipote (Audrey Oddlokken) die Bühne fegt, schwebt eine Etage höher eine entrückte Gestalt in weißem Gewand in der Luft – ohne erkennbare Verbindung zum Boden, aber mit tropfenförmigem Zeichen auf der Stirn. Zusammen mit den acht mannshohen Bambusstäben am rechten Bühnenrand reicht das aus, um dem Publikum zu signalisieren: Dieser Tartuffe (schaurig gut gespielt von Oliver Rösch) gibt sich – anders als in Molières Vorlage – nicht als tieffrommer Christ aus, sondern als ein erleuchteter Yoga-Meister, den Orgon (Oliver Kugel), der Herr des Hauses, und seine Mutter Madame Pernelle (Christa Kapfer) anhimmeln und durchfüttern.

Wie die Made im Speck

So lebt Tartuffe wie die Made im Speck, obwohl der Rest der Familie Orgon unablässig vor Tartuffes Falschheit warnt. Doch Orgon ist gehirngewaschen: „Ich werde ein anderer Mensch durch seinen Umgang. Sähe ich Mutter, Kinder, Frau sterben, es bekümmerte mich nicht.“ Um den Meister an seine Familie zu binden, will er seine Tochter Marianne (Anna Wendel) mit Tartuffe verheiraten, obwohl diese bereits Valère (Hendrik Wokittel) versprochen ist. Urkomisch ist, wie sich Marianne und Valère daraufhin vor lauter verletzter Eitelkeit fast gegenseitig den Laufpass geben. „Verliebte sind ganz schön verrückt“, resümiert Mariannes beherzte, von Simone Hugenschmidt brillant gespielte Zofe Dorine, die die Verlobten auf den gemeinsamen Widerstand gegen die geplante Zwangsheirat einschwört.

Tartuffe macht sich derweil an Orgons Frau Elmire (Katarina Gimmi) ran, die ihn bestimmt, aber diskret abweist. Mariannes Schwester Damianne (Vanessa Lwowski) hat mitgehört und bringt die Sache aufs Tapet. Doch der verblendete Orgon jagt nicht etwa Tartuffe, sondern seine Tochter Damianne aus dem Haus, weil er in ihr eine Intrigantin sieht. Als er sich auch noch dazu versteigt, Tartuffe zu seinem Alleinerben zu machen, scheinen Eheglück, Familienzusammenhalt sowie Haus und Hof endgültig verloren zu sein. Doch einen Trumpf hat Elmire noch im Ärmel, um ihrem Mann Orgon die Augen zu öffnen...

In die Neuzeit getragen

Als Molière „Tartuffe“ 1664 vor den Augen des Sonnenkönigs Ludwig XIV uraufführen ließ, führte die darin thematisierte Kritik an christlich-religiöser Heuchelei zum Skandal und zwischenzeitlichen Verbot des Stücks. Indem Rösch das Stück in einen Yoga-Kontext verlegt, nimmt er von ihm wahrgenommene aktuelle Entwicklungen aufs Korn: „Werte wie Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft oder Kompromissbereitschaft scheinen zunehmend verdrängt zu werden von Begriffen wie Selfcare, Selbstoptimierung [und] Me-Time […]. Es wird sanft verpackte Egozentrik gelebt, die in den Praktiken des Yoga und der Meditation ihre physische und psychische Vollendung finden kann. Das Lug-und-Trug-Stück in einem Yoga-Ashram spielen zu lassen, war somit eine logische Konsequenz“, so der Regisseur im Theaterprogramm.

Vorstellungen noch bis 2. August jeweils freitag- und samstagabends

www.burgfestspiele-roetteln.de.